Wolfgang Huste Polit- Blog

»Strafvollzug in der DDR zielte auf vollwertige Wiedereingliederung« Vorwürfe über »Zwangsarbeit« von Gefangenen dienen einzig der weiteren Delegitimierung des »Unrechtsstaates«. Ein Gespräch mit Hans Bauer. Interview: Rainer Rupp

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Hans Bauer war bis 1990 stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR. Heute arbeitet er als Rechtsanwalt in Berlin. Er ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Gesellschaft für Rechtliche und Humanitäre Unterstützung (GRH) mit Sitz in Berlin, die gegen politische Strafverfolgung und Kriminalisierung von DDR-Bürgern kämpft und sich für Rehabilitierung, Gerechtigkeit und Historische Wahrheit einsetzt

Der Begriff »Zwangsarbeit« wird normalerweise mit dem Hitlerfaschismus und den Verbrechen der Nazis assoziiert. Unter Ausnutzung dieser Gedankenverbindung haben die bürgerlichen Medien in den vergangenen Wochen ihre Leser und Zuschauer urplötzlich mit reißerischen Berichten über »Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen« überschwemmt. Was steckt hinter dieser Offensive?

Angesichts der umfassenden, bisheriger Lügen und Halbwahrheiten über die DDR wird es in der Tat immer schwieriger, Neues über den angeblichen »Unrechtsstaat« zu erfinden. Da ist den Auftragsforschern der Herrschenden jedes Mittel recht, um von den sozialen Ungerechtigkeiten und Verbrechen ihres maroden Systems abzulenken. Zugleich sind die »Experten« bemüht, mit immer neuen Entdeckungen von »DDR-Unrecht« sich noch viele Jahre hochdotierte Posten zu sichern. Gleichzeitig wird mit der »Zwangsarbeit«-Offensive eine neue Gruppe von Menschen geschaffen, die sich mit Aussicht auf Entschädigung nur zu gern als »Opfer« zur Verfügung stellen und erzählen, was von ihnen erwartet wird.

Was konkret wird der DDR vorgeworfen?

Daß nach den Gesetzen der DDR rechtskräftig zu Freiheitsentzug verurteilte Straftäter, darunter auch politische, im Gefängnis einer Arbeit nachgehen mußten. Die Ausgestaltung der Tätigkeit im Arbeitsprozeß während des Strafvollzugs war eindeutig geregelt. Grundsätze des Arbeitsrechts fanden entsprechende Anwendung, so der Gesundheits- und Arbeitsschutz, die Arbeitszeit, die Entlohnung, der Einsatz unter Beachtung des Gesundheitszustandes und der fachlichen Fähigkeiten des Gefangenen sowie die berufliche Qualifizierung. Gesetzlich geregelt waren Kranken- und Rentenversicherung sowie Unterhaltsverpflichtungen. Bei Jugendlichen wurde großer Wert auf eine Berufsausbildung gelegt. Der Arbeitseinsatz erfolgte in volkseigenen und in gleichgestellten Betrieben.

In den Gefängnissen der Bundesrepublik gilt die Arbeitspflicht ebenso wie früher in der DDR. Wo liegt der Unterschied?
Ganz klar, in der DDR »mußten« die Gefangenen für die sozialistische Wirtschaft ihres Landes arbeiteten. Laut Definition der »Experten« heute ist das Zwangsarbeit gewesen, denn die Gefangenen waren gezwungen, für einen »Unrechtsstaat« und nicht wie in der BRD für einen freiheitlich demokratischen Rechtsstaat zu arbeiten.

Aus der wissenschaftlichen Literatur geht hervor, daß die DDR fast ein ganzes Jahrzehnt vor der BRD den modernen, humanitären Strafvollzug eingeführt hat. Und selbst im Internetlexikon Wikipedia kann man lesen: »In der DDR trat das Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz (SVWG) am 12. Januar 1968 in Kraft, welches explizit den Erziehungsgedanken im Vollzug enthält. Ab 1977 wurde mit dem in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz (StVollzG) in der BRD Resozialisierung als vorrangiges Ziel der sozialen Integration vor den sonstigen Aufgaben des Vollzugs betont.«
Nun ja, die Fakten sind klar! Aber zur Umsetzung des politischen Auftrags der Delegitimierung und Verteufelung des Sozialismus in der DDR werden sie konsequent ignoriert. Natürlich war in den Hungerjahren nach dem Ende des von den Nazis entfachten Kriegs auch der Strafvollzug in der DDR kein Zuckerschlecken. Es fehlte an allem, insbesondere auch an ausgebildetem Personal, das die schon von Karl Liebknecht entwickelte und schon früh von der DDR-Führung aufgegriffene Idee des erzieherischen Strafvollzugs – mit dem Ziel der vollwertigen Wiedereingliederung in die Gesellschaft – hätte umsetzen können. Aber das Bemühen darum war von Anfang an vorhanden und konnte bereits 1968 in Gesetzesform gegossen und schrittweise umgesetzt werden.

Dagegen herrschten nach 1945 – wie überall im Justizapparat der BRD – auch im Strafvollzug weiterhin Nazimethoden und Nazigesinnung, oft mit dem gleichen Personal, bis in die 1970er Jahre. Fortschrittlichen Strafvollzugsreformern wie Albert Krebs ist es zu verdanken, daß nach einem langen Kampf – ich zitiere aus dem im Westen erschienenen Buch »Strafvollzug in der Praxis« von Hans Dieter Schwind und Günter Blau – »die fast überall noch vorhandenen Reste des nationalsozialistischen Vergeltungsvollzugs 1977« überwunden wurden.

Nach sieben Jahren Haft, die ich von 1993 bis 2000 in verschiedenen Vollzugsanstalten der BRD abgesessen habe [Rainer Rupp hatte in den 70er und 80er Jahren Informationen aus dem Inneren der NATO an den Auslandsgeheimdienst der DDR geliefert und war dafür 1993 zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt worden – jW], kann ich nur sagen, daß zwischen den hohen, humanitären Ansprüchen auf dem Papier des BRD-Strafvollzugsgesetzes und der dumpfen Realität des Alltags in den zu 50 bis 70 Prozent überfüllten Anstalten eine tiefe Kluft klafft. – Aber wie stehen Sie zu dem Vorwurf der »Zwangsarbeit«-Propagandisten, daß es der DDR dabei nur um den Profit ging.
Das DDR-Strafvollzugsgesetz (StVG) von 1977 legte fest: »Im Mittelpunkt des Vollzugs der Strafen mit Freiheitsentzug steht die Erziehung durch gesellschaftlich nützliche Arbeit.« Das war keine Erfindung der DDR, sondern entsprach und entspricht auch heute noch modernen Erkenntnissen der Kriminologie und der Strafrechtswissenschaft. Das StVG und das Wiedereingliederungsgesetz der DDR von 1977 ließen sich dabei von der Erkenntnis leiten, daß »gesellschaftlich nützliche Arbeit« – nicht irgendeine Beschäftigung (!), die im Paragraph 41 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) der BRD sogar als Arbeitspflicht bezeichnet wird – Verantwortungs- und Pflichtbewußtsein der Menschen stärken und damit die beste Voraussetzung für eine Resozialisierung darstellt.

Als unfreiwilliger »BRD-Knastexperte« weiß ich, wie froh Gefangene sind, wenn sie eine Arbeit ergattern können. Arbeit bedeutet raus aus der Zelle, Kontakt mit anderen Menschen, die Möglichkeit, sich durch kleine Erfolge zu beweisen. Aber wie in der kapitalistischen Gesellschaft draußen hat der Mensch hinter Gittern auch kein Recht auf Arbeit. In der Regel müssen über 50 Prozent der Gefangenen ihre Zeit in überfüllten Zellen absitzen. So werden die Haftanstalten zu Kaderschmieden des Verbrechens. Es werden neue Pläne entworfen, deren Umsetzung durch die fast garantierte Arbeitslosigkeit nach der Entlassung besonders begünstigt wird. Wie war es in der DDR mit der Wiedereingliederung der Gefangenen?
Hierfür gab es ganze Programme. Zentraler Punkt war das Recht auf Arbeit, das jedem DDR-Bürger, auch den Gefangenen, in der Verfassung als grundlegendes soziales Recht garantiert war. Die Arbeitseinsatzbetriebe trugen besondere Verantwortung für die Gestaltung des Arbeitseinsatzes des Gefangenen. Sie hatten Mitarbeiter zu bestimmen, die neben den sonstigen Voraussetzungen pädagogische Fähigkeiten besaßen, um mit Gefangenen zu arbeiten, sie anzuleiten und zu kontrollieren. Diese Mitarbeiter waren keine Angehörigen des Strafvollzugs. Die Arbeit der Gefangenen wurde überwiegend außerhalb der Strafvollzugseinrichtungen ausgeübt, oft gemeinsam mit den Mitarbeitern der Betriebe und ohne besondere Bewachung. Nicht selten wurden die Gefangenen nach ihrer Entlassung von den Betrieben direkt übernommen.

Wurden diese Erfolge des DDR-Strafvollzugs auch international wahrgenommen?
Als Teilnehmer internationaler Kongresse, darunter von den Vereinten Nationen, konnte ich persönlich die Wertschätzung vieler Fachleute, auch aus westlichen Ländern, für unsere Tätigkeit auf diesem Gebiet erfahren. Der Strafvollzug in der DDR entsprach weltweit hohem Niveau. Die Erkenntnisse der DDR bei der Vorbeugung von Kriminalität, einschließlich der Erziehung von Straftätern und der Gestaltung eines sinnvollen Strafvollzugs, waren gefragt. Kein Gremium der UNO hat jemals Kritik am Strafvollzug der DDR geübt, schon gar nicht von »Zwangsarbeit« geredet. Im Gegenteil, in Berichten, Ausschüssen und in Fachgesprächen fanden unsere Überlegungen zur Gestaltung eines Strafvollzugs, in dem gesellschaftlich nützliche Arbeit im Zentrum stand, große Zustimmung. Einige Staaten hatten entsprechend ihren Möglichkeiten das Beispiel DDR sogar aufgegriffen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 21.06.12

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 21. Juni 2012 um 08:51 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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