Wenn in deutschen Landen zwischen Rhein und Oder künftig irgendwo das Wort »Kommunismus« zu hören sein sollte, dann hat der Bundesbürger sein »Gottseibeiuns« zu sagen oder, ist er ein Atheist, eine andere Abscheu ausdrückende Formel zu murmeln. Ist das Wort gar ohne sogleich anschließende Erwähnung der Millionen Toten gefallen, die auf das Konto von Stalins und seiner Komplizen Herrschaft gehören, dann ist eine der gewählten Formeln dreimal zu wiederholen. Im Ernst nun: der Antikommunismus hat hierzulande eine neue Qualitätsstufe erreicht. Ein Begriff, der ungleich älter ist als der Marxismus, soll aus der gesellschaftlichen Debatte genommen werden und für alle Zukunft ein pejoratives Vorzeichen erhalten. Wer hat das nötig? Und zu wessen Nutzen?
Die Antwort läßt sich beim Blick auf die Bewertungen finden, welche die bürgerliche Gesellschaft in jüngster Zeit bei Umfragen unter den Bürgern dieses Staates erhalten hat. Eine erhebliche Anzahl von ihnen hält die Verteilung von Macht und Eigentum in Staat und Gesellschaft nicht für »gerecht«. Sie halten eine andere Ordnung menschlichen Zusammenlebens für denkbar und wünschenswert, wenn sie auch meist nicht glauben, daß sie erreichbar wäre.
Suchtrupp
Der Begriff Kommunismus ist allerdings geschändet, nur nicht durch einen Versuch, von der Idee zu einer ihr gemäßen geschichtlichen Wirklichkeit zu gelangen, sondern durch seinen Mißbrauch. Die Untaten der Stalin-Ära gingen von Führern einer Partei aus, die sich Kommunistische Partei nannte. Sie wurden auch unter Berufung auf die Begründer des modernen kommunistischen Denkens, auf Marx und Engels, gerechtfertigt. Mit den Vorstellungen, die Marx und Engels, Bebel und Wilhelm Liebknecht, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von einer Gesellschaft der Zukunft entwickelten und hegten, hat aber das stalinistische Regime nichts gemein. Die Unvereinbarkeit dieser mit jenem läßt sich an deren Schriften dartun. Das ist hinreichend geschehen.
Nun hat die junge Welt-Redaktion zu einer Konferenz geladen, deren Haupttitel jedenfalls einem Einfall entsprang: »Wo, bitte, geht’s zum Kommunismus?« Gesine Lötzsch hat zum Generalthema einen vernünftigen und klugen Artikel geschrieben. Wer ihn bei einigem Verstand gelesen hatte, zweifelte nicht daran, daß Kommunismus nicht ihr und ihrer Partei Thema, geschweige denn Sorge bilde, sondern allenfalls das und die kommender Generationen werden könne. Ebenso klar war dem Text ihre Ablehnung dessen zu entnehmen, was sie als »Parteikommunismus« bezeichnete, also jener Weg und Anspruch, der sich mit dem Namen der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und insbesondere dem Stalins verbindet. Indessen: Allein das klare Bekenntnis dazu, sich auf einen Weg aus dieser bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zu machen, ausgerüstet und belastet mit mehr Fragen als Anworten, mit Hoffnungen und Zweifeln hat genügt, um Scharen von Politikern und Journalisten auf den Plan zu rufen und alles an Verdrehungen, Beschuldigungen, Verdächtigungen zu erbrechen, was sie irgend hervorwürgen konnten und dazu, nach Verfassungsschutz und Verfassungsrichtern zu verlangen. Die Frau sei eine Kommunistin und sie wolle aus ihrer Partei eine kommunistische machen, ja das sei die getarnt ohnehin großenteils schon.
Taktisches Kalkül
Es würde zu kurz greifen, die Schmutzkampagne einzig dem Unbehagen zuzuschreiben, mit dem die bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie den nahenden Landtagswahlen 2011 entgegensehen. Wahrscheinlich ist, daß Wähler, indem sie Die Linke bevorzugen, jene einfachen Lösungen verderben, mit denen sich bislang mal diese mal jene kungelnde Landesregierung bauen ließ. Also soll sie so klein wie möglich gehalten werden. Doch hat die Reaktion auf den Zeitungsartikel von Lötzsch mit diesem vergleichsweise kurzfristigen taktischen Kalkül ihr Bewenden nicht. Wie sich am bisherigen Verlauf der Diskussion über das Parteiprogramm der demokratischen Sozialisten zeigt, waren die Hoffnungen, daß sich diese Partei auf den Platz setzt, den die Sozialdemokratie unter der Führung Gerhard Schröders und Franz Münteferings gerade frei gemacht hatte, verfrüht. Und aus gewisser Perspektive war der Beitrag der Kovorsitzenden eine Bestätigung dafür, daß diese Hoffnungen zunächst begraben werden können. Die Enttäuschung traf herb und das erst erklärt die Reaktion, die sich Echo nicht nennen läßt, näher. In ihr drückt sich stärker noch aus, daß der Plan als gescheitert anzusehen ist, alle Ideen und Hoffnungen auf eine andere Gesellschaftsordnung auf den »Müllhaufen der Geschichte« zu entsorgen und für die K- (d.h. die Kapitalismus-)Frage eine finale Lösung zu finden. Die Sieger der Geschichte des Jahres 1989/1990 sind der Dauerhaftigkeit ihres Sieges unsicher geworden. Sie fürchten nicht für morgen. Aber für übermorgen? Und den Deutschen unter den Siegern steckt, um ein über die Generationen lebendig gebliebenes Geschichtsbild anzurufen, Stalingrad in den Knochen.
So betrachtet, hatten die Linken mit und ohne Parteibuch Grund, das Geschrei der Politiker und der Medien nach dem Lötzsch-Artikel mit einiger Gelassenheit zur Kenntnis zu nehmen. Sie konnten sich beispielsweise des vermutlich aus dem arabischen stammenden Sprichworts erinnern »Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter«. Sie konnten sich auch darauf verständigen, ihrer Vorsitzenden beizutreten mit der Erklärung: Wir lassen uns das Nachdenken und Diskutieren über eine mögliche zukünftige menschenfreundliche Ordnung nicht verbieten oder limitieren. Und: Wir lassen uns nicht verbieten, mit Menschen, die sich darüber auch ihre Gedanken machen, in einen Disput einzutreten, um für unsere Überlegungen und Ansichten zu werben und diese zugleich der Kritik auszusetzen. (Sie hätten dem noch hinzufügen können: Wir nehmen davon einzig jene Minderheit sich fälschlich als Linke verstehender Leute aus, die entweder unverbesserliche Stalinisten sind oder einfach Spinner, Selbstdarsteller, Krawallmacher, Provokateure ohne vernünftiges Ziel).
Zielvorstellung
Statt dessen ist – freilich war das keine Totalüberraschung – ein Teil der Mitglieder der Linken und insbesondere Leute in deren erster Reihe nicht darauf verfallen, zu erklären, was sie sind und wollen und sich nicht untersagen lassen, sondern zu beteuern, was sie ganz bestimmt nicht sind und was sie gegen den Auftritt ihrer Vorsitzenden einzuwenden haben. Sie konzentrierten sich darauf, das Etikett abzulösen, das ihnen da aufgeklebt wurde. Nicht zum ersten, sondern wieder einmal, denn diese Praxis gehört zu ihrer Bekämpfung seit es diese Partei in ihren sich wandelnden Existenzformen gibt. Und diese angestrengten Reinigungsarbeiten wurden gelegentlich gar von der Klage, sozusagen dem Ruf nach der gelben Karte begleitet: »Mit uns wird nicht fair verfahren.« Ja, auf welchem Sportplatz glauben sich denn diese Politiker immer noch, nachdem sie jahrelang in dieser Liga »spielen«?
Und dann folgten Beteuerungen vom Typ des »Gottseibeiuns« in der Abwandlung »Wir sind keine Kommunisten. Wir waren keine Kommunisten. Und wir werden keine Kommunisten sein.« Wem wird das versichert? Dem Bundesverfassungsschutz? Den nach wie vor in den Löchern des Kalten Krieges sitzenden Journalisten? Dem Sigmar Gabriel? Den Mitgliedern der »Kommunistischen Plattform« innerhalb der Partei? Könnten sich die Angehörigen dieser neu geschaffenen Partei, die um Weg und Ziel noch ringt, nicht eher und besser darauf verständigen, daß in ihren Reihen Platz für radikale Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten ist, sofern sie die Zielvorstellung akzeptieren, die als demokratischer Sozialismus bezeichnet und gemeinsam entwickelt und vereinbart wird? Was eigentlich ist gegen Leute einzuwenden, die glauben, darüber eines fernen Tags noch hinaus gelangen zu können, die meinen, daß sich ein menschliches Zusammenleben in Gleichheit und Freiheit erreichen läßt, wie es sich Kommunisten vor und mit Marx vorstellten, ohne Nötigung oder Vergewaltigung, unter strikter Ablehnung des Grundsatzes, daß der gute Zweck die schlechten, womöglich verbrecherischen Mittel heilige?
Es gibt ein absehbares Stück Zukunft, in das sich hinein sehen läßt. Es erscheint als Resultat und Folge des bisherigen und momentanen Tuns und Lassens von Menschen. Von diesem Wegstück läßt sich mit Vorsicht und unter Vorbehalten sagen, welche Bewegungsmöglichkeiten und Handlungsalternativen sich Menschen in ihm bieten, zwischen welchen sie also wählen können. Darüber wird ungeachtet aller Widerstände der Satten, Zufriedenen, Gleichgültigen weiter nachgedacht und gestritten werden. Dahinter beginnt dann die Glaubenszone.
Quelle: www.jungewelt.de vom 12.01.11
« Hungerrevolten. Tote und Verletzte bei sozialen Protesten in Algerien und Tunesien. Krisensitzung der Regierung in Algier. Von Karin Leukefeld – Wutbürger Sarrazin. Berliner Studie hinterfragt Zahlenmaterial des Exbundesbankers über Muslime in Deutschland. Von Ulla Jelpke »
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Hörenswert! http://www.youtube.com/watch?v=pKmYV0m4IVY
Kommentar: Wolfgang Huste – 14. Januar 2011 @ 17:57