Wolfgang Huste Polit- Blog

„Interdependenz- und Resonanzpolitik“. Wat is dat denn? Wolfgang Huste

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„Interdependenz“ bedeutet „gegenseitige Beeinflussung“. Der Begriff „Resonanz“ bedeutet innerhalb der Systemtheorie etwas anderes als innerhalb der Physik oder der allgemeinen Politik. Der Soziologe Niklas Luhmann bezeichnet Resonanz als die Qualität der Fähigkeit eines Systems, nach Maßgabe seiner Struktur auf Umweltereignisse reagieren zu können. Die Resonanzfähigkeit eines Systems in Bezug auf Umweltentwicklungen ist selektiv, d.h. es wird nicht von allen Umweltentwicklungen in Schwingungen versetzt. Die Selektivität der Resonanzfähigkeit nimmt mit dem Grad der Ausdifferenzierung des Systems zu. Ein nicht oder nur unzureichend resonanzfähiges System ist in einer dynamischen Umwelt existenziell gefährdet.

Ich verwende in Alltagsgesprächen oftmals den Begriff „Interdependenz- und Resonanzpolitik“, wenn ich erklären will, wie unterschiedlich und auch wechselhaft äußerliche (politische) Gegebenheiten auf das Individuum einwirken. Unter Interdependenz- und Resonanzpolitik verstehe ich folgendes: Wir beobachten nicht nur in einigen Nationalstaaten einen sichtbaren, auch nachweisbaren, allgemeinen Rechtsruck, sondern in ganz Europa; mit Ausnahme vielleicht in Portugal, Spanien und Griechenland. Es stellt sich mir in diesem Zusammenhang folgende Frage: Ist eine Gesellschaft ideologisch deshalb konservativ ausgerichtet, weil es die Medien zum größten Teil auch sind, wird die jeweilige Gesellschaft also durch die Medien nach rechts statt nach links „getrieben“, oder treibt die jeweilige Gesellschaft, die herrschende Meinung, die Medien nach rechts, im Sinne einer Interdependenz, einer gegenseitigen Beeinflussung und einer Resonanz, im Sinne des „Mitschwingens“ von Organisationen, Parteien und der Medienwelt in eine bestimmte ideologische Richtung? Beides bedingt sich, schaukelt sich entsprechend dialektisch/wechselseitig hoch (Stichwort hier: „Die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden“). Je konservativer die Bevölkerung eines Landes, einer Region, desto konservativer werden die Medien in ihrer Berichterstattung – und umgekehrt. Auch außerhalb der Medien finden wir diesen politischen Effekt, und zwar von der Mikro- bis hin zur Makroebene: Sind die Eltern äußerst konservativ und wählen eine pro kapitalistische/neoliberale Partei, dann ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass deren Kinder es ihnen später nachmachen. Sozialwissenschaftler haben schon vor zwei Jahrzehnten nachgewiesen, dass Kinder ab dem dritten Lebensjahr gewisse Werte von der Erwachsenenwelt nachhaltig übernehmen, auch Vorurteile gegenüber anderen Menschen. So kommt es in manchen Kindergärten vor, dass ein Kind sinngemäß sagt: „Mit diesem Kind will ich nicht spielen, weil es eine schwarze Haut hat!“. Sind die Eltern also Rassisten, so ist die Chance groß, dass auch die Kinder eine rassistische Einstellung übernehmen. Andererseits, insbesondere innerhalb der Pubertätsphase, können Kinder und Jugendliche eine diametral andere Meinung als ihre Eltern einnehmen, um sich vom Elternhaus auch „ideologisch“ deutlich abzuheben. Ob die jeweilige politische Grundeinstellung auch nach der Pubertät noch anhält, also „nachhaltig“ ist, ist von vielen sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Faktoren abhängig. Sozialwissenschaftler sprechen hier auch von der politischen Findungsphase eines Jugendlichen. In dieser Phase werden dauerhaft Grundeinstellungen eingeübt und übernommen.

Flankiert wird diese Interdependenz und Resonanz, das gegenseitige beeinflussen und „hochschaukeln“, das ideologische „Mitschwingen“, nicht nur durch deren Eltern, sondern – zumindest in der Kinder- und Jugendphase – durch Freunde und/oder Lehrer. Ist ein Lehrer zum Beispiel äußerst konservativ oder gar reaktionär, und korreliert sein Denken mit der Grundeinstellung des jeweiligen Schülers, dann wird die Denke das Schülers nicht nur simpel bestätigt, sondern sogar nachweisbar verstärkt. Wer also ideologisch rechts ausgerichtet ist, wird noch rechter. Der selbe Mechanismus des gegenseitigen „Hochschaukelns“ funktioniert natürlich auch anders herum, also in Richtung „linkes denken“. Nur: In allen kapitalistischen Ländern dominiert der Antikommunismus, der Antisozialismus, als allgemeine Staatsdoktrin. Linke (sozialistische, kommunistische und marxistische) Denk- und Handlungsweisen werden in der Regel gesellschaftlich ungleich härter sanktioniert (vom Berufsverbot bis hin zur allgemeinen gesellschaftlichen Ächtung in einem ansonsten konservativen Umfeld) als originär rechte (reaktionäre, faschistoide, faschistische, nationalistische und/oder rassistische) Denk- und Handlungsweisen. Demnach ist die Chance, dass man „nach rechts“ sozialisiert wird, ungleich größer, als dass die Sozialisation anders herum läuft. Das wissen wir auch aus einer eigenen Alltagserfahrung heraus. Der Massengeschmack setzt sich stärker und schneller durch als das „Elitäre“, als das „Andersartige“, das „Abweichende“ vom Üblichen, vom Vor-Herrschenden. Das gilt nicht nur für den allgemeinen Kunstgeschmack, sondern auch für politische Überzeugungen. Wer sich dem Massengeschmack nicht unterordnet, da sogar „ausbricht“, hat es in einem bürgerlichen Leben schwieriger als zum Beispiel der Opportunist, der sich wie ein Chamäleon der vorherrschenden Meinung „bestens“ anpasst (Stichwort hier: „Allgemeiner, gesellschaftlicher Liebesentzug als gesellschaftlich verordnete Sanktion“). Eine opportunistische Grundhaltung finden wir ausnahmslos bei den pro kapitalistisch ausgerichteten Medien, denn sie müssen (?) „Quote machen“. Eine starke Abweichung von ihren selbst kreierten ideologischen Grundeinstellungen, die in der Regel äußerst konservativ und marktradikal daher kommt, ist riskant; man könnte ja Abonnenten oder gar Anzeigenkunden verlieren, respektive verprellen. Wer also die Macht über die Massenmedien hat, über das Schul-, respektive Bildungswesen, über die Gesetzesvorlagen, der produziert, reproduziert und zementiert im weitesten Sinne nicht nur den Status quo, er sorgt auch dafür, dass sich gewisse Grundhaltungen entsprechend darüber hinaus noch verstärken. Andererseits: Wer den „Mut“ hat, auch die Ausdauer, sich „quer zu stellen“, wer also kritischer, hinterfragender Querdenker ist, ist gleichzeitig auch (zumindest das) Mitinitiator einer neuen Gesellschaftsformation, insbesondere dann, wenn er seine Alternative zum Status quo nicht nur überzeugend, sondern auch (theoretisch) gut fundiert begründen kann.

Wie schon gesagt: Die Grundhaltungen, die innerhalb der Gesellschaft am häufigsten anzutreffen sind, sind der Konservativismus und das Reaktionäre. Der Fortschritt ist dagegen eher eine Schnecke. Große Sprünge innerhalb eines Jahrzehntes in Richtung “ positiver, sozialer Fortschritt für alle“ (statt nur für eine Minorität, einer Elite) sind sehr selten. „Sprünge“ in Richtung des Konservatismus, in Richtung reaktionärer und rechtspopulistischer Denkweisen sind dagegen sehr deutlich häufiger anzutreffen. Zur Zeit leben wir in einer Phase der großen und mittleren Rückschritte, und zwar auf allen Ebenen. Vom Sozialwesen (Stichworte hier: Sozialabbau, Umverteilung von unten nach oben) bis hin zur allgemeinen Aufklärung im Kant’schen und humanistischen Sinne (Stichworte hier: Die „Verrohung der Mittelschicht“, das negative Labeln und die Abqualifizierung von durchaus positiven Eigenschaften wie Humanismus, Empathie und Solidarität als „Gutmenschentum“).

Was folgere ich für mich daraus? Ich versuche, in meinem Umfeld Bedingungen zu schaffen, die diesen Mechanismus zumindest erheblich stören, in dem ich nicht nur (ideologische, gedankliche) Gegenangebote zum Status quo, zur herrschenden Meinung, anbiete- sondern auch konkrete Handlungsmöglichkeiten, wie man sein Umfeld, direkt vor Ort, im Sinne einer allgemeinen Demokratisierung der Demokratie zum besseren hin verändern kann, entweder als Individuum auf einer privatistischen Ebene, oder – deutlich besser – als Mitglied einer fortschrittlichen Gruppe oder Organisation. Bei Facebook gelingt mir das eher als im realen Leben, anderen wird es wohl ähnlich gehen. Es ist eben deutlich einfacher, ein entsprechendes linkes „Biotop“ bei Facebook zu kreieren (oder in einer beliebig anderen Community), als im realen Leben. Auch hier kommt die Interdependenz- und Resonanzpolitik zur Anwendung: Wer bei Facebook nach „links“ sozialisiert wird, der übernimmt diese Denke auch im Alltag und (!) entwickelt sie im Idealfall weiter, „verstärkt“ sie demnach, aus einer intrinsischen Motivation heraus und weil das Individuum entsprechende Erfahrungen im Alltagssituationen macht. Das ist zumindest meine berechtigte Hoffnung. Schaffen wir also viele „linke Biotope“- im realen und im virtuellen Leben, denn das eine ist genauso sinnvoll und wichtig wie das andere, in einem klassisch-dialektischen Sinne. Da sollten wir keine „künstlichen Gewichtungen“ vornehmen, in dem man sinngemäß sagt: Nur das Reale zählt, nicht die virtuelle Welt.

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 02. März 2016 um 11:40 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. Ein relativ aktuelles Beispiel für die „Interdependenz- und Resonanzpolitik“ ist das Thema “ Flüchtlinge/ Einwanderung“. Hätten die Medien von Anfang an gar nicht oder kaum dieses Thema öffentlich aufgegriffen, dann würde die AfD auf der Bundesebene nicht mehr als 5 % der Wählerstimmen bekommen und man hätte höchstwahrscheinlich kein einziges Flüchtlingsheim angezündet. Die Medien beschleunigen mit ihrer überdimensionierten, täglichen Berichterstattung auf allen Ebenen die allgemeine Rechtsentwicklung und die Förderung des Rassismus in der Gesellschaft – bis heute!

    Comment: Anonymous – 02. März 2016 @ 11:49

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