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Legal illegaler Müll. In Sachsen-Anhalt laufen die Ermittlungen um einen der größten Umweltskandale weiter. Ein Landrat steht am Pranger, das Land weist die Verantwortung von sich. Von Susan Bonath

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Möckern und Vehlitz im Kreis Jerichower Land (Sachsen-Anhalt): Zwei ehemalige Tongruben stinken zum Himmel. In Vehlitz warnen Schilder vor dem Betreten des Geländes und weisen auf Explosionsgefahr hin. Dahinter brodelt ein hochgiftiges Gemisch aus Methan und Schwefelwasserstoff – das Resultat jahrelanger rechtswidriger Entsorgungen von Haus- und vermutlich auch Sondermüll. Bekannt wurde der Skandal 2008. In den Gruben liegen weit über eine Million Tonnen illegal abgekippte hausmüllähnliche Abfälle. Was Firmen Millionengewinne verschaffte, soll aus Steuermitteln saniert werden. Geschätzte Gesamtkosten für eine »kontrollierte Verrottung mit Gefahrenabwehr«: rund 30 Millionen Euro. Vor zwei Jahren wurde ein Untersuchungsausschuß eingesetzt. Neben einem Umweltverfahren ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Grubenbetreiber, hohe Beamte, aber auch Verantwortliche aus den Landesbehörden. Die haben offenbar jahrelang weggesehen, Warnungen ignoriert, Genehmigungen ausgestellt.

Experten schätzen, daß für die Anwohner noch bis 2030 erhebliche Gesundheitsrisiken bestehen werden. Der Betroffene und Linksparteipolitiker Helmut Unger wirft dem Land »zögerliches Handeln« vor. Nur in Möckern erfolge eine umfassende Gefahrenabwehr: »Mit Anlagen wird austretendes Methan aufgefangen und verbrannt, an den Seiten hat man eine wasserabweisende Schicht eingebracht«, so Unger, der in dem Ort Stadtrat ist, am Wochenende im Gespräch mit junge Welt. Vehlitz dagegen gleiche mehr einem Provisorium, »was wohl an der Größe liegt«. Frank Esters vom Bergamt räumte am 4. Januar gegenüber dem MDR-Magazin »Exakt« schwerwiegende Umweltbelastungen ein. Bohrungen hätten unter anderem ergeben, daß die Grenzwerte für Arsen um das 60fache, für Chrom sogar um das 230fache überschritten sind.

Auf Anfrage von junge Welt ließ das Wirtschaftsministerium am Freitag durchblicken, daß es nicht gewillt ist, auf einige Punkte einzugehen, und verwies auf den parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Dessen Abschlußbericht von 2011 hatte der CDU-SPD-Koalition dazu verholfen, das Thema zunächst ad acta zu legen. Ein alter Hut: Jede Behörde versucht, der anderen die Zuständigkeit unterzuschieben. Zeugen aus den Ämtern glänzen mit »kollektivem Gedächtnisschwund«. Die Linkspartei sieht die Hauptverantwortung für den Müll­skandal beim Landeswirtschaftsministerium und dessen damaligem Chef Reiner Haseloff (CDU). Die Mitglieder der Regierungsparteien sehen die Verantwortung dagegen bei den jeweiligen Landkreisen und deren unteren Abfallbehörden. Sie seien für die Kontrollen der Deponien zuständig gewesen. Für Genehmigungen und Betriebspläne allerdings war das Bergamt zuständig. Das wiederum unterstand der Fachaufsicht des Wirtschaftsministeriums.

Ministerpräsident Haseloff muß das klar gewesen sein: Sofort nach Auffliegen des Skandals 2008 feuerte er den Bergamtspräsidenten Armin Forker. Der klagte sich jedoch erfolgreich zurück. Obwohl nun wieder als Präsident geführt, übt er sein Amt aber nicht aus. Bis heute ist er »ins Wirtschaftsministerium abgeordnet«. Dort habe man einen Energiefachmann benötigt, so die Begründung gegenüber junge Welt. Damit ist die »Akte Forker« offenbar geschlossen. Später fand Haseloff einen weiteren Schuldigen: die Veolia Umweltservice GmbH. Im August 2011 sagte er der Mitteldeutschen Zeitung (MZ): Da das Unternehmen rund ein Drittel des Hausmülls geliefert habe, verlange man von ihm eine Sanierungsbeteiligung von 14,5 Millionen Euro. Der Konzern bestreitet sowohl den Hausmüll als auch die Anfrage. Ein von der MZ zitiertes Gutachten, das Veolia belasten soll, kenne man nicht. »Alle von uns gelieferten Materialien entsprachen den von den Landesbehörden genehmigten Abfallschlüsseln«, versicherte Sprecher Tobias Weitzel gegenüber jW. Das könne man belegen.

Im Visier der Justiz steht seit 2011 auch ein Polizeidirektor: Armin Friedrichs wird verdächtigt, als früherer Leiter des Kreisreviers gegen Geld die Müllschiebereien gedeckt zu haben. Das Innenministerium nahm ihn damals aus der Schußlinie. Antworten zum Stand der Dinge blieb die Staatsanwaltschaft jW gegenüber schuldig. Aus dem Ministerium hieß es nur, er sitze seitdem im Technischen Polizeiamt. Ein Prozeß wird in der Sache gegen den Jerichower Landrat, Lothar Finzelberg, geführt. Lokale Medien überschlugen sich in den letzten Monaten mit Berichten. 370000 Euro soll der Parteilose für die Beschaffung von Genehmigungen kassiert haben. Das geht aus Aussagen des Exgeschäftsführers der Tongrubenbetreiberfirma, Uwe Schneider, hervor. Schneider sitzt eine siebenjährige Haftstrafe wegen anderer Delikte ab und gilt als Kronzeuge. Finzelberg soll geflunkert haben, was seine Geschäftsbeziehungen betrifft. Der Landrat, der den Kreistag hinter sich weiß, bestreitet das. Er fühlt sich als Bauernopfer und »einer Medienkampagne ausgesetzt«, heißt es in seiner Stellungnahme an das Amtsgericht Burg. Bisher sei »nichts von Schneiders Aussagen bewiesen«, klagt er. Die Verantwortung für den Müll sieht er allein beim Wirtschaftsministerium und beim Bergamt. Von »illegal« könne man nicht sprechen. »Die Betreiber handelten den Genehmigungen zufolge formal legal«.

Nun schweigt Finzelberg gegenüber den Medien. Nach dem letzten Prozeßtag am 24. Januar gab es auch kaum mehr eine Berichterstattung. Grund könnten Aussagen einer Zeugin aus der Kreisverwaltung sein, die die Landesbehörden belastet haben sollen. Ein Beobachter sagte am Montag gegenüber junge Welt, sie habe sich an »Dienstanweisungen von oben« erinnert, nach denen die Abfallbehörde des Kreises »keinesfalls eigenmächtig handeln durfte«. Somit könne der Landrat gar nicht selbst für Genehmigungen gesorgt haben.

Quelle: www.jungewelt.de vom 31.,01.12

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 31. Januar 2012 um 11:09 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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