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Umweg für Dresdner Akten. Eine Verzweiflungstat des Thüringer Innenministers ermöglicht dem NSU-Ausschuß die Beschäftigung mit dem sächsischen Geheimdienst. Von Sebastian Carlens

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Der Bundestagsausschuß zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) befaßte sich, wie bereits in der vorangegangenen Woche, am Donnerstag erneut mit dem sächsischen Verfassungsschutz. In dessen Zuständigkeitsbereich konnten die mutmaßlichen NSU-Terroristen ein sicheres Refugium finden: Mehr als zehn Jahre lebten sie im Freistaat, ohne enttarnt zu werden. Während dieser Zeit begingen sie mutmaßlich zehn Morde und verübten Anschläge, bei denen 22 Menschen schwer verletzt wurden. Die geballte Macht deutscher Geheimdienste will hilf- und ahnungslos gewesen sein: »Das ist mir auch völlig schleierhaft, wie sie das geschafft haben, trotz laufender Öffentlichkeitsfahndung«, sagte der Zeuge Olaf Vahrenhold vom Landesverfassungsschutz (LfV) Sachsen.

Zunächst ist es allerdings ein kleines Wunder, daß sich der Ausschuß überhaupt mit dem Wirken des sächsischen LfV befassen kann. Im Freistaat wurde nämlich gründlich gelöscht: »Nach fünf Jahren« würden die elektronischen Eintragungen regulär vernichtet, berichtete Joachim Tüshaus, der von 1993 bis 2004 die Abteilung 2, »Rechtsextremismus«, leitete. Auf Nachfrage der Obleute präzisierte der hochrangige Exgeheimdienstler, heute Leiter des Referats Polizeirecht im Landesinnenministerium: Nach fünf Jahren würde »erstmals geprüft«, ob gelöscht werden könne, wenn die betroffenen Personen »nicht mehr auffällig« geworden seien. Bei NSU-Unterstützern, wie beispielsweise dem Spitzel der Berliner Polizei und Terrorhelfer der ersten Stunde, Thomas Starke, ergab sich wohl stets »Unauffälligkeit«; zumindest gibt es keine Akten mehr. Allerdings kann der Ausschuß auf Papiere aus dem Nachbarland Thüringen zurückgreifen: Im Oktober letzten Jahres hatte sich der dortige Innenminister Jörg Geibert (CDU) zu einem radikalen Schritt entschlossen und die Aktenbestände seines LfV von 1991 bis 2002 komplett und ungeschwärzt, per Lkw-Transport über eine geheimgehaltene Route, nach Berlin schaffen lassen. Gegenüber dem Ausschußvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) sagte der Politiker damals, er habe befürchtet, daß Dokumente im »Sumpf« des Thüringer Amtes hätten verschwinden können. Zum kopieren der Akten wurden 80 Bereitschaftspolizisten abkommandiert, um Vertuschungsversuche durch Geheimdienstler zu verhindern.

Über Geibert waren damals Ministerkollegen, Nachrichtendienstler und Parteifreunde hergefallen: Von »Geheimnisverrat« war die Rede, der Aktentransport sollte noch auf dem Weg nach Berlin abgefangen werden – vergeblich, die Dokumente landeten im Geheimschutzraum des Bundestages. Ohne Geiberts Verzweiflungstat könnte das Kapitel Sachsen nicht mehr beleuchtet werden. So kamen unter anderem Aufzeichungen über eine Operation »Terzett« ans Tageslicht: Im Rahmen einer sogenannten »G10«-Maßnahme, mit der Nachrichtendienste das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bei befürchteten schwersten Straftaten wie terroristischen Anschlägen aushebeln können, sollte das engste NSU-Umfeld ausgeleuchtet werden: Betroffen waren – neben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe selbst, deren Aufenthaltsort damals allerdings unbekannt war – Jan Werner und wiederum der Spitzel Thomas Starke. »Terzett« lief unter Thüringer Federführung, aber mit Beteiligung der Sachsen vom 5. Mai bis zum 5. August 2000. Drei Monate sind der längstmögliche Zeitraum für eine »G10«-Maßnahme; offiziell eingestellt wurde sie jedoch erst 2010. Ergebnisse: Angeblich keine. Als 2003 das Bombendelikt verjährte, wegen dem nach den späteren NSU-Gründern gefahndet worden war, wurden die Betroffenen informiert.

Die sächsischen Beamten konnten sich nicht mehr gut an all das erinnern. Immer, wenn die Obleute auf die allgegenwärtigen »V-Männer« zu sprechen kamen, ging der Geheimnisschutz vor. »Namen kann ich hier, glaube ich, nicht nennen«, beschied Zeuge Tüshaus den FDP-Abgeordneten Patrick Kurth. »Doch, können Sie ruhig, das ist durch ihre Aussagegenehmigung gedeckt«, parierte dieser. Doch da versagte ganz plötzlich das Gedächtnis des ehemaligen Geheimdienstlers: »Ich kann mich aber nun gar nicht mehr an diese Namen erinnern, muß ich zugeben«.

Quelle: www.jungewelt.de vom 23.03.13

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 23. März 2013 um 14:48 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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