Wolfgang Huste Polit- Blog

Antisemitische Äußerung des FDP-Stadtverordneten von Wangenheim im Frankfurter Stadtparlament geht ungerügt und undiskutiert durch. Von Jutta Ditfurth, Stadtverordnete von ÖkoLinX-ARL im Frankfurter Römer

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Einen Tag nach all den Reden zur Reichsprogromnacht, blieb eine antisemitische Äußerung in der Sitzung des Stadtparlament am 10. November ohne Folgen. Diskutiert wurde der Antrag NR 97 von CDU und Grünen über die dauerhafte kulturelle Nutzung des Hauses Gutleutstr. 8-12. In der Debatte machte der FDP-Stadtverordnete Stefan von Wangenheim Anmerkungen zur Geschichte des Hauses. Er sagte, das Haus habe früher einem Juden gehört, der dann

»die Gunst der Stunde genutzt«

und das Haus verkauft habe, um seine Flucht aus Deutschland zu bezahlen.

Meine empörten Zwischenrufe, das sei schierer Antisemitismus, was denn an jener Stude »günstig« gewesen sei, ob er das antisemitische Klischee des geschäftstüchtigen Juden bedienen wolle, dass er aufhören und die Sache erklären und sich entschuldigen solle, dass gerade Leute, die aus Familien wie seiner und meiner (wir sind verwandt) kämen, verantwortungsbewußt zu sein und Antisemitismus zu bekämpfen hätten, usw. blieben unbeantwortet.

Ich rief in einen toten Raum. Keine Fraktion berief den Ältetestenausschuss ein. Niemand vom Magistrat sagte auch nur ein Wort. Kein CDUler, kein Grüner rührte sich. Die antisemitische Aussage ging im Römer glatt und unbeanstandet durch, nur eine SPD-Stadtverordnete sprach in ihrem Redebeitrag von »Entgleisung«.

Ich wurde vom Präsidium gerügt.

Aber es kam lautes Gegröhle und Stammtischgejohle bei FDP, CDU und Teilen der Grünen auf, als Wangenheim, statt sich zu erklären, im weiteren Verlauf seiner Rede abfällige Bemerkungen über mich machte.

Die Parlamentsmehrheit soll sich künftig alle Reden zum Gedenken an die Reichsprogromnacht und zur Verfolgung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden schenken, wenn der Antisemitismus in den eigenen Reihen sie nicht stört und unbeanstandet durch das Stadtparlament ziehen kann.

Der Zigarettenfabrikant Adam Becker war Eigentümer des Hauses Gutleutstr. 8-12. Er verkaufte sein Haus 1933 an die NSDAP Gauleitung Hessen-Nassau (das Haus hieß fortan Adolf-Hitler-Haus) und bezahlte davon seine Flucht aus Deutschland. Er nutzte also, wie Stefan von Wangenheim (Mitglied einer Partei, die so vielen NS-Faschisten nach 1945 ein wohliges politisches Zuhause bot) meint, die ungeheure »Gunst der Stunde«, den angeblichen Vorteil der Situation.

Die den Massenmord vorbereitende Hetze gegen alle jüdischen Deutschen und jüdischen Europäer begann ja nicht erst im März 1933, als auf Massenkundgebungen der NSDAP behauptet wurde, »der Jude« habe »es gewagt, dem deutschen Volke den Krieg zu erklären«. Am 1. April 1933 gab es in ganz Deutschland gewalttätige Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte, Büros, Arztpraxen. Die Botschaft war klar. Viele Juden begannen, ihre Flucht zu organisieren. Auch Adam Becker.

»Günstig« war die Stunde nur für ihre späteren Mörder.

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 12. November 2011 um 01:22 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. JUTTA DITFURTH
    Stadtverordnete

    Frankfurt/Main, den 16. November 2011

    Offener Brief an die Frankfurter Neue Presse

    Guten Tag,

    ich finde den heutigen FNP-Beitrag (16.11.2011, Lokales, S. 11) über Stefan von Wangenheims (FDP) antisemitische Äußerung im Stadtparlament am 10.11.2011 aus mehreren Gründen missraten:

    1. Ich habe meine Presseerklärung mit der Kritik an Wangenheims antisemitische Äußerung am 11.11.2011 im Frankfurter Stadtparlament an alle mir bekannten Lokalredakteure der FNP gemailt. Das Thema hat die Frankfurter Neue Presse offensichtlich nicht interessiert, genauso wenig wie die Frankfurter Rundschau und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
    Wenn Ihr Kollege »b.to« nun schreibt »Jutta Ditfurth hatte das Thema in jüdischen Foren wie http://www.hagalil.com lanciert« hat das einen merkwürdigen Beigeschmack. Ich habe nichts »lanciert«, ich habe etwas öffentlich gemacht, was Hagalil und andere linke online-Zeitungen Tage früher als Sie und alle anderen Frankfurter Tageszeitungen als Problem begriffen, nämlich sofort.

    2. Der Aufmacher Ihres heutigen Textes ist das arme Opfer Wangenheim, der nun Kritik erfährt und »keine schöne Woche« hinter sich hat. Da ist ihm wohl die Stunde nicht günstig? Er hätte doch so leicht schon während der Sitzung im Stadtparlament am 10.11. seine Bemerkung zurücknehmen, etwas erklären oder sich entschuldigen können. Hat er aber nicht. Statt dessen hat er nach meinen aufklärerischen und auffordernden Zwischenrufen, abfällige persönliche Bemerkungen über mich gemacht, die zu gröhlendem Gelächter bei FDP, CDU und Grünen führten.

    3. Fast das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass niemand im Stadtparlament, außer einer SPD-Stadtverordneten, etwas an seiner Formulierung auszusetzen hatte. Kein Mitglied des Magistrats, kein Stadtverordneter von CDU und Grünen, kein SPD-OB-Kandidat, niemand. Wangenheim selbst hat, unter dem Druck der Kritik von Hagalil u.a. dennoch 5 Tage gebraucht, um seine Bemerkung als »falschen Ausdruck« zu bewerten.

    4. Vom Präsidium gerügt wurde stattdessen ich, weil ich, nachdem keiner meiner inhaltlichen Zwischenrufe Wangenheim dazu brachten, seine Bemerkung zurückzunehmen, ihn ein »Arschloch« nannte. Nicht fein, aber Notwehr. In meinem Wertesystem ist eine deftige Beleidigung immer noch unbedeutender als eine widerwärtige antisemitische Bemerkung über »die Gunst der Stunde«, die 1933 einen Frankfurter Juden sein Haus zu verkaufen zwang, um zu fliehen.

    Dass Ihr Kollege Aussagen aus meiner Pressemeldung von 11.11.2011 verwendet, ohne die Quelle kenntlich zu machen oder sie in Anführungszeichen zu setzen und damit einen Teil meines Textes als seinen ausgibt, sei nur am Rande erwähnt.

    Aktueller Hinweis für Ihre Kollegen vom Bundesteil der FNP (v. 16.11.2011, S. 2):
    Es wurden keine Döner ermordet sondern Menschen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Jutta Ditfurth
    Stadtverordnete / ÖkoLinX-ARL im Römer

    Kommentar: Wolfgang Huste – 16. November 2011 @ 15:38

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