Polizei und Staatsanwaltschaft definieren eine Plastikfolie als „Unerlaubte Waffenführung“. Das viereckige Stück Kunststoff ist in ihren Augen eine Schutzwaffe. So absurd das Wort „Waffe“ in Bezug auf eine Overhead-Projektor-Folie klingen mag – Schutz benötigen Demonstrant*innen in der Tat. In den letzten Jahren ist die Zahl von verletzten Aktivist*innen bei Demos und Aktionen des zivilen Ungehorsams drastisch gestiegen. Bei dem als „Schwarzer Donnerstag“ bekannt gewordenen Polizei-Einsatz gegen S-21-Gegner*innen in Stuttgart am 30. September 2010 sind über 400 Menschen verletzt worden. Noch höher war die Zahl der Verletzten während der Aktion „Castor? Schottern!“ im gleichen Jahr. Nach Angaben der Sanitäter*innen gab es dort insgesamt 1.000 Verletzte, davon 950 durch Pfefferspray. Anschließend meldete die Bundespolizei einen Ersatzbedarf von 2.190 Reizstoffsprühgeräten an. Zuletzt wurden 2013 bei den Demonstrationen in Frankfurt (Blockupy) und Hamburg (Rote Flora) 200, beziehungsweise 500 Menschen verletzt.
Als sich die Innenministerkonferenz der Länder 1999 für die Einführung von Pfefferspray aussprach, sollte es gemäß den eigenen Richtlinien dazu dienen, in besonders gefährlichen Situationen den Einsatz der Schusswaffe zu ersetzen. Davon ist in der Praxis nichts zu bemerken. Oft leeren Polizeibeamt*innen schon auf Verdacht ihre Sprühgeräte, sobald sich Aktivist*innen einer Polizeiabsperrung auch nur nähern. Auf zahlreichen Videoaufnahmen sind Polizist*innen zu sehen, die wahllos in eine Menschenmenge sprühen.
Richtlinien der Herstellerfirmen und der Polizei beschreiben die Wirkung beim Einatmen mit „unkontrollierten Hustenanfällen, Atemnot, Sprechschwierigkeiten und Krämpfen im Bereich des Oberkörpers“. Bei Augenkontakt käme es zu „heftigen Schmerzen, einhergehend mit Schwellungen und Rötungen der Bindehaut sowie starkem Tränenfluss“. Eine vorübergehende Erblindung könne bis zu 30 Minuten anhalten, vereinzelt seien auch „dauerhafte Schädigungen der Hornhaut“ möglich, eine Untersuchung durch einen Augenärzt*innen deshalb sofort nach der Erstbehandlung nötig. In der Realität werden bei Angriffen der Polizei auf Demonstrationen binnen weniger Minuten dutzende Menschen durch Pfefferspray verletzt. Selbst wenn sich unter den Demonstrant*innen ausgebildete und gekennzeichnete Sanitäter*innen befinden, sind sie oftmals von der hohen Zahl der Verletzten überfordert. Auch die mit der vorübergehenden Erblindung einhergehende Orientierungslosigkeit – oft während die Polizei ihre Angriffe fortsetzt – sorgt für gefährliche Situationen, die nur durch eine solidarische und umsichtige Reaktion der übrigen Demonstrant*innen entschärft werden können. Kein Wunder also, dass viele Aktivist*innen begonnen haben, sich gegen die Polizeigewalt zu schützen.
Eine Overhead-Projektor-Folie ist im Handel problemlos zu erwerben und in größeren Mengen auch sehr preiswert. Sie kann auf die Gesichtsmaße zugeschnitten und mittels eines an zwei Löchern angebrachten Gummibandes am Kopf befestigt werden. Anders als beispielsweise eine Schutz- oder Taucherbrille schützt sie auch den Mund- und Nasenbereich und damit die Atemwege. Sie ermöglicht dadurch, das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch während Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen brutale Polizeigewalt durchzusetzen – und ist dadurch der Polizei ein Dorn im Auge.
In der staatlichen Logik besitzt die Polizei nicht nur das Gewaltmonopol, sondern auch das Recht es überall und jederzeit anzuwenden. Der Versuch, sich davor zu schützen, soll selbst eine Straftat sein. Im Klartext heißt das, man solle sich erst verprügeln oder mit Pfefferspray vollsprühen lassen – danach kann man ja immer noch die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme prüfen lassen oder die Polizeischläger*innen verklagen. Nicht nur angesichts dessen, dass 99 % der Verfahren gegen Polizeibeamt*innen eingestellt werden, ist das keine Alternative. Wir beharren auf der Legitimität von politischem Protest und Aktionen des zivilen Ungehorsams – ob es nun darum geht Naziaufmärsche zu verhindern, Castor-Transporte zu stoppen oder die EZB zu blockieren. Und wir lassen uns dabei nicht nach Belieben von der Polizei zusammenschlagen oder vollsprühen. Wir werden weiterhin darüber nachdenken, wie wir uns und andere bei unseren Aktionen vor Polizeigewalt schützen können. Sollten wir deswegen kriminalisiert werden, sagt auch das schon eine Menge über diesen Staat und seine Justiz aus. Aber wir werden auch hier gemeinsame Mittel finden, uns gegen die Repression zu wehren. Solltet ihr mit einer Anzeige konfrontiert sein, wendet euch an die Düsseldorfer Rechtshilfegruppe und die Rote Hilfe.
See red! Interventionistische Linke Düsseldorf
Der Prozess gegen die angeklagte Antifaschistin findet am Mittwoch, den 12. Februar 2014 um 11 Uhr im Amtsgericht Dortmund statt, 1. Etage, Sitzungssaal 1.151, Gerichtsstraße 22. Vorher findet noch eine Pressekonferenz des antifaschistischen Bündnisses „Dortmund stellt sich quer“ vor dem Gerichtsgebäude statt. Zeigt euch solidarisch mit der Angeklagten und besucht den Prozess!
(…) Mit dieser schwarz-roten Bundesregierung wird der Bundeswehreinsatz in Afrika ausgeweitet und die EU weiter militarisiert. Frankreich kann den Eindruck, daß es bei seinem Engagement vorwiegend um ökonomische Interessen geht, nicht glaubhaft widerlegen. Es geht in Mali um den Zugriff auf die Goldförderung. Mali hat nach Südafrika und Ghana die drittgrößte Goldindustrie. Notabene ist auch Deutschland an der Goldförderung beteiligt. Noch gravierender als Gold und Diamanten ist für Frankreich der Zugriff auf Uran. (…)
Der hessische Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft DPolG, Heini Schmitt, hat eine Pressemitteilung herausgegeben, mit der er – nach eigener Aussage – für mehr Ehrlichkeit in der Zuwanderungsdebatte werben möchte. Tenor der Pressemitteilung: Die wirtschaftlich schwachen Staaten im Osten der EU würden ihre Armutsprobleme auf Deutschland abwälzen. Das führe zu Flucht in unsere Sozialsysteme, zur Entstehung von Parallelgesellschaften in den deutschen Metropolen, zu Slumbildung und mehr Kriminalität. Die Deutschen, die an der Armutsgrenze oder darunter leben, würden in der Diskussion vergessen. Belegt werden soll Schmitts Argumentation mit einem Anstieg der Zahl an Tatverdächtigen aus Osteuropa.
Dazu Romeo Franz, Europakandidat der GRÜNEN Rheinland-Pfalz:
„Diese Pressemitteilung ist sozialer Sprengstoff und schürt Fremdenfeindlichkeit. Einen solchen Beitrag hätte ich von einer rechtsradikalen Vereinigung erwartete, nicht vom hessischen Landesvorsitzenden einer Polizeigewerkschaft. Die Zahlen, mit denen Schmitt argumentiert, beziehen sich auf Tatverdächtige aus Osteuropa, nicht auf verurteilte Straftäter. Das macht einen gewaltigen Unterschied! Denn es gilt in unserem Rechtssystem noch immer die Unschuldsvermutung. Diese Zahlen sagen gar nichts aus, wenn sie für sich alleine stehen. Sie müssen immer im Kontext betrachtet werden, sonst könnte man auch vermuten, die Gesetzeshüter hätten sich auf die Kontrolle von Osteuropäern konzentriert? Und das wäre dann ein klarer Beleg für institutionalisierten Rassismus. Es ist unerträglich, dass Heini Schmitt so undifferenziert argumentiert, denn mit seinen Äußerungen wird Zuwanderung aus Osteuropa kriminalisiert und der Eindruck erweckt, dass der größte Teil der Zuwanderer kriminell sei.“
„Wir verurteilen diesen feigen Brandanschlag, bei dem glücklicherweise kein Mensch zu Schaden gekommen ist, auf das Schärfste. Es beunruhigt uns zutiefst, dass der von den Strafverfolgungsbehörden ermittelte 31-jährige Täter durch diese Straftaten offenbar seiner islamfeindlichen Gesinnung Gehör verschaffen wollte.
Wir sind schockiert darüber, dass es bereits der dritte Anschlag in dieser Woche auf eine Moschee in Köln war.
Demokratie lebt von ihrer Vielfalt. Es ist unsere aller Pflicht, rassistischen und menschenverachtenden Tendenzen in jeder Bevölkerungsschicht in ihren Ursprüngen zu begegnen. Wir dürfen extremistischem Gedankengut deshalb keine Freiräume zur Entfaltung geben. Nur mit einer Kultur der Anerkennung und einer Begegnung auf Augenhöhe kann unsere Gesellschaft ihre volle Stärke entfalten.“
(Pressemitteilung vom 04.02.2014)
Im Jahre 1877 wohnte im Grand Hotel Flora (dem jetzigen Rathaus der Stadt Bad Neuenahr) Karl Marx mit seiner Frau Jenny und mit seiner jüngsten Tochter Eleonore (genannt „Tussy“). In ihrer Begleitung war höchstwahrscheinlich Helena Demuth, die jahrzehntelange treue Hausgehilfin, Freundin und Kampfgefährtin der Familie Marx. Mit dieser Reise nach Bad Neuenahr betrat Karl Marx wenige Jahre vor seinem Tode zum letzten Mal den Kontinent Europa, bzw. Deutschland. Karl Marx und seine Frau haben sich in zahlreichen Briefen sehr lobend über das Ahrtal geäußert. Seine Briefe kamen aus dem „Hotel Flora“ (auch: „Hotel zur Flora“ genannt), wo die Familie Quartier bezog. Im „Cur-Journal“ von 1877 steht unter dem 11. August unter den Nummern 1177-1179 die Eintragung:
„H.Dr. Carl Marx, London, Fr. Marx, London, Frln. Marx, London“. Sie bezahlten damals insgesamt 23 Mark für die Ausstellung der Kurkarte. Karl Marx wurde durch den Kurarzt Dr. Richard Schmitz betreut, mit dem er viele interessante Gespräche führte (Dr. Schmitz verstarb am 26. August1893 mit 58 Jahren im Rang eines Sanitätsrats). Im damaligen Badehaus war in seiner fast dreiwöchigen Kur Karl Marx öfter anzutreffen, auch seine Begleitung. Karl Marx machte in dieser Zeit einige Ausflüge in die nähere Umgebung, per Kutsche- unter anderem nach Ahrweiler. Anfang September 1877 ging die Kur der Familie Marx in Bad Neuenahr zu Ende. Ein konkretes Abreisedatum ist nicht bekannt. Es ist auch nicht überliefert, wo sich die Familie zwischen Anfang September und dem 25. September aufgehalten hat. Man kann aber davon ausgehen, dass die Familie sich noch am 29. August 1877 in Bad Neuenahr aufhielt. Wer mehr über den Kuraufenthalt der Familie Marx erfahren möchte, dem empfehle ich folgendes Büchlein (es hat nur 82 Seiten und ist vergriffen. Man bekommt es also nur noch im Antiquariat. Gerne können Interessierte in meinem Antiquariat in diesem Büchlein ein wenig schmökern): Heinrich Gemkow: Karl Marx‘ letzter Aufenthalt in Deutschland. Als Kurgast in Bad Neuenahr 1877. Marx-Engels-Stiftung Wuppertal “. Für mich ist es völlig unverständlich, warum im Rathaus der Stadt Bad Neuenahr (vormals „Grand Hotel Flora“) keine entsprechende Gedenktafel existiert, die an dieses historische Ereignis in einer würdevollen Form erinnert. DIE LINKE. Ahrweiler wird in Kürze einen entsprechenden Antrag an den Stadtrat stellen. Ich bin gespannt, wie die anderen Parteien auf diesen Antrag reagieren werden.
Unterstützt sowohl von Rüstungsfirmen wie Europas führendem Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann als auch von der Bundesregierung findet an diesem Wochenende die 50. »Münchner Sicherheitskonferenz« im Luxushotel Bayerischer Hof statt. Die polizeiliche »Sicherheitszone« rund um den Tagungsort dürfen normale Passanten nicht betreten. Mehrere Trambahnhaltestellen in der Innenstadt können bis Sonntag nachmittag nicht angefahren werden. Doch diese Einschränkungen sind nicht der Hauptgrund, warum Kriegsgegner zum Protest gegen die Konferenz aufrufen. »Schon immer war sie der Friedensbewegung ein Dorn im Auge, weil dort die Anwendung militärischer Gewalt wie ein selbstverständliches Mittel der Politik gehandelt wurde und wird«, erklärte der Bundesausschuß Friedensratschlag zum runden Geburtstag der früher als »Wehrkundetagung« bekannten »Siko«.
Rund 20 Staats- und Regierungschefs sowie 50 Außen- und Verteidigungsminister nehmen in diesem Jahr teil. 3100 Polizisten sind im Einsatz. Geleitet wird die Veranstaltung vom früheren Spitzendiplomaten Wolfgang Ischinger, der nach Gutherrenart entscheidet, welche »Experten« und ausländischen Oppositionsführer neben Spitzenpolitikern, NATO-Militärs und Konzernvertretern eingeladen werden.
Eröffnet hat die Konferenz am Freitag Bundespräsident Joachim Gauck. Der forderte von Deutschland mehr »Engagement« in der Welt. Die Bundesrepublik solle sich »früher, entschiedener und substantieller einbringen«. Jahrzehntelang habe die Politik mit dem Hinweis auf die »historische Schuld« die eigene, vor allem militärische »Zurückhaltung« begründet. Jetzt sei aber wieder eine »aktivere Rolle nötig«.
Zum »Star« der diesjährigen Sicherheitskonferenz haben der Tagesspiegel und der Fernsehsender n-tv aber den ukrainischen Oppositionspolitiker und früheren Boxer Witali Klitschko erklärt – der US-Analysedienst Stratfor bezeichnet ihn als »Berlins Mann in Kiew«. Er soll in München unter anderem mit US-Außenminister John Kerry zusammentreffen.
Eine Demonstration zahlreicher Friedensgruppen, Parteien und Organisationen beginnt am Samstag um 13.30 Uhr auf dem Münchner Marienplatz. Eine für Freitag abend geplante Protestkunstaktion, deren Hauptdarsteller vor dem nahe am Tagungshotel gelegenen Literaturhaus als Bundespräsident Gauck mit der Attrappe eines Maschinengewehrs auftreten sollte, ist durch polizeiliche Auflagen faktisch verboten worden: Ohne die »Anscheinswaffe«, an der die Polizei Anstoß nimmt, habe die Performance keinen Sinn, erklärte der Künstler Günter Wangerin.
„268 polizeibekannte Neonazis werden in Deutschland per Haftbefehl gesucht“, so die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke. Diese Zahl teilte die Bundesregierung jetzt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage (BT-Drucksache 18/233) mit. Die Erhebung hat demzufolge bereits im Oktober vorigen Jahres stattgefunden. Jelpke weiter:
„Je gründlicher man hinsieht, desto mehr Fälle tauchen auf. Aufgrund einer sorgfältigeren Erfassung ist die Zahl flüchtiger Neonazis im Vergleich zur letzten Erhebung, die im Juli 2013 stattfand, um 20 Prozent gestiegen. Damals waren es 220. Die Zahl derjenigen, die wegen einschlägiger politischer Delikte gesucht werden, ist sogar um 50 Prozent gestiegen: Von 46 auf 68. In 55 Fällen ist der Haftbefehl wegen eines Gewaltdelikts ergangen.
Viel zu lange wurde weggesehen, viel zu lange haben sich die Behörden Zeit gelassen, um die Erfassung zu verbessern – wie immer muss man die Bundesregierung zum Jagen tragen. Dabei zeigen die Zahlen deutlich genug, dass der Handlungsbedarf hoch ist. Noch immer ist es nicht möglich, in Echtzeit zu erfahren, wie viele Neonazis sich einer Festnahme entziehen. Solche unregelmäßigen Momentaufnahmen werden aber der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht.“
weitere Infos: http://dokumente.linksfraktion.net/mdb/KA_18_233_Haftbefehle_Nazis.pdf
Quelle: Homepage von Jutta Jelpke vom 31.01.14
Rechte hofiert, Linke blockiert: Das Vorgehen der Polizei gegen Antifaschisten am 18. Januar in Magdeburg hat ein juristisches Nachspiel. Der Rechtsanwalt Paulo Dias hat Klage gegen die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord beim Verwaltungsgericht Magdeburg eingereicht, informierte er jW am Donnerstag. Die Polizei habe seinen Mandanten, wie Hunderte weitere Antifaschisten, daran gehindert, das Versammlungsrecht wahrzunehmen. Anderen Betroffenen rät Dias ebenfalls zu rechtlicher Gegenwehr. Dies sei nötig, »um der Polizei die Grenzen ihrer Befugnisse zu zeigen«, betonte er.
Am 18. Januar waren in Magdeburg 2500 Polizisten und knapp 900 Bundespolizisten im Einsatz. Während diese keine Mühe scheuten, knapp 1000 Neonazis einen braunen »Gedenkmarsch« zu sichern, endete der Weg für ihre Gegner oft an Sperrgittern. So hatte die Polizei für fast drei Stunden alle Brücken abgeriegelt trotz angemeldeter Mahnwachen auf der anderen Elbseite. Dazu kamen umfangreiche Straßensperren, die Aktionen in Hör- und Sichtweite der Rechten unmöglich machten.
Erst gar keine Chance auf Protest hatten offenbar jene, die die Polizei als »besonders links aussehend« einstufte. Das lassen Berichte vermuten, die Teilnehmer am Dienstag bei einer Auswertung des Bündnisses »Magdeburg nazifrei« vortrugen. Die Mitanmelderin einer Mahnwache kritisierte etwa »Ganzkörperkontrollen«. Diesen habe sich zeitweise jeder, der an ihrer Versammlung teilnehmen wollte, unterziehen müssen. Andere sprachen von »massenhaft präventiven Platzverweisen«. Und wo die einen nicht mehr hindurften, ließ die Polizei andere nicht mehr weg. Einen 21jährigen und dessen vier Freunde habe sie gezwungen, bis zum Abend auf der »Meile der Demokratie« auszuharren. Der Grund seien »schwarze Jacken mit Kapuzen« gewesen. »Es ist unzulässig, nach dem Äußeren zu selektieren und präventiv den Zugang zu offiziellen Veranstaltungen zu verwehren«, betonte Anwalt Dias.
Mehrere Augenzeugen berichteten zudem von Polizeigewalt. In einem Fall seien vermummte Beamte ohne ersichtlichen Anlaß auf Demonstranten »mit Kriegsgebrüll losgestürmt« und hätten »wie besessen auf sie eingeknüppelt«. Beobachtet worden sei auch, wie ein Polizist eine junge Frau mit der Faust zu Boden geschlagen und anschließend »an den Haaren fortgezogen« habe. Auch diese Betroffenen bittet Paulo Dias, sich bei ihm zu melden – die E-Mail-Adresse des Anwalts ist unten angegeben.
Mit der Neuauflage ihrer Strategie von 2013 habe die Polizei »die Grundrechte auf Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt«, resümierte der Anwalt. So sieht das auch der parteilose Magdeburger Stadtrat und Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt- und Naturschutz, Oliver Wendenkampf. Er habe als Anmelder einer Kundgebung ebenfalls geklagt. Seiner Ansicht nach tragen Stadt- und Landespolitiker »eine große Mitschuld«. »Sie haben alle Proteste außerhalb der Festmeile vorab kriminalisiert«, sagte er am Dienstag. Das präventiv-repressive Vorgehen habe die Polizei mit der Politik abgestimmt, weiß er. Wendenkampf fordert, alle Rechtsverstöße politisch aufzuarbeiten.
Für die Polizei ist hingegen alles in bester Ordnung: Die Brückensperren seien einer »Kommunikationspanne« geschuldet gewesen, hatte ein Sprecher vorige Woche erklärt. Eine Bevorzugung der Neonazis wollte er nicht erkennen. Sie seien nach dreistündiger Verzögerung nur deshalb nicht nach Hause geschickt, sondern ein weiteres Mal mit der Bahn herumgefahren worden, »weil sie mit einem Spontanmarsch gedroht haben«. Wie Sprecherin Beatrix Mertens am Donnerstag ergänzte, liegen der Polizei zwei Strafanzeigen gegen Neonazis wegen Zeigen eines Hitlergrußes vor. Gegen Antifaschisten seien 133 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, unter anderem wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung, Sachbeschädigung und Vermummung. Von 530 Personen habe die Polizei die Identität festgestellt und 421 Platzverweise ausgesprochen.
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka zeigt ein Herz für Studienabbrecher. Um diesen eine neue Perspektive zu bieten, will die CDU-Politikerin sie zu Handwerkern umschulen lassen. Gelingen soll dies durch Erleichterungen bei der folgenden Berufsausbildung sowie mehr Netzwerkerei zwischen Hochschulen und Unternehmerschaft. Die deutsche Wirtschaft begrüßt den Vorstoß und sieht darin ein erfolgversprechendes Mittel gegen den vermeintlichen Fachkräftemangel. Studierendenvertreter halten die Vorschläge dagegen für verkürzt und wenig zielführend.
Zwar kann sich Deutschland mit einer Studienabbruchquote von knapp über 20 Prozent im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen. Allerdings verdankt sich das passable Abschneiden den traditionellen, im Aussterben begriffenen Abschlüssen. Wie die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) zuletzt für den Absolventenjahrgang 2010 ermittelt hatte, schmissen Studierende im Staatsexamen in lediglich elf Prozent der Fälle vorzeitig das Handtuch. Für die Diplom- und Magister-Studiengänge lag der Wert bei 23 Prozent. Von den Bachelor-Anwärtern gaben dagegen 28 Prozent frühzeitig auf. Bei anhaltendem Trend könnte nach der kompletten Umstellung auf das Bachelor-Master-System bald jeder Dritte zum Abbrecher werden.
Laut HIS-Befunden fühlen sich rund 30 Prozent der Betroffenen durch den erhöhten Zeit- und Leistungsdruck infolge der Kürze und Verschulung des Studiums überfordert. Rund 20 Prozent scheitern an der Finanzierung und fast ebenso viele an fehlender Motivation wegen falscher Erwartungen an das Studium. Nur jeder zehnte wirft aus freien Stücken hin, weil er sich beruflich neu orientieren will. Für den großen Rest der Gestrandeten will sich die Bundesregierung künftig verstärkt ins Zeug legen. Damit diese und potentielle Ausbilder »schnell zueinander finden«, brauche es engeren Kontakt zu den Handwerkskammern und den Unternehmen, war am Montag auf der Webseite der Bildungsministerin zu lesen.
Tags zuvor hatte Wanka in der Welt am Sonntag entsprechende »Pilotprojekte« angekündigt. Außerdem sollten erbrachte Studienleistungen angerechnet werden können, um es den Aussteigern zu ermöglichen, »eine verkürzte Ausbildung in Unternehmen zu absolvieren«. Gerade »in Zeiten des Fachkräftemangels« würden die Betriebe erfolgreich sein, die den Bewerbern attraktive Angebote machten, so Wanka. Zum Beleg ließ das Springer-Blatt den Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Peter Wollseifer, der Ministerin beipflichten. Nach seinen Angaben suchten in den nächsten zehn Jahren etwa 200000 Handwerksunternehmer einen Nachfolger. Und trotz einer weiterhin steigenden Zahl an Betrieben ginge die der Lehrlinge kontinuierlich zurück, so der Verbandschef.
Das ist freilich nur die halbe Wahrheit, denn tatsächlich kommen Jahr für Jahr Zigtausende Jugendliche auf dem Lehrstellenmarkt nicht zum Zuge, weil die deutsche Wirtschaft keine Verwendung für sie hat. 2013 ist die Zahl der Ausbildungsverträge laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) auf den »mit Abstand niedrigsten Wert seit der Deutschen Einheit« gefallen. Die Wirtschaft begründet den Schwund immer wieder mit der mangelnden Bildung der Schulabgänger, und ganz von der Hand zu weisen ist das Argument nicht. Die Hälfte der Azubis im Handwerk hat einen Hauptschulabschluß, der im Zuge der allgemeinen Bildungsmisere stetig an Wert eingebüßt hat.
Die Parteinahme der Wirtschaft für Wankas Vorstoß kommt daher nicht von ungefähr. Offenbar will man in Zukunft verstärkt aus dem Reservoir gescheiterter Hochschüler schöpfen, statt weiter auf den Ausstoß aus den »Restschulen« zu setzen. Laut Wollseifer brauche das Handwerk die »ausbildungsstarken Jugendlichen«, da durch den technologischen Wandel die Anforderungen in vielen Berufen gestiegen seien. Das heißt aber auch: Die Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt wird sich weiter verschärfen, und die Anwärter ohne Abitur haben noch schlechtere Karten als bisher. Dazu kommt: Bei Anrechnung von Studienleistungen auf die Ausbildungszeit wird der Studienabbrecher auch zum billigeren Azubi – für den Staat wie für die Industrie.
Mit Wankas Vorschlägen werde nur an den Symptomen der hohen Abbrecherquoten herumgeschustert, statt die Ursachen zu bekämpfen, monierten die Juso-Hochschulgruppen am Montag. Es brauche unter anderem »schnellstmöglich eine umfassende BAföG-Reform«, verbesserte Studienbedingungen, eine Aufwertung der Lehre und mehr Betreuungs- und Beratungsangebote. All das steht aktuell nicht auf der Regierungsagenda.