Wolfgang Huste Polit- Blog

»Glaube ist immer fundamentalistisch«. Über Gott und die Welt oder den Ursprung von Himmel und Hölle. Gespräch mit Andreas Kilian. Interview: Reinhard Jellen

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Der Biologe und Chemiker Andreas Kilian hat am Fraunhofer Institut AIS (Autonome Intelligente Systeme) und in der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) zu soziobiologischen Themen geforscht.

Was unterscheidet Wissenschaft vom Glauben?
Wissenschaft ist eine Methode, die mit Hilfe der Empirie und Logik nachvollziehbare und überprüfbare Ergebnisse ermöglicht, aus denen Erkenntnisse und Hypothesen abgeleitet werden können, die falsifizierbar sein müssen. Der religiöse Glauben ist ein Ergebnis, von dem niemand weiß, wie man dort hin gekommen ist, noch wie die Glaubensinhalte zu überprüfen sind. Religiöser Glauben ist immer fundamentalistisch.

Religionen können sich nicht aus sich selbst heraus erklären. Es sei denn, man akzeptiert die Kapitulation der Logik, den Zirkelschluß: Es ist heilig, weil es in den heiligen Büchern steht, und es steht in den heiligen Büchern, weil es doch heilig ist. Wohin sollen denn willkürliche Glaubensannahmen führen, wenn nicht zur nächsten willkürlichen Annahme? Religionen sind in sich geschlossene – zum Teil logisch erscheinende – Argumentationsebenen, die aber keinen überprüfbaren Bezug zu einer nachweisbaren, meßbaren Empirie haben. Das heißt, sie sind als Ganzes von der Realität abgetrennt.

Welche Rolle spielen Wissenschaft und Religion bei der Herausbildung humanistischer Werte? Bleibt dem Menschen, wie der Papst behauptet, ohne theologisches Weltbild nur ethischer Relativismus und moralischer Nihilismus? Bekommt nicht eher der Pontifex Maximus Schwierigkeiten, aus den Geboten eines naturtranszendenten Gottes Werte abzuleiten, die auch hier unten auf der Erde gelten sollen, weil sich eben der Maßstab dieser Werte, der wundertätige Gott, komplett Verstand und Wissenschaft entzieht und alle Interpretation, entgegen dem konservativ-christlichen Festigkeitspathos, reine Willkür ist?

Biologisch betrachtet sind Ethiken auch nur Spielregeln des Zusammenlebens. Sie sind bei allen sozialen Tieren anzutreffen. Als Ergebnis der Verhalten, die sich als positiv für Individuen und Gruppe in der Evolution herauskristallisiert haben. Mit Hilfe dieser Spielregeln lassen sich Gruppendynamiken situativ lenken. Für welche Richtung wir uns in der Entwicklung der Gruppendynamiken entscheiden, ist aber immer willkürlich, da die Evolution kein Ziel hat.

Naturalisten sind sich dieser Willkür bewußt, wenn sie sich eine Zukunft für die Menschheit vorstellen. Der Papst entscheidet sich aufgrund seiner persönlichen Interpretation von heiligen Texten für eine Richtung, die er nicht wissenschaftlich rechtfertigen kann. Einen neutralen Ausweg mit Hilfe von Logik oder Wissenschaft gibt es nicht, weil selbst unser Gehirn auch nur eine Blaupause unserer evolutiven Entwicklung ist. Wir finden »gut«, was in unserer Phylogenie positiv selektiert wurde, und wir finden »schlecht«, was zu individuellen Nachteilen führen kann. Zudem kann niemand ein allgemein akzeptables Ziel nennen, wohin unsere Gesellschaft steuern soll.

Die Frage, die sich uns also stellt, ist: Wollen wir der willkürlichen Interpretation einzelner Herrscher folgen und den krankhaften Versuch starten, Heilige zu werden, oder wollen wir große Teile unserer Natur als gegeben akzeptieren und das ändern, was realistisch zu ändern ist.

Für die Erarbeitung von humanistischen Werten brauchen wir weder Religion noch Offenbarung, sondern gesunden Menschenverstand. Da brechen auch keine Weltbilder zusammen, weil alle Religionen bisher nur auf den Spielregeln existieren konnten, die der Mensch sowieso schon seit dem Pleistozän hat. Nicht umsonst zeigen Untersuchungen, daß alle Menschen auf der Welt über die gleichen Grundbegriffe von Moral und Ethik verfügen. Daran haben auch Religionen nie etwas ändern können. Alles, was wir ändern können, sind die Lebensbedingungen, damit die Menschen die Verhalten zeigen können, die wir als sympathisch empfinden.

Sie erklären wesentliche Glaubensinhalte und -formen mit Erfahrungen, die bereits die Frühmenschen machten, und die dem Menschen im Kampf ums Dasein Entwicklungsvorsprünge bescherten. Heutzutage seien sie auch kontraproduktiv wirksam. Können Sie dafür Beispiele geben? Ist dieser Sprung von der Frühzeit in die Gegenwart nicht allzu gewagt?
Ich spekuliere gerne und lade jeden dazu ein mitzuspekulieren. Für unsere geistige Entwicklung gibt es keine Fossilfunde, mit denen etwas nachgewiesen werden könnte. Alles, was wir haben, sind unser rezenter Status Quo sowie gewisse plausible Annahmen aufgrund von Indizien, wie es in unserer Evolution zugegangen sein könnte.

Davon ausgehend, daß unsere Vorfahren auf Bäumen gelebt und dort Schutz vor Raubtieren gefunden haben, wage ich die Behauptung, daß wir die Richtung »Oben« und den Eindruck »Licht« mit der Rettung unseres Lebens, während wir alles unter unseren Füßen mit dem Begriff »Böse«, »Raubtier« oder zumindest mit der Empfehlung »Vorsicht« assoziieren. Diese uralten und wahrscheinlich bei vielen Baumbewohnern anzutreffenden Grundempfindungen betrachte ich als Grundlage für unsere Vorstellungen von Himmel und Hölle. Engel sind immer Lichtwesen mit einer Aura oder einem Lichtnimbus. Teufel haben Ähnlichkeit mit Fleischfressern und wohnen unter der Erde.

Ein weiteres klassisches Beispiel ist die Interpretation von Gegenständen. Wer von unseren Vorfahren in der Savanne nicht entscheiden konnte, ob es sich um einen Löwen oder einen Termitenhügel handelt, der tat gut daran, lieber einmal zuviel als ein einziges mal zu wenig einen großen Bogen darum zu machen. Überlebt und fortgepflanzt haben sich zumindest nur die, die auch in unbelebte Gegenstände etwas Lebendiges hineininterpretiert haben. Und so verwundert es nicht, wenn wir auch heute noch Computer anschreien und Ampeln um ein sattes Grün beschwören. Soweit der kleine Aberglaube und soweit in Ordnung.

Von biologischer Überinterpretation kann aber wohl gesprochen werden, wenn ich Holzfiguren schnitze und sie um Glück anbete. Hier hat sich wohl die einst biologisch sinnvolle Software etwas verselbstständigt. Kontraproduktiv wird es in dem Augenblick, wo ich dieses Verhalten auch von anderen Artgenossen verlange.

In seinem Buch »Die Logik der Nicht-Logik. Wie Wissenschaft das Phänomen Religion heute biologisch definieren kann.« (Alibri Verlag 2010) zeigt Kilian die Ausrichtung des menschlichen Gehirns auf die Bewältigung von Situationen im urzeitlichen Überlebenskampf. Es sucht bei lebenswichtigen Angelegenheiten zuallererst nicht die beste, sondern der schnellste Lösung, und so zeichnet sich das Verhalten des Menschen nicht durch Weitsichtigkeit, sondern Schnelligkeit und Effektivität aus. Die Komplexitätsreduktion verschafft ihm einen überlebenswichtigen Zeitvorteil, dafür muß er mit Denkabbreviaturen wie Vorurteil und Intuition operieren. Die Wissenschaft untersucht diese Inhalte, und was sich dem rational gesicherten Wissen entzieht, bleibt übrig als Religion, deren unterkomplexe Antworten aus der menschlichen Evolution entstanden sind.

Quelle: www.jungewelt.de vom 30.12.11

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 30. Dezember 2011 um 00:01 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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