Die Traditionspolitik der Bundesregierung bleibt zwischen Wehrmacht und »Armee in der Demokratie« gespalten. Das verdeutlicht ihre Antwort auf zwei Anfragen der Linksfraktion.
Diese hatte angeregt, der 70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion »wäre ein guter Anlaß, innerhalb der Bundeswehr endlich mit einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte zu beginnen« und die Rolle von Nazioffizieren in der westdeutschen Armee zu thematisieren. Die Bundesregierung gibt sich empört: »Der Krieg gegen die UdSSR ist Teil der deutschen Geschichte, aber nicht der Geschichte der Bundeswehr. Die beginnt 1955«, belehrt sie die Fragesteller und proklamiert indirekt, das Militär habe eine »Stunde Null« erlebt.
Gleichzeitig verteidigt sie jedoch ihr Festhalten an den alten Haudegen der Naziarmee: Immer noch sind 33 Kasernen nach Wehrmachtsgenerälen benannt, von denen die meisten nach Einschätzung der Bundesregierung »an der Planung, Vorbereitung und Durchführung des Unternehmens Barbarossa (Überfall auf die Sowjetunion) beteiligt« waren. Nur neun von ihnen gehörten wenigstens zeitweise dem militärischen Widerstand an. Namensänderungen seien nicht geplant, heißt es (mit Ausnahme der General-Konrad-Kaserne, vgl. jW vom 25.5.2011).
Wie »unkompliziert« das Verhältnis zur Vorgängerarmee ist, demonstriert die Bundeswehr regelmäßig anläßlich von »Ehrengeleiten« bei Beerdigungen von Wehrmachtsveteranen. Auf Wunsch der Familienangehörigen werden »Totenwachen«, Trommler und »Ordenskissenträger« entsandt. Solche Ehrungen gibt es nicht für gemeine Wehrpflichtige, sondern nur für Berufssoldaten vom Rang eines Generals bzw. Admirals – Personen also, die sich freiwillig für den Dienst in der faschistischen Armee gemeldet hatten und über deren verbrecherischen Charakter genau Bescheid wußten. Darüber hinaus werden die Ehrengeleite für Soldaten gestellt, die besonders »tapfer« für Nazi-Deutschland kämpften und mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden waren. 111 derartige Ehrenbezeigungen hat es seit dem Jahr 2000 gegeben.
Eine Beschränkung auf Soldaten, die im Widerstand waren, ist nicht vorgesehen – die Bundesregierung verweist trotzig darauf, daß diese Form des militärischen Brauchtums »international üblichen Gepflogenheiten in der Totenehrung von Soldaten« entspreche und schließlich »Teil des Gedenkens aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« sei. Inwiefern Wehrmachtsveteranen, die heute sterben, als Kriegsopfer gelten können, bleibt freilich das Geheimnis der Bundesregierung. Diese versichert, es werde geprüft, daß nicht etwa Mitglieder »einer verbrecherischen Organisation des NS-Regimes« geehrt würden oder solche, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Doch wie genau diese Prüfung vor sich geht, wird nicht verraten. Besonders sorgfältig kann sie nicht sein, denn es werden weder die Experten des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes eingebunden noch die Zentralstelle zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Das Kriterium der Beteiligung an Kriegsverbrechen wird möglichst eng ausgelegt: Wer nicht rechtskräftig verurteilt wurde, ist ehrbar. Da interessiert es nicht, ob der Betreffende verbrecherische Befehle weitergeleitet hat, ob er Soldaten, die Verbrechen begangen haben, ungestraft ließ oder sich als besonders inbrünstiger Hitler-Verehrer betätigt hat.
Auf diese Art kam 2008 auch der verstorbene Chef der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger, Gerhard Gutmacher, zu seinem Ehrengeleit. Ihm attestiert die Regierung eine »Aufbauleistung« als Jurist in der BRD. Daß seine rechtsextreme Gemeinschaft zugleich Geschichtsrevisionismus und Wehrmachtsverherrlichung pflegt, daran nimmt das deutsche Militär keinen Anstoß. Linken-Politikerin Ulla Jelpke, die beide Anfragen initiiert hatte, findet Ehrenbekundungen für solcherlei »engagierte« Wehrmachtsangehörige »fehl am Platz«, egal ob diese nun an Kriegsverbrechen beteiligt waren oder nicht. »Die Bundesregierung muß endlich die Traditionsstränge zur faschistischen Wehrmacht kappen«, fordert Jelpke.
Quelle: www.jungewelt.de vom 06.07.11
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