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»Es handelt sich um Steuerkriminalität« Gesetzestreue Steuerfahnder wurden und werden in ihrer Arbeit systematisch behindert, um die Reichen zu schonen. Gespräch mit Hans See Interview: Gitta Düperthal

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Hans See ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft, Sozialpolitik und Wirtschaftskriminologie und ­Ehrenvorsitzender von Business Crime Control e.V. (BCC)

Auf einer Veranstaltung von Business-Crime-Control am 9. Oktober in Frankfurt am Main wird der ehemalige hessische Steuerfahnder Frank Wehrheim über sein Buch »Inside Steuerfahndung« berichten. Wie gesellschaftsfähig ist Steuerhinterziehung?
Bei den Ereignissen, die Wehrheim in seinem Buch schildert, handelt es sich um Steuerkriminalität. Auch andere ehemalige hessische Steuerfahnder wie Rudolph Schmenger, Marco Wehner und das Ehepaar Tina und Heiko Feser haben einfach ihre Arbeit getan und ebenfalls den Vermögenden bei der Steuerprüfung genau in die Bücher geschaut. Ihre gesetzestreue Berufsauffassung und ihren Gerechtigkeitssinn haben sie mit Mobbing, Strafversetzung und Psychiatrisierung bezahlt. In der Verantwortung standen der ehemalige Ministerpräsident Roland Koch, der frühere Finanzminister Karlheinz Weimar und der jetzige Ministerpräsident Volker Bouffier (alle CDU). Wehrheim legt nahe, daß diese tief in Parteispendenskandale verstrickten Spitzenpolitiker in das den Steuerfahndern zugefügte Unrecht involviert sein mußten. Man hat sie für psychisch krank erklärt und mit Hilfe eines gefälschten Gutachtens aus dem Amt gejagt. Es paßt zusammen, daß ausgerechnet Politiker, die Steuersenkungen verlangen, Fahnder daran hindern, Steuerkriminellen das Handwerk zu legen. Motto: Klappt es nicht, die Reichen auf legalem Weg zu begünstigen, sorgen wir dafür, daß sie ungestraft andere Wege suchen können, ihre Steuern zu senken.

Sind diese Methoden nur in Hessen üblich?
Bei BCC hat sich vor Jahren der ehemalige Steuerfahnder Rudolf Borcharding aus Nordrhein-Westfalen gemeldet, der ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Das Politikum ist: Die Steuersäckel sind leer, und statt für Einnahmen zu sorgen, decken Regierende, daß Gelder ins Ausland transferiert werden können. Die Steuerfluchtländer sind bekannt: die Schweiz, Liechtenstein, Österreich, et cetera. Im übrigen auch die Bundesrepublik: Nach dem Sturz arabischer Diktatoren wurde schnell klar, daß unserer Regierung bekannt ist, bei wem diese ihre Konten haben. Denn alsbald wurde debattiert, ob man sie für die Rebellen freigibt. Dabei muß man den Zusammenhang sehen: Diese Diktatoren wurden auch deshalb gestürzt, weil sie als Wirtschaftskriminelle durchschaut worden waren.

In seinem Buch schildert Wehrheim Methoden und Geheimnisse der Behörde. Um welche Fälle geht es?
Die Betrugsformen und Reaktionsweisen der Erwischten sind vielfältig, darunter sind Anwälte, Ärzte, Gewerbetreibende, Gewerkschafter, Künstler, Kaufmänner und -frauen bis hin zu Konzernchefs wie Flick und Brauchitsch oder Partei- und Regierungschefs wie Koch. Der Fall der geschaßten Steuerfahnder zeigt: Vorgesetzte in den Behörden sind nicht bereit, millionenschwere Vermögende, wenn sie der Steuerhinterziehung überführt werden, genauso zu behandeln wie etwa Bezieher von Hartz IV, wenn sie falsche Angaben machen. Für Steuerkriminelle tut man alles, um die Anwendung der Gesetze zu verhindern. Auch die frühere Staatsanwältin Margrit Lichtenhagen, die den Steuerhinterzieher und Expostchef Klaus Zumwinckel zur Verantwortung gezogen hat, wurde aus dem Amt gemobbt.

Werden in Wehrheims Buch Roß und Reiter genannt?
Wenn es um die Namen von Wirtschaftskriminellen geht, hat Frank Wehrheim die gleichen Probleme wie Business Crime Control und Journalisten. Nennen wir sie, machen wir uns strafbar. Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler hat mehr als sechs Millionen Franken Schulden, weil er Namen ranghoher Wirtschaftskrimineller veröffentlichte.

Inwieweit ist die Steuerhinterziehung der Reichen und deren Begünstigung durch die Regierenden für die Finanzkrise verantwortlich?
Unserer Schätzung nach verliert die Bundesrepublik ungefähr jährlich 200 bis 300 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug. Am Beispiel Griechenlands ist zu sehen, wie diese von Regierenden geduldeten Machenschaften ganze Staaten ruinieren können. Viele Wirtschaftsverbrechen sind durch wirtschaftsliberale Gesetzgebung legalisiert – auch hierzulande. Das jüngste Abkommen Wolfgang Schäubles mit der Schweiz bedeutet, daß Steuerhinterzieher sich nachträglich freikaufen können. Das ist aus meiner Sicht Verfassungsbruch. Zudem ist das Abkommen eine Einladung für künftige Steuerkriminelle: Ihr könnt für ein Taschengeld straffrei bleiben und eure windigen Geschäfte weitertreiben.

www.jungewelt.de vom 01.10.11

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 01. Oktober 2011 um 22:22 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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