Im Vorfeld des am 13. November in Leipzig beginnenden CDU-Parteitags geht der Streit um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns weiter. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen erklärte in der Bild am Sonntag, sie wolle eine branchenübergreifende Untergrenze noch in dieser Legislaturperiode durchsetzen. Die Lage vieler Niedriglöhner würde das in Leipzig zur Abstimmung stehende Modell allerdings nicht verbessern: Die anvisierte Vergütung pro Stunde ist zu niedrig und würde nur in Branchen ohne Tarifverträge gelten.
Die Vertreter des Großkapitals laufen dennoch weiter Sturm gegen das von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützte Ansinnen ihrer Ministerin. Dabei scheint ihnen kein Argument zu dumm. So sagte kürzlich der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt: »Die CDU übersieht offenbar, daß in den letzten Monaten auch mit DGB-Gewerkschaften niedrigere Löhne als die der Zeitarbeit vereinbart wurden.« Nach den Vorstellungen der Union soll der allgemeine Mindestlohn dem Niveau des DGB-Tarifvertrags für Leiharbeiter entsprechen, dessen unterste Entgeltgruppen seit dem 1. November bei 7,01 Euro pro Stunde in Ost- und bei 7,89 Euro in Westdeutschland liegen. Hundts Argument spricht aber nicht gegen, sondern für einen verbindlichen Mindestlohn, der über alle Berufe hinweg gilt. Denn in einer Reihe von Handwerks- und Dienstleistungsbranchen sowie in der Landwirtschaft fehlt den Gewerkschaften schlicht die Organisationsmacht, um menschenwürdige Einkommen durchzusetzen. Genau das macht den Mindestlohn notwendig.
In der Zwickmühle
»Gewerkschafter stehen in solchen Branchen bei Tarifverhandlungen immer wieder vor der Alternative, niedrigen Tarifen zuzustimmen oder ganz auf eine tarifliche Regulierung der Arbeitsbedingungen zu verzichten«, erklärte Reinhard Bispinck vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in einer Stellungnahme. Immerhin ist das Problem der Minitariflöhne in den vergangenen anderthalb Jahren etwas geringer geworden, wie eine aktuelle WSI-Studie belegt. Dafür wurden mehr als 4700 Vergütungsgruppen aus 41 Branchen ausgewertet. Der Untersuchung zufolge ist der Anteil der Stundenlöhne von unter 8,50 Euro zwischen März 2010 und September 2011 von 16 auf 13 Prozent zurückgegangen. Mehr als drei Viertel der tariflich vereinbarten Stundenentgelte liegen demnach bei mindestens zehn Euro. In gewerkschaftlich gut organisierten und von Großbetrieben geprägten Branchen wie der Metall- und Chemieindustrie oder dem Bankgewerbe bekommen nahezu alle Beschäftigten zehn Euro oder mehr.
In 617 der 4700 Entgeltgruppen ist das anders. Sieben Prozent sehen Einstiegslöhne unter 7,50 Euro pro Stunde vor, weitere sechs Prozent liegen zwischen 7,50 und 8,50 Euro. Allerdings weist Bispinck darauf hin, daß manche der unteren Gruppen nur für wenige, geringqualifizierte Mitarbeiter gelten. Dennoch: In etwa einem Dutzend Wirtschaftszweigen seien tarifliche Niedrigeinkommen relativ weit verbreitet – zum Beispiel in Wachschutzfirmen, im Friseurhandwerk sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe. Dabei sind geringe Tarifeinkommen auch ein Ost-West-Problem. Während Tarifgruppen unter 7,50 pro Stunde mehrheitlich in den neuen Bundesländern vorkommen, finden sich diejenigen zwischen 7,50 und 8,50 Euro vor allem in den alten.
Die Studie macht zudem deutlich, daß die für allgemeinverbindlich erklärten Branchenmindestlöhne das Problem der Billigarbeit ebenfalls nicht lösen, da auch hier einige Vergütungsgruppen unter 8,50 Euro liegen. Vor diesem Hintergrund spricht sich Bispinck für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro aus. »Er würde auch für viele Tarifbeschäftigte eine effektive Erhöhung ihrer Einkommen bedeuten«, meint der Wissenschaftler.
Handzahmer DGB
Mit dem von der CDU propagierten Modell würde aber eben das nicht erreicht. Denn die Partei hält es laut Empfehlung der Antragskommission zum Leipziger Kongreß lediglich für nötig, »eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze in den Bereichen einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert«. Branchen mit Tarifverträgen wären also außen vor. Selbstverständlich könnten die DGB-Gewerkschaften die entsprechenden Vereinbarungen kündigen. Es bestünde jedoch die Gefahr, daß die Unternehmen zum Beispiel mit »christlichen Gewerkschaften« Gefälligkeitstarifverträge unterschreiben und den allgemeinen Mindestlohn so unterlaufen würden. Entscheidend ist aber auch die Höhe der Untergrenze. Die Leiharbeitstarife von 7,01 bzw. 7,89 Euro liegen erheblich unter den 8,95 Euro pro Stunde, mit denen man in Deutschland als Geringverdiener gilt. Und um bei der Rente nach 40 Berufsjahren in Vollzeitarbeit zumindest auf Hartz-IV-Niveau zu kommen, wäre ein Minimum von zehn Euro nötig.
Eine solche Höhe fordert allerdings allein die Linkspartei. Der DGB will sich erst einmal mit 8,50 Euro begnügen, auch wenn ver.di-Chef Frank Bsirske beim Bundeskongreß seiner Organisation als Reaktion auf linke Kritiker meinte, man solle »für den schnellen Anstieg auf zehn Euro« eintreten. Sollte bei den Debatten in den Regierungsfraktionen überhaupt etwas herauskommen, wird dieses Niveau nicht annähernd erreicht werden. Das glaubt auch Jutta Krellmann: »Es ist zu befürchten, daß das Geschacher in der Union zu einem katastrophal niedrigen Mindestlohn führt, der die Betroffenen nicht aus dem Niedriglohnghetto herausholt«, erklärte die Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung der Linksfraktion im Bundestag. Es brauche offenbar das Recht auf politischen Streik, um die Interessen der Mehrheit in dieser und anderen Fragen durchzusetzen.
Quelle: www.jungewelt.de vom 07.11.11
« »Spekulative Finanzprodukte gehören verboten«. Banken in Frankfurt/Main und das Berliner Regierungsviertel sollen am 12. November umzingelt werden. Gespräch mit Christoph Bautz. Interview: Gitta Düperthal. Unser Gesprächspartner Christoph Bautz ist Geschäftsführer des Vereins Campact, der im Internet Kampagnen organisiert, damit sich mehr Menschen in aktuelle politische Entscheidungen einmischen können – Wer sind die Grauen Wölfe ? Im Gespräch mit Serdar Yüksel, DIE LINKE, MdL – NRW, Montag, 14. November 2011, 19:00 Uhr, Spielraum, Prosperstraße 71, 46236 Bottrop »
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