Wolfgang Huste Polit- Blog

Zum Sinn und Unsinn von antikapitalistischer Kritik – Antikapitalismus reloaded!

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Wir verstehen uns als Antikapitalist_innen. Die Überwindung der kapitalistischen Warenproduktion, die Abschaffung von Staat, Nation und Kapital, der Bruch mit Deutschland: Das alles meinen wir wirklich ernst. Aber seien wir ehrlich: die Revolution wird wohl in den nächsten Stunden, Tagen, Wochen, Monaten und wahrscheinlich auch Jahren ausbleiben. Antikapitalismus bedeutet für uns deshalb, die Geschichte antikapitalistischer Gruppen und Bewegungen kritisch zu hinterfragen, die eigene Politik auf ihren kritischen und emanzipatorischen Gehalt zu überprüfen und reaktionäre und reformistische Tendenzen zu kritisieren. Antikapitalismus bedeutet, den Kapitalismus zu verstehen, zu kritisieren und aufzuzeigen, wieso die Marktwirtschaft als solche, trotz aller Errungenschaften, als Angriff auf die individuelle Gesundheit und Freiheit zu bewerten, deshalb abzulehnen und letztlich abzuschaffen ist. Angriffspunkte bietet uns der Kapitalismus viele:
Millionenfaches globales Elend, während die modernen Produktionsmöglichkeiten ein mehr oder weniger luxuriöses Leben für alle ermöglichen könnten, Tausende verhungernde Menschen jeden Tag, obwohl mehr als genug Lebensmittel zur Verfügung ständen, die tägliche Verrichtung der Lohnarbeit, die uns unsere Freizeit klaut, während gleichzeitig Menschen am Existenzminimum leben, weil sie sich im Konkurrenzkampf um den Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft nicht durchsetzen konnten oder wollten usw.
Und auch die Krisen, in die sich der Kapitalismus immer wieder stürzt, können wie bei der Demonstration des „Linken Aktionsforums Witten“ Anlass für Kritik und Protest sein. Wir wollen uns daher mit den Forderungen der Demonstration auseinandersetzen, die für sich beansprucht, „gegen die kapitalistische Ausbeutung“ zu sein und mobilisieren außerdem zu einem eigenen radikal-antikapitalistischem Antifablock.

1. Ist die Forderung nach der Einführung einer Transaktionssteuer, die Forderung, Banken in die öffentliche Hand zu übergeben, das Schluss-machen mit „Wetten und Spekulationen“ und das Verbot von Hedgefonds und anderen Finanzmarktprodukten antikapitalistisch?

Nein! Denn diese Forderungen verbleiben in der Logik des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Es ist eine Illusion, zu glauben, den Kapitalismus bändigen zu können, um ihn für die Teilnehmer_innen des Ganzen angenehmer gestalten zu können. Ob Banken jetzt privat oder öffentlich verwaltet werden, verändert nichts an ihrem Charakter eines profitorientierten Geldunternehmens. Das der Staat / das Land / die Kommunen gerne mitverdienen würden, um größere finanzielle Spielräume in der Ausgestaltung der Politik zu haben, mag Sinn oder keinen Sinn ergeben, am kapitalistischem Wirtschaften der Banken kann das aber nichts ändern. Das gleiche gilt für die Einführung der Transaktionssteuer. Unabhängig von der Frage, ob sich „die Märkte“ so regulieren ließen und sich die Marktwirtschaft tatsächlich sozialer gestalten würde, wird der Kapitalismus nicht dadurch positiv überwunden, dem Staat als „ideellem Gesamtkapitalisten“ (Engels) und Träger des Gewaltmonopols, der verantwortlich für die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Nation und des Standortes ist und mit seiner Politik die sozialen, sicherheitspolitischen und ökonomischen Spielräume gestaltet, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Und auch die Forderungen nach Verboten von Hedgefonds und Spekulationen ändern nichts am Charakter der Produktion im Kapitalismus, die sich einen Dreck um die Bedürfnisse der Menschen schert, solange diese sich nicht in zahlungsfähiger Nachfrage darstellt. Werden die marktwirtschaftlichen Gründe für die  Phänomene der Finanzsphäre des Kapitals nicht genauer erklärt, sondern nur aufgrund eines noch so berechtigten Ungerechtigkeitsempfindens gebrandmarkt, besteht vielmehr die Gefahr, Vorurteile über die Trennung von „guter schaffender Arbeit“ und „böser abstrakter Geldvermehrung“ zu schüren, die einer radikalen Kritik des Kapitalismus entgegenwirken.

Ist die Feststellung, dass Menschen keine Ware seien, die auf Arbeitsmärkten verhökert werden können, antikapitalistisch, wenn daraus nur der Ruf nach einem Verbot der Leiharbeit resultiert? Wie sieht es aus mit dem Mindestlohn? Ist das Ende der Hartz4-Gesetze der Beginn der befreiten Gesellschaft? Und der Ruf nach der Demokratisierung der Unternehmen und nach Entscheidungsgewalt für ArbeitnehmerInnen ein revolutionärer Akt?
Natürlich nicht und das möchte hoffentlich auch niemand ernsthaft behaupten. Menschen sind im Kapitalismus nämlich in der Tat eine Ware, bzw. Träger der Ware Arbeitskraft, die es den Kapitalisten ermöglicht, durch den Kauf eben dieser Ware neue Waren an der Profitmaximierung orientiert zu produzieren. Das Ganze wird natürlich um so effizienter für die Unternehmen, je günstiger die Ware Arbeitskraft dabei verkauft wird. Dass Leiharbeit und wenig Lohn scheiße sind, ist offensichtlich. Das Lohnarbeit aber generell scheiße ist, sollte nicht unerwähnt bleiben: Du verkaufst dich, um an Geld zu kommen, damit du am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren kannst. Das ist so, weil der Kapitalismus auf dem Eigentum an Produktionsmitteln und dem daraus resultierenden Eigentum an Waren und Gütern aufgebaut ist, die sich nur durch den Kauf, also mit Geld, erstehen lassen. Genau hier liegt das Problem, nicht bei der Höhe des Lohns. Und die unerträglichen Hartz4-Gesetze ergeben kapitalistisch betrachtet eben auch Sinn, sie erhöhen die Konkurrenz unter denen, die zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen sind und senken so die Erwartungen der Arbeitnehmer_innen an ihren zukünftigen Arbeitsplatz in puncto Sicherheit, Lohnhöhe, Länge des Arbeitstages usw. Ob jemand seine eigene Ausbeutung dann auch noch demokratisch mitbestimmen kann, ist erstens ziemlich scheißegal und zweitens unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen in der Durchführung unrealistisch. Ein Unternehmen muss möglichst effizient agieren, um in der kapitalistischen Konkurrenz bestehen und sich gegen andere Unternehmen behaupten zu können. Führt ein/e Unternehmer_in langwierige demokratische Prozesse in die Struktur seines/ihres Unternehmens ein, ist er/sie gegenüber einem anderen Unternehmen, das durch klare Hierarchien organisiert und daher evtl. schneller auf Tendenzen innerhalb der Wirtschaft reagieren kann, klar im Nachteil und wird bald insolvent gehen. Die Arbeitnehmer_innen können dann wieder sehen, wo sie bleiben. Auch hier ist also ein Herum-Reformieren an Symptomen des Systems nicht unbedingt hilfreich, wohl aber taugen alle diese Beispiele als Angriffsfläche eines absurden Wirtschaftssystems für eine radikale Kritik – wenn man denn kann und möchte.

3. Sind hohe Steuern und Umverteilung praktizierte Kapitalismuskritik? Machen transparente Verträge den Kommunismus aus? Ist die Beteiligung der Menschen an der Verwaltung des täglichen Wahnsinns antikapitalistisch? Und öffentliches Eigentum?
Wie bereits erwähnt, helfen das Erhöhen der Einnahmen eines Staates nicht dabei, diesen als Teil des Problems zu erkennen und wegen seiner Funktion u.a. als rettende Kraft des Kapitalismus in Krisenzeiten abzuschaffen. Das Umverteilung zwar `ne schöne Sache sein kann, aber nichts an der Art und Weise von gesellschaftlicher Produktion und Organisation ändert und man sich immer noch jeden Tag gegen Lohn verkauft, sollte auf einer antikapitalistischen Demonstration vielleicht ebenfalls erwähnt werden?! Und transparente Verträge und Beteiligung an politischen Prozessen ändern auch nichts am Grund für die ganze Misere, dem Kapitalismus selber. Die Bekämpfung von Korruption ist im Gegenteil oft fördernd für einen Wirtschaftsstandort, weil die Unternehmen wissen, dass sie auf der gleichen rechtlichen Grundlage wirtschaften können, wie ihre Konkurrenz. Korruption ist damit zwar ein Produkt kapitalistischer Konkurenz, der positiven Entwicklung eines Wirtschaftsstandort nach kapitalistischen Standarts beurteilt aber nicht zutragend. Und ob ich mich an dem ganzen Elend auch noch beteiligen darf, mag zwar einen kleinen Unterschied machen, hat aber nichts mit Antikapitalismus zu tun. Die Verstaatlichung, bzw. die Durchsetzung von öffentlichem Eigentum gegenüber Privatisierungen, mag für die Betroffenen Arbeitnehmer_innen und Nutzer_innen manchmal erträglicher sein, gab es in letzter Konsequenz aber auch schon in der DDR und anderen sozialistischen Staaten. Das nannte sich dann real existierender Sozialismus, baute immer noch auf der Warenproduktion, Lohnarbeit und Geldwirtschaft auf, hat außerdem nicht funktioniert und stand auch der marxschen Vorstellung der Verwirklichung eines Kommunismus als „Verein freier Individuen“ antagonistisch gegenüber.

Gegen Staat, Nation und Kapital! Nie wieder Deutschland! Für den Kommunismus!


Kritik ist nicht gleich Kritik. Und trotzdem gilt es, sich in soziale gesellschaftliche Prozesse und Proteste einzuschalten. Nicht, um dann das gleiche wie alle zu machen: Forderungen nach als gerecht empfundenen Reformen innerhalb des Kapitalismus zu stellen ohne dessen absurde Logik zu erkennen, zu benennen und zu kritisieren. Nur um dann hinterher festzustellen, dass sich doch nichts geändert hat und man mit seinen Vorschlägen keinen Erfolg hatte. Sondern, um erstens gerade anhand der Perversitäten des kapitalistischen Alltags aufzuzeigen, wie der Kapitalismus arbeitet und weshalb er im ganzen abzuschaffen ist. Um zweitens dem nationalistischem Taumel, der bedingungslosen Identifikation mit der deutschen Nation, ein Ende zu bereiten und die autoritären Forderungen nach einem starken Staat als Angriff auf die individuelle Freiheit abzuwehren. Um drittens deutsche Hegemonie-Bestrebungen innerhalb der EU aufzuzeigen und der Hetze der Medien und dem xenophobem, antisemitischem und nach unten tretendem, nach oben buckelnden deutschen Mob etwas entgegenzusetzen. Um viertens den sich auf dem Vormarsch befindenden reaktionären Ideologien und den Anhängern gefährlicher weil verkürzter und personifizierter „Kritik“ eine Absage zu erteilen. Kurz: Um der alten Forderung „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen“ (Marx) ist, ernsthaft Nachdruck zu verleihen.
Wir erklären uns deshalb solidarisch mit den Opfern der kapitalistischen Verwertungslogik, den Prekären, den Verfolgten, den Flüchtlingen, den Hungernden und allen Menschen, die versuchen, der kapitalistischen Barbarei und dem Wahn regressiver Ideologie etwas entgegenzusetzen. Wir fordern nicht weniger, als das Ende der kapitalistischen Gewalt.
In diesem Sinne schließen wir uns dann doch, sozusagen als Anerkennung eines kleinsten gemeinsamen Nenners, der uns verbindet, den Forderungen des „Linken Aktionsforums Witten“ nach alternativen Wirtschaftsformen, dem Überwinden der Geldwirtschaft und der Forderung nach einer solidarischen Gesellschaftsordnung an, womit wir für unseren Teil die gesellschaftliche Organisation der Gebrauchswertproduktion zwecks Befriedigung von Bedürfnissen freier Individuen, die befreite Gesellschaft, kurz: den Kommunismus, meinen.
Die Kritik organisieren! Deutschland verraten! Den Kapitalismus überwinden!
Beteiligt auch am radikal-antikapitalistischem Antifa-Block der Demonstration am 04. Februar 2012 in Witten!

Quelle: Kritische Intervention Witten (KIWi), Januar 2012

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 29. Januar 2012 um 12:52 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. Der Text ist insgesamt in Ordnung. Dennoch einige kritische Anmerkungen hierzu:

    1. Solidarität unter den Ausgebeuteten ist immer konkret, sie setzt in der kapitalistischen Welt an und ist insofern zunächst ein begrenzter, für die Hüter der reinen Lehre „immanenter“ Widerstand. Dennoch ist bereits dieser Widerstand in gewisser Hinsicht antikapitalistisch, da keineswegs vorrangig an den Interessen der Kapitalisten orientiert. Er ist eine wichtige Grundlage jeder linken Politik, um Grunderfahrungen (Solidarität, Kampferfahrung, Wissen um Strukturen der Gegenseite etc.) in der ökonomischen Sphäre des Kapitalismus zu bekommen.
    2. In den dann folgenden Auseinandersetzungen werden einerseits die Interessen der einzelnen Kapitalisten deutlich, andererseits kann nur durch eine linke, sozialistische Perspektive dauerhaft eine zusätzliche Kraft erwachsen.
    3. Daraus folgt: Den Widerspruch zwischen Radikalität und Realpolitik gibt es in Wahrheit nicht. Diesen Widerspruch für bare Münze zu nehmen und im „Volksbewußtsein“ war zudem ein Erfolg konservativer und neoliberaler Ideologien, insbesondere in den 80er Jahren. Leider haben große Teile der „Radikalen Linken“ diesen Scheiß von links her übernommen. Der Zerfall in immer kleinere und kleiner werdende Sekten und Zirkel war die Folge.
    4. Zum Thema „Überwindung der Geldwirtschaft“ bedarf es einer eingehenden kritischen Würdigung. Da ich heute zu faul bin dazu, mache ich es mit (Robert) Kurz:
    http://www.linke-buecher.de/texte/krisis/Kurz-Robert–Politische-Oekonomie-des-Antisemitismus.htm

    Alles in allem: Ein Grund mehr DIE LINKE. als Projekt zu begreifen (und dafür in Partei und Öffentlichkeit zu streiten) welches Beides ist: Radikal / sozialistisch und realpolitisch.
    LG

    Martin

    s. auch:
    http://wolfgang-huste-ahrweiler.de/2012/01/21/vision-einer-postkapitalistischen-gesellschaft-von-wolfgang-huste/comment-page-1/#comment-4455

    Comment: Martin Krötz – 19. Februar 2012 @ 12:52

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