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Verdunkelung im Amt. Neofaschistisches Netzwerk mit V-Leuten durchsetzt. Verfassungsschutz will Aufklärung eigener Verstrickungen in Neonaziterror verhindern. Von Markus Bernhardt

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Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen die bundesdeutschen Inlandsgeheimdienste – allen voran die Landesämter für Verfassungsschutz in Thüringen und Hessen – die Aufklärung ihrer Verstrickungen in die Morde und Bombenattentate des neofaschistischen Terrornetzwerkes »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zu verhindern. Letztgenannte soll im Dienste des Thüringer Verfassungsschutzes gestanden haben, wie die Leipziger Volkszeitung in ihrer Dienstagsausgabe berichtete. Als Gegenleistung für Informationen, die Zschäpe weitergeben habe, soll sie von der dortigen Behörde vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt worden sein. Laut einem Hinweisgeber aus dem Thüringer Landeskriminalamt (LKA) soll die überzeugte Neofaschistin dem Verfassungsschutz zwischen 1998 und 2001 als Quelle gedient haben. Auch sollen bis 2003 weitere Kontakte zwischen dem Landesamt für Verfassungsschutz und Vertrauten von Zschäpe bestanden haben.

Die neuerlichen Veröffentlichungen strafen somit alle bisher getätigten Aussagen des Thüringer Verfassungsschutzes Lügen. So hatte etwa ein Sprecher des dortigen Landesamtes noch in der zweiten Novemberwoche erklärt, daß der Geheimdienst »seit deren Abtauchen im Jahr 1998 keine Kenntnis« über den Aufenthaltsort der drei Neonazis gehabt habe und »keine Anhaltspunkte« dafür vorlägen, daß »sie bei der Flucht von staatlichen Stellen Unterstützung erhielten«.

Die Verschleierungstaktik verwundert indes kaum. Bereits kurz nach Bekanntwerden des von den Sicherheitsbehörden unbehelligten braunen Terrortrios berichtete junge Welt über die gute Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und militanten Neonazis. Die Enthüllungen der vergangenen Tage lassen nunmehr stärker denn je darauf schließen, daß eine der zentralen Schlüsselfiguren im größten Geheimdienstskandal der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte in der Person des ehemaligen Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, zu finden ist. Unter dessen Leitung installierte die Behörde nicht nur den rechten Überzeugungstäter Tino Brandt als V-Mann an führender Stelle des neofaschistischen »Thüringer Heimatschutzes« (THS), in dessen Reihen auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu finden waren. Die militante Naziorganisation wurde aus Roewers Haus (mit)finanziert. Schließlich soll Brandt, der von 1994 bis zu seiner Enttarnung 2001 insgesamt etwa 200000 D-Mark Spitzellohn erhalten hatte, die ihm ausgezahlte »Aufwandsentschädigung« in den Aufbau rechtsextremer Strukturen investiert haben. Ob nicht zumindest Teile des Brandt-Geldes gar direkt dazu beitrugen, daß das »NSU«-Trio seinen Gang in den Untergrund finanzieren konnte, bleibt fraglich. Ebenfalls offen ist die Beantwortung der Frage, ob das Thüringer Landesamt, vielleicht sogar in der Person seines damaligen Leiters Roewer, auf direktem Weg an der Finanzierung der Naziterroristen beteiligt war. Schließlich war er im Jahr 2000 unter anderem suspendiert worden, weil er höchst eigenwillig mit der Zahlung von Honoraren für die V-Leute hantiert haben soll.

Auch war der ehemalige Panzeroffizier der Bundeswehr Roewer, der heute im rechten Ares-Verlag publiziert, 1999 mit der öffentlich mindestens relativierenden Äußerung über den deutschen Faschismus aufgefallen, dem er attestierte, auch »gute Seiten« gehabt zu haben.

Daneben gilt es, besonders die Aktivitäten des bis zu seiner Suspendierung hauptamtlich für den hessischen Verfassungsschutz arbeitenden Andreas Temme zu beleuchten. Der ist aufgrund seiner extrem rechten Gesinnung in seinem Wohnort Hofgeismar unter dem Spitznamen »Kleiner Adolf« bekannt. Der als Waffennarr bekannte Mann war am 21. April 2006 kurzzeitig unter Mordverdacht festgenommen worden, weil er während des am 6. April 2006 verübten Mordes an Halit Yozgat am damaligen Tatort, einem Kasseler Internetcafé, zugegen war. Die CDU-geführte hessische Landesregierung – allen voran der jetzige Ministerpräsident und frühere Innenminister Volker Bouffier (CDU) – weigert sich hartnäckig, detailliert zu den Erkenntnissen über den »kleinen Adolf« Stellung zu beziehen.

Und so ist auch nicht davon auszugehen, daß es bei der heutigen Sondersitzung des Innenausschusses im Bundestag zu neuen Enthüllungen über die Verstrickungen der Geheimdienste in den braunen Terror kommen wird. Die Innenminister der Länder haben sich darauf verständigt, ihren Beamten der Landeskriminalämter eine Aussagegenehmigung zu verweigern. Der Grund für dieses Vorgehen, welches zumindest für eine von SPD und Linkspartei geführte Landesregierung in Brandenburg, aber auch für die von SPD und Grünen geführte Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ungewöhnlich erscheint, dürfte in dem Konkurrenzverhältnis zwischen den jeweiligen LKA-Behörden und den Landesämtern für Verfassungsschutz liegen.

Als unbestreitbar dürfte mittlerweile gelten, daß die Verfassungsschutzämter Teil des Problems und keineswegs einer wie auch immer gearteten Lösung sind. Die Aufklärung über das tatsächliche Ausmaß der Kumpanei mit den Naziterroristen dürfte einzig durch eine öffentliche Aufklärung des Skandals erreicht werden, die nicht hinter den verschlossenen Türen geheim tagender Parlamentarischer Kontrollgremien stattfindet.

Quelle: www.jungewelt.de vom 30.11.11

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 30. November 2011 um 12:15 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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