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Recht auf Streik. Gewerkschafter und Wissenschaftler plädieren bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung für die Neubewertung des Arbeitskampfes. Von Johannes Schulten

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Deutschland gilt nicht gerade als streikfreudiges Land. Schon der kurze Blick auf die internationalen Vergleiche genügt, um zu verstehen, warum Lenin auf die Idee kam, die Deutschen würden zunächst ein Bahnticket lösen, bevor sie zum Arbeitskampf gehen: Seit Jahrzehnten begnügt sich die BRD im globalen Streikwettkampf mit einem Kellerplatz. Laut offizieller Statistik der Bundesanstalt für Arbeit gab es in Deutschland im Jahr 2009 3,7 Ausfalltage pro 1000 Beschäftigte. Europas Spitzenreiter Spanien kam auf 70, die Türkei auf 60. Lediglich in der Schweiz wurde mit 3,1 ausgefallenen Tagen weniger gestreikt.

Insofern war der Titel, mit dem die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Freitag in ihre Räume in Berlin einlud, etwas verwunderlich: »Kommt der Streik zurück« sollten der ehemalige IG-Medien-Vorsitzende Detlef Hensche, der Streikforscher und Publizist Peter Renneberg sowie Sylvi Krisch, ver.di-Streikleiterin bei der Berliner Charité, mit vor allem studentischem Publikum diskutieren. Moderiert wurde die Veranstaltung von jW-Redakteur Daniel Behruzi.

Vom Einsatz des Streiks als Mittel politischer und ökonomischer Auseinandersetzung, wie wir es in diesen Wochen in Griechenland und Großbritannien erleben, wollte Hensche in Deutschland nichts wissen. Im Gegenteil: Der geringe gewerkschaftliche Widerstand gegen die Sozial­dumpingspolitik der vergangenen Jahre gebe wenig Anlaß, daß sich etwas an der deutschen Streikarmut ändere.

Als Grund für diese sah er jedoch nicht das »Gespenst Globalisierung«, sondern die mangelnde Konfrontationsbereitschaft der Großgewerkschaften. »Die DGB-Gewerkschaften müßten sich schon die Frage gefallen lassen, warum sie eine Spaltung der Belegschaften durch eine befreundete Partei akzeptiert haben«, sagte Hensche in Anspielung auf die Nibelungentreue vom DGB zur SPD während der »rot-grünen« Koalition zwischen 1998 und 2005. Unvorbereitet hätte die Hartz-Gesetzgebung die Gewerkschaften jedenfalls nicht getroffen. »Rot-Grün habe immer klar und deutlich gesagt, daß es ihr Ziel ist, den Niedriglohnsektor auszuweiten«, so Hensche.

Er plädierte dafür, Arbeitskampf als eine »demokratische Tugend« zu begreifen. Wann, wie und in welcher Form Streik als Mittel von Gewerkschaftspolitik eingesetzt werden könne, sei kein rechtlich definierter Rahmen, sondern müsse immer wieder aufs neue ausgereizt werden. »Wird dieses Recht nicht strapaziert, verschimmelt es.« Zwar herrsche in Deutschland immer noch die Vorstellung, daß das Streikrecht hinter der »liberalen Dreifaltigkeit von Vertrags-, Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit« zurückzustehen habe, doch jüngste Urteile in der Arbeitsrechtsprechung hätten die gewerkschaftlichen Spielräume für Arbeitskämpfe erhöht. Es komme also nur darauf an, diese auszunutzen. Als Beispiel nannte er die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom September 2009, nach der Flashmob-Aktionen, also etwa Störungen durch nicht direkt am Tarifkonflikt beteiligte Dritte, als Arbeitskampfmittel grundsätzlich erlaubt seien. Auch das lediglich in der Türkei und Deutschland existente Streikverbot für Beamte hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf im vergangenen Jahr mit Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Frage gestellt.

Renneberg wies auf die Schwierigkeiten hin, die Gewerkschaften momentan überhaupt haben, Belegschaften für einen Streik zu mobilisieren. Etwa in der Bankenbranche sei durch über Jahre betriebene »Vermarktlichung« der Betriebsabläufe der Leistungsdruck extrem hoch geworden. Durch die Setzung unternehmensinterner Benchmarks etwa ständen die Belegschaften derart in Konkurrenz zueinander, daß an einen gemeinsamen Arbeitskampf gar nicht zu denken sei. Für die Gewerkschaft ginge es hier zunächst darum, ein gewisses Maß an Solidarität herzustellen. Das gemeinsame Tragen etwa von roten Kleidungsstücken an einem Tag sei schon Erfolg genug.

Daß sich langfristiges Gewerkschaftsengagement in den Betrieben lohnt, zeigte der einwöchige Streik Anfang Mai in Europas größtem Uniklinikum, der Berliner Charité. Mehr als zwei Jahre »Kleinarbeit« mit der Belegschaft wären nötig gewesen, um überhaupt streikfähig zu seien, sagte Sylvi Krisch. »Die Leute mußten das streiken lernen« und begreifen, daß sie neben der Verantwortung für den Patienten auch Verantwortung für sich selber haben.

Ein mögliches Feld für zukünftige Arbeitskämpfe schlug am Schluß Detlef Hensche vor: Er fragte, warum sich die Gewerkschaften nicht die von CDU/CSU und FDP einseitig für die Beschäftigten erhöhten Krankenversicherungsbeiträge künftig von den Unternehmern zurückerstreiken sollten.

Quelle: www.jungewelt.de vom 28.06.11

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 28. Juni 2011 um 11:38 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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