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Die Misere wird sich weiter verschlimmern«. Regierung kürzt Mittel für Arbeitslose. Vom »Fördern und Fordern« ist nur das »Fordern« geblieben. Ein Gespräch mit Stefan Sell Interview: Ralf Wurzbacher

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Der Sozialwissenschaftler und Arbeitsmarktexperte Stefan Sell ist Leiter des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik (ibus) an der Fachhochschule Koblenz, Standort Remagen

Die Bundesregierung will bis 2015 rund acht Milliarden Euro bei der Arbeitsförderung kürzen. Worauf läuft das in Ihren Augen hinaus: Kahlschlag, wie die Gewerkschaften sagen, oder mehr »Effizienz«, wie die Bundesarbeitsministerin behauptet?
Man muß mitbedenken, daß bereits im laufenden Jahr Einsparungen bei den Wiedereingliederungsmitteln für Langzeitarbeitslose im Umfang von 25 Prozent vorgenommen wurden. Das allein markiert die historisch größte Kürzung in der deutschen Arbeitsmarktpolitik. Die Folgen sind längst spürbar und werden noch verheerender sein, sobald die jetzt vom Kabinett beschlossenen Streichungen Wirklichkeit werden.

Also Kahlschlag?
Mit Sicherheit, denn erstens sind die Kürzungen gigantisch, und zweitens richten sie sich gegen einen Personenkreis, für den Unterstützung weiterhin bitter notwendig ist. Echte Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt sind nur im Bereich der ALG-I-Bezieher zu verzeichnen. Deren Zahl ging in den vergangenen zwölf Monaten um 20 Prozent zurück. Die der Langzeitarbeitslosen, also der Hartz-IV-Empfänger, nur um kümmerliche drei Prozent. Aber genau für diese Menschen wird die Förderung zusammengestrichen.

Das Argument von Ministerin Ursula von der Leyen (CDU), der Wirtschaftsaufschwung rechtfertige die Kürzungen, führt also in die Irre?
Das ist Augenwischerei. Angesichts der sich verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit wäre eigentlich sogar eine Intensivierung von Förderung angezeigt, ganz bestimmt aber keine neuerliche Streichorgie. Die Misere wird sich damit nur weiter verschlimmern.

Die Bedürftigsten werden also noch mehr abgehängt?
Das Ganze läuft sogar auf eine weitere bedenkliche Selektion innerhalb des Lagers der Langzeitarbeitslosen hinaus. Die verbleibenden Mittel werden künftig noch einseitiger auf die vermeintlich erfolgreiche Integration konzentriert. Förderung erhalten dann nur noch die mit den vergleichsweise besten Vermittlungsaussichten, während die »besonders schweren Fälle« leer ausgehen. Damit werden ausgerechnet die Schwächsten unter den Schwachen auf Dauer abgekoppelt.

Gleichwohl gibt es auch Instrumente, über deren Wegfall oder Einschränkung man nicht traurig sein muß. Oder doch?
Hätte sich die Regierung die Erkenntnisse der Wirkungsforschung zu den einzelnen Maßnahmen zu eigen gemacht, wäre das Ergebnis ganz anders. Beispiel Gründungszuschuß: Es ist zwar richtig, daß nicht wenige derer, die sich mit dessen Hilfe selbständig gemacht haben, weiterhin auf ergänzende Leistungen angewiesen sind. Die Wirkungsforschung weist aber sehr wohl auch einen hohen Anteil von Betroffenen aus, die dauerhaft in Selbständigkeit verbleiben und teilweise auch Mitarbeiter einstellen. Daß der Löwenanteil aller Kürzungen jetzt gerade diese Maßnahme betrifft, ist höchst widersinnig. Es mag einmal das Ziel gegeben haben, die Instrumente sinnvoll zu verschlanken und zu vereinfachen. Mit den unseligen Sparbeschlüssen zur Gegenfinanzierung der Bankenrettung wurde dies aber ad acta gelegt.

Wohin wird es führen, daß viele Maßnahmen künftig nicht mehr verpflichtend, sondern nur noch im Ermessen der Fallmanager bewilligt werden sollen?
Unter Finanzierungsvorbehalt werden die schönsten Förderinstrumente zur Farce. Das ist wie bei den Krankenkassen. Wenn der Arzt sein Budget aufgebraucht hat, bleibt dem Patienten die Behandlung versagt.

Ist vom berühmten »Fördern und Fordern« im Rahmen der Hartz-Gesetzgebung nur noch das Fordern geblieben?
Fordern stand von Beginn an über dem Fördern. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo das Fördern zu einer Restgröße schrumpft und eine Diskussion über sinnvolle Förderung gar nicht mehr gewollt wird. Die Wahrscheinlichkeit, als Hartz-IV-Empfänger zurück in Arbeit zu finden, liegt heute bei zehn Prozent und sinkt mit jedem »Vermittlungshemmnis« noch einmal um die Hälfte. Und diese Leute nötigt man – in Zukunft noch mehr als heute – bei Drohung mit Leistungskürzungen zu perversen Selbstbetätigungsaktivitäten, wie der, sich zigmal im Monat irgendwo zu bewerben. Das ist entwürdigend!

Quelle: www.jungewelt.de vom 26.05.11

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 27. Mai 2011 um 12:04 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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