Ich werde hier nicht meinen „junge-Welt“-Artikel vortragen, wie einige Zeitungen geschrieben haben, sondern ich werde einige Fragen beantworten. Ich würde mich natürlich freuen, wenn möglichst viele meinen Artikel lesen und sich nicht in den Diskussionen auf unseriöse „Spiegel“-Artikel beziehen würden. Jetzt komme ich zu den sechs Fragen:
1. Frage: Wer bin ich?
Mein Name ist Gesine Lötzsch. Ich bin demokratische Sozialistin! Ich wurde seit 1990 immer direkt in das Berliner Abgeordnetenhaus und in den Deutschen Bundestag gewählt; bei der Bundestagswahl 2009 mit fast der Hälfte aller abgegebenen Stimmen. Ich habe von meinen Wählerinnen und Wählern den Auftrag bekommen, ihre Interessen in den Parlamenten zu vertreten. Im Mai 2010 bin ich mit über 93 Prozent zur Vorsitzenden der Partei DIE LINKE gewählt worden.
Wenn jetzt einige Politiker der Meinung sind, dass ich keine Demokratin bin und nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, dann ist das eine Unverschämtheit! Besonders die Politiker, die völkerrechtswidrige Kriege gegen die Mehrheit der Bevölkerung beschlossen haben, sollen mir nicht erklären, was Demokratie ist!Weder meine Wählerinnen und Wähler aus meinem Wahlkreis noch meine Genossinnen und Genossen auf dem Bundesparteitag haben mir irgendwelche Denk- oder Sprechverbote erteilt. Daran und nur daran halte ich mich! Ich bin mit Haut und Haar Demokratin.
Keine Partei in diesem Land nimmt die Demokratie so ernst wie die Partei DIE LINKE.
Ich bin immer wieder entsetzt, wie CDU/ CSU und FDP mit dem demokratisch gewählten Bundestag umgehen. Das beste Beispiel ist die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke. Selbst der Präsident des Deutschen Bundestages beschwerte sich öffentlich über das undemokratische Verfahren der Bundesregierung im Umgang mit dem Bundestag und dem Bundesrat.
DIE LINKE ist eine demokratische Partei und wird mit demokratischen Mitteln dieses Land grundsätzlich verändern!
2. Frage: Warum bin ich hier?
Ich wurde von der Zeitung „junge Welt“ eingeladen, in einem Artikel über eine zukünftige Gesellschaft nachzudenken. Das habe ich getan. Ich komme in dem Artikel zu dem Schluss, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist und dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört. So steht es auch im Programmentwurf unserer Partei.
Es wurde ein enormer Druck auf mich ausgeübt, diese Konferenz nicht zu besuchen, doch ich lasse mir nicht von unseren politischen Gegnern vorschreiben, welche Konferenzen ich besuche. Der Genosse Gregor Gysi würde sagen: „Ja, wo leben wir denn?“
In dieser Gesellschaft werden jeden Tag Menschen ausgegrenzt, ob Arbeitslose, Kinder, politisch Andersdenkende oder einfach nur Bürgerbewegte, die die Nase voll haben von Prestigeprojekten wie den Stuttgarter Bahnhof oder das Berliner Schloss. Ich will eine andere Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der Menschen nicht ausgegrenzt werden. Das schließt Stalinismus und autoritären Sozialismus grundsätzlich aus.
Nein, ich habe nicht die Opfer des Stalinismus und des autoritären Sozialismus vergessen, natürlich nicht, wie kann ich denn? Ich habe alle Veröffentlichungen, die unsere Partei und die Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte publiziert haben, zusammenstellen lassen. Es sind fünf laufende Meter!
Wir haben schon 1990 auf unserem Gründungsparteitag mit dem Stalinismus gebrochen und uns bei den Opfern entschuldigt. 20 Jahre lang haben wir nicht nur Artikel und Bücher geschrieben, sondern sehr intensiv mit unserer Geschichte gerungen. Viele Genossinnen und Genossen haben deshalb unsere Partei verlassen. Wer also immer noch behauptet, wir hätten unser Geschichte nicht aufgearbeitet, der ist entweder ignorant oder böswillig.
Beim Schreiben meines Artikels für die „junge Welt“ habe ich natürlich an die Opfer des Stalinismus gedacht und vor allem an die vielen Kommunisten und Sozialisten, die umgekommen sind. Aber gerade deshalb wäre es falsch, den Mantel des Schweigens über der Idee des Kommunismus auszubreiten.
Jeder, der es wissen will, weiß, dass die Partei DIE LINKE aus Sozialisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, Pazifisten, Kommunisten und Christen besteht. Das ist kein Geheimnis!
Ich lass mir doch nicht von meinen politischen Gegner vorschreiben, mit wem ich gemeinsam diese Gesellschaft ändern will, das wäre ja lächerlich. Hätte Nelson Mandela Herrn Seehofer fragen sollen, ob er im ANC zusammen mit Kommunistinnen und Kommunisten die Apartheid stürzen darf? Wohl kaum. Wenn es nach der CSU gegangen wäre, würde es die Apartheid noch heute geben, und bayerische Konzerne würden immer noch unmenschliche Extraprofite auf Kosten der Mehrheit der Südafrikanerinnen und Südafrikaner erzielen. Gut, dass Mandela auf solche Ratschläge verzichtet hat!
Gregor Gysi wies kritisch darauf hin, dass unter dem Begriff Kommunismus die Menschen an Stalin und die Mauer denken. Da hat er Recht, deshalb müssen wir Aufklärungsarbeit leisten! Gregor Gysi hat aber nicht Recht, wenn er meint, dass man den Begriff Kommunismus nicht mehr verwenden darf. Der Begriff Kommunismus wird doch jeden Tag von unseren politischen Gegnern verwendet, und in jedem Landtagswahlkampf warnen CDU/CSU und FDP vor der Einführung des Kommunismus durch die Partei DIE LINKE. Ich erinnere an den käuflichen Herrn Rüttgers (CDU), der nur mit Hilfe der LINKEN in NRW abgelöst werden konnte.
Die Hoffnung, dass uns der Kommunismus nicht um die Ohren gehauen wird, wenn wir den Begriff nicht in den Mund nehmen, ist erstaunlich. Sollen Sie uns den Begriff um die Ohren hauen, doch für viele Menschen in der ganzen Welt ist die Idee des Kommunismus nicht nur Blut, Mord, Verfolgung, sondern auch Hoffnung, Faszination und Leidenschaft. Selbst Opfer des Stalinismus, die schlimmste Demütigungen erlitten haben, haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir eines Tages eine gerechte Gesellschaft aufbauen werden.
Die uralte Idee des Kommunismus wurde missbraucht, das ist schändlich, doch das ändert nichts daran, dass immer mehr Menschen eine Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft verspüren, die wir demokratischen Sozialismus nennen.
Übrigens bemerkt der Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ in einem Kommentar unter dem Titel „Armselige Debatte“ über den Vorwurf einiger Kritiker, dass ich mich nicht ausreichend über die Opfer des Stalinismus in dem Artikel geäußert hätte: „Das kann man vereinbaren – wenn fortan auch das Wort Christentum nie mehr gebraucht wird, ohne dessen blutige Spur der Brandmorde an Hexen und Ketzern, der Kreuzzüge und der Kumpanei des Vatikan mit dem Hitler-Faschismus einen Viertelsatz zu widmen.“
3. Frage: Wer ist Kommunistin, wer ist Kommunist?
Wer Kommunist ist und wer nicht, das wird in dieser Gesellschaft durch Medienkonzerne festgelegt. Wer gestern noch als Reformer galt, kann schon morgen als Kommunist beschimpft werden. Präsident Obama erlebte es gerade am eigenen Leibe. Wenn man die Stichwörter „Obama“ und „Kommunist“ bei Google eingibt, dann bekommt man 92.600 Einträge. Ist Obama ein Kommunist, weil er eine Krankenversicherung für alle Menschen will? Sicherlich nicht, doch er wird dazu gerade – gegen seinen Willen – von radikal fundamentalistischen Politikern, die mir wirklich Angst machen, gemacht.
4. Frage: Warum reagiert das Establishment so hysterisch auf meinen Artikel?
Ich weiß aus vielen Mails, Anrufen und Internetforen, dass das Interesse an den Ideen und Visionen von einer gerechten Gesellschaft überwältigend ist. Die hysterischen Reaktionen einiger Politiker und Medienvertreter auf meinen Artikel kann ich mir nur so erklären, dass die Unsicherheit in den Reihen der Neoliberalen dramatisch zugenommen hat. Vor der Finanzkrise hätte dieser Artikel wahrscheinlich nur eine geringe Aufmerksamkeit gefunden. Heute habe ich mit diesem Beitrag in ein Wespennest gestochen. In einer Pressemitteilung der Linksjugend des Hamburger Landesverbandes zu meinem „junge-Welt“-Artikel steht: „In der kapitalistischen Gesellschaft hungert heute jeder siebte Mensch auf der Erde. Laut den G8-Staaten besitzen über 1,3 Milliarden Menschen keine angemessene Gesundheitsversorgung, etwas die selbe Zahl Menschen lebt in absoluter Armut.“
Doch auch in den Zentren des Kapitalismus erleben viele Menschen, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet und wir in einer Klassengesellschaft leben. Ist es nicht Ausdruck einer Klassengesellschaft, wenn Herr Zumwinkel, der Jahrzehnte Millionen an Steuern hinterzogen hat, auf Bewährung freigesprochen wird und gleichzeitig Obdachlose, die ohne Fahrkarte erwischt wurden und ihre Strafe nicht zahlen können, im Gefängnis sitzen? Ist es da verwunderlich, dass Menschen von einer klassenlosen Gesellschaft träumen, in der vor dem Gesetz alle gleich sind?
Nicht das Nachdenken über eine gerechtere Gesellschaft, sondern der Kapitalismus ist ein Skandal! Jeder Gedanke an eine andere Gesellschaft wird von den Herrschaften als Bedrohung empfunden. Denkverbote werden ausgesprochen, und der Einsatz des gesamten Repressionsapparates wird angedroht. Doch das schreckt immer weniger Menschen. In Anbetracht der Finanzkrise gibt es ein großes Bedürfnis über eine neue Gesellschaft zu diskutieren. Im Juni 2010 gab es sogar eine Konferenz in der Volksbühne über die „Idee des Kommunismus“. In Krisen denken die Menschen über gesellschaftliche Alternativen intensiver nach. Der Verkauf des „Kapital“ von Karl Marx stieg während der Finanzkrise sprunghaft an. Wir erleben täglich, dass diese Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, Grundprobleme zu lösen, da ist es doch legitim über eine andere Gesellschaft nachzudenken.
5. Frage: Warum lehnt die Partei DIE LINKE Terrorismus zur Erreichung ihrer Ziele ab?
Es gibt Menschen, die in Deutschland aufgewachsen und bereit sind, sich als Terroristen in Pakistan ausbilden zu lassen und ihr Leben zu opfern. Das ist furchtbar! Unsere Gesellschaft muss sich endlich ernsthaft mit Terrorismus auseinandersetzen. Die Frage, was Terrorismus ist, hat Oskar Lafontaine kurz und präzise in einer Bundestagsrede beschrieben: „Für die Linken ist Terrorismus das Töten unschuldiger Zivilisten zum Erreichen politischer Ziele.“ Wenn die NATO in Jugoslawien Brücken und Kirchen bombardierte und die NATO heute in Afghanistan versucht, gegen den Willen der Afghanen, die Demokratie herbeizubomben, dann ist das für mich Staatsterrorismus. Deshalb fordert die Partei DIE LINKE einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan! Und ich füge hinzu: Das ist auch das Beste für die Soldaten der Bundeswehr.
Unsere Stärken als Partei DIE LINKE sind Transparenz und Offenheit. Nur so können wir die Menschen gewinnen und überzeugen und im Kontakt mit den außerparlamentarischen Bewegungen bleiben.
6. Frage: Warum der demokratische Sozialismus mit demokratischen Mitteln erreichbar ist?
DIE LINKE lehnt Terrorismus als politisches Mittel ab. Wir sind von unseren Ideen so überzeugt, wir halten sie für so bestechend und einleuchtend, dass wir davon ausgehen, dass wir Mehrheiten für diese Ideen in der Gesellschaft erlangen können.
Wir haben viele Jahre versucht, unsere Vorstellungen von einem demokratischen Sozialismus in homöopathischen Dosierungen den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln. Ich bin der Auffassung, dass uns nicht die Zeit bleibt, unsere Vorstellungen von einem demokratischen Sozialismus in dieser Dosierung weiter zu verbreiten. Der Bundesregierung ist der freie Markt – oder nennen wir es doch Kapitalismus – aus den Händen geglitten. Sie ist nicht mehr Herr der Lage und lässt sich von Lobbyisten auf der Nase herumtanzen. Deshalb ist es absurd, dass sie bei jeder Gelegenheit unter der Bevölkerung Kompetenzillusion verbreitet. Wir müssen aufpassen, dass wir von den Menschen nicht mit den Herrschenden in eine Topf geworfen werden, weil wir bewusst oder unbewusst den Eindruck vermitteln, wir wüssten, wie diese Gesellschaft krisenfrei gesteuert werden könnte. Unsere praktischen Vorschläge zur Bewältigung der Finanzkrise sind besser als alle Vorschläge von sogenannten Experten, von der Bundesregierung ganz zu schweigen, doch wir dürfen nicht die Illusion vermitteln, als hätten wir Lösungen für die gravierenden Probleme Menschheitsprobleme im Rahmen dieser Gesellschaft. Deshalb sind wir der Meinung, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist und dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört!
Quelle: http://die-linke.de/nc/die_linke/nachrichten/detail/artikel/ich-bin-demokratische-sozialistin/
08.01.11
« Der Weg zum Kommunismus wird weiter beschritten. Silvio Duwe – Dünne Informationen zur Dioxin-Verseuchung. Von Uwe Koopmann »
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