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Von wegen »solidarisch«. Das Konzept eines »Bürgergeldes« als Ersatz für das bisherige System von Transferleistungen dient den Unternehmen, Wohlhabenden und fördert Niedriglohnsektoren. Von Christoph Butterwegge

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Kaum hatten im Oktober 2009 die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP begonnen, ging deren finanzpolitischer Sprecher Hermann Otto Solms mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, Hartz IV durch ein »Bürgergeld« in Höhe von 662 Euro zu ersetzen. Er konnte sich damit zwar ebensowenig durchsetzen wie seine Partei, im schwarz-gelben Koalitionsvertrag ist aber ein Prüfungsauftrag zu diesem Thema enthalten. Deshalb bleibt es in dieser Legislaturperiode auf der Tagesordnung.

Am 1. November 2010 stellte der frühere thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus die Arbeitsergebnisse einer von der CDU-Spitze eingesetzten und von ihm geleiteten Kommission »Solidarisches Bürgergeld« vor. Demnach sollen alle Transferleistungsempfänger monatlich 600 Euro erhalten, von denen allerdings 200 Euro gleich wieder für eine »Gesundheits- und Pflegeprämie« abgezweigt würden, während ein gesonderter »Bürgergeldzuschlag« beantragt werden müßte, um die Kosten der Unterkunft erstattet zu bekommen.

Solidarisch kann man das CDU-Modell kaum nennen, liegt sein Zahlbetrag doch nur geringfügig über dem Hartz-IV-Niveau und weit unter der EU-offiziösen Armutsgrenze von 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens (ca. 930 Euro). Statt den konkreten Bedarf von Hilfesuchenden zu ermitteln und ihn mittels eines differenzierten Sozialleistungssystems zu befriedigen, würde der Staat nur mehr eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip machen. Daß pauschalierte Leistungen wie das »Solidarische Bürgergeld« dem Einzelfall nicht gerecht werden würden, zeigt die spürbare Benachteiligung von Arbeitslosengeld-II-Empfängern mit vielen Kindern durch den Wegfall einmaliger Beihilfen (etwa für die Reparatur oder die Neuanschaffung einer Waschmaschine) bei der Einführung von Hartz IV.
Nur noch Pauschalen
Als das bekannteste Gesetzespaket der Koalition von SPD und Grünen am 1.Januar 2005 in Kraft trat, wurde den Menschen die »Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe« versprochen. In Wirklichkeit wurde jedoch mit der Arbeitslosenhilfe das Prinzip der Lebensstandardsicherung für Langzeitarbeitslose abgeschafft und das AlgII eingeführt, welches eigentlich »Sozialhilfe II« heißen müßte, weil es höchstens das Existenzminimum abdeckt. Bei den Protagonisten eines »Bürgergeldes« ist heute von einer »Zusammenfassung« aller steuerfinanzierten Sozialleistungen die Rede. Angeführt werden in diesem Zusammenhang das Arbeitslosengeld II, das Sozialgeld, die Sozialhilfe, die Grundsicherung im Alter, der Kinderzuschlag und das Wohngeld, obwohl auch das Kindergeld und das Elterngeld in denselben Kontext gehören. Zu befürchten steht, dass über kurz oder lang alle genannten und womöglich noch weitere Sozialleistungen abgeschafft würden, sollten sich CDU und CSU die Kommissionsvorschläge zu eigen machen und mit der FDP zu verwirklichen suchen.

Sowenig eine als »einkommens­unabhängiger Arbeitnehmerbeitrag« im Koalitionsvertrag enthaltene Kopfpauschale im Gesundheitssystem der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit von Krankenversicherten gerecht wird, sowenig eignet sich das »Solidarische Bürgergeld«, um die tiefe Wohlstandskluft in der Gesellschaft nicht weiter zu vertiefen. Was auf den ersten Blick einfach, großzügig und sozial gerecht erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als eine politische Mogelpackung, die mehr Gerechtigkeit bloß vortäuscht. Das »Solidarische Bürgergeld« stellt nur eine Pauschalierung bestehender Transferleistungen dar, würde das bisherige Sicherungsniveau für Millionen Menschen per saldo senken und den Wohlfahrtsstaat weder entlasten noch sinnvoll umstrukturieren.
Versteckter Kombilohn
Letztlich würde das Bürgergeld als ein Kombilohn für alle wirken. Weil das Existenzminimum seiner Bezieher formal gesichert wäre, könnten diese noch schlechter entlohnte Jobs annehmen, wodurch den Unternehmen mehr preiswerte Arbeitskräfte zur Verfügung stünden und die Gewinne noch stärker steigen würden. Weil sich das »Solidarische Bürgergeld« gegen Mindestlöhne richtet und die Flexibilität hin zu noch niedrigeren Verdiensten erhöhen soll, damit auch Geringqualifizierte mit seiner Hilfe von »marktgerechten« Löhnen leben können, vermehrt es die Armut von prekär Beschäftigten. Denn sie müssen sich vom Staat alimentieren lassen, während der das Lohndumping von Unternehmen mit Steuergeldern subventioniert.

Finanziert werden soll das »Solidarische Bürgergeld« durch eine einheitliche Einkommenssteuer in Höhe von 40 Prozent, die mit dem Bürgergeld verrechnet wird. Bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe (18000 Euro pro Jahr) erhält man Zuwendungen des Finanzamtes im Sinne einer negativen Einkommenssteuer. Wer darüber liegt, wird zum Nettozahler. Sozialversicherungsbeiträge entfallen. Da die Unternehmen – Althaus ist derzeit als Manager beim Autozulieferer Magna tätig – bloß noch eine »Lohnsummenabgabe« in Höhe von 18 Prozent zahlen müßten, wären sie die eigentlichen Gewinner der Reform. So würden aus der paritätischen Beitragspflicht entlassen und durch die geplante »Flat tax« (Einheitssteuer) vor allem Spitzenverdiener entlastet.

Wer – wie die FDP und kleinere Teile der Union – auf die deutsche Sozialversicherung am liebsten verzichten würde und sämtliche Versicherungszweige möglichst umgehend privatisieren möchte, will den bestehenden Wohlfahrtsstaat durch das Bürgergeld nicht etwa sinnvoll weiterentwickeln, sondern auch noch das »unterste soziale Netz« zerreißen. Wenn fast alle bisherigen Transferleistungen in einem unsolidarischen Bürgergeld aufgingen, hätten Neoliberale ihr Ziel erreicht, das traditionsreiche deutsche Sozialversicherungssystem endgültig zu schleifen. Und sie würden den Systemwechsel noch dazu als Wohltat für die Bedürftigsten hinstellen.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt ist sein Buch »Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird« (Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2009) erschienen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 06.11.10

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 06. November 2010 um 13:04 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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