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Wer warnte den V-Mann? Spitzel Tino Brandt konnte sich Strafverfolgung entziehen – Erfurter Untersuchungsausschuß fördert Unglaubliches beim Landesverfassungsschutz zutage. Von Sebastian Carlens

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Der ehemalige Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV), Harm Winkler, hat dem Inlandsgeheimdienst am Dienstag vor dem Erfurter Untersuchungsausschuß zur Zwuckauer Terrorzelle einen desolaten Zustand bescheinigt. So seien Sicherheitsbedenken gegen Abteilungsleiter im Verfassungsschutz von seinen Vorgesetzten im Landesinnenministerium nie beantwortet worden. Ein Mitarbeiter habe den ehemaligen Innenstaatssekretär Michael Lippert gewarnt, daß ein Rechtsextremer in Thüringen eine Organisation gründen wolle. Der Staatssekretär habe ihn gefragt, ob er »nichts Besseres zu tun« habe, berichtete Winkler. Bereits am Montag hatte das Gremium Winklers Nachfolger, Helmut Roewer, befragt. Dessen Aussagen beförderten vor allem Skurrilitäten über das Geheimdienstgeschäft zutage. Roewer, der das Amt von 1994 bis zum Jahr 2000 leitete, schilderte seine Behörde als durchgehend inkompetent und unqualifiziert. Es sei »überhaupt nichts vorhanden« gewesen, als er die Stelle antrat, niemand habe eine entsprechende Ausbildung zum Verfassungsschützer gehabt, »außer ich« – »Ich galt als Spitzenkraft. So ist das.«

Etwas anderes als dieser Rundumschlag gegen die einstigen Kollegen blieb Roewer kaum übrig, denn vor ihm hatten zwei hochrangige ehemalige Mitarbeiter des TLfV ausgesagt, die ihrerseits kein gutes Haar an der Führung Roewers ließen (jW berichtete). Radfahrten auf den Behördenfluren, nackte Füße auf dem Schreibtisch und Candlelight-Dinners des Chefs mit Rotwein, Käse und sechs weiblichen Mitarbeiterinnen habe er erlebt, berichtete Karl Friedrich Schrader, einst Leiter des Referats 22, Abteilung Rechtsextremismus. Schrader war von Roewer ins Haus geholt worden. Nach ersten Dissonanzen verschlechterte sich das Verhältnis zum Chef jedoch; ein dreiseitiger Beschwerdebrief an Innenminister Christian Köckert (CDU) brachte keinen Erfolg: Disziplinar- und Strafverfahren und im Jahr 2000 ein Hausverbot waren die Konsequenzen für Schrader, der schließlich sechs Jahre lang bei vollen Bezügen zu Hause blieb. Die Amtsführung seines Chefs beschrieb er als nackte Willkür: »Roewer hatte eine eigene Quelle, die keiner kannte, die hieß Günther. Alle im Amt wußten von der Quelle Günther und daß die gut bezahlt wurde, aber keiner kannte sie«, gibt die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König eine Aussage Schraders auf ihrer Webseite ­haskala.de wieder.

Norbert Wiesner, vom hessischen Landesamt in den Neunzigern nach Erfurt gewechselt und acht Jahre lang für die Werbung von V-Leuten zuständig, beschaffte dem TLfV seinen größten Trumpf: V-Mann Tino Brandt. Die Führungsfigur des »Thüringer Heimatschutzes« (THS) spitzelte seit 1994. In der Führung sei »viel schiefgelaufen«, resümierte auch Wiesner. V-Männer seien im Landesamt herumgeirrt, Beamte hätten ihre Spitzel privat zu Hause besucht, Intimitäten über Quellen seien schon mal beim Kaffee in der Frühstücksrunde ausgetauscht worden. »Der Roewer sollte mal aus dem Amt gedrängt werden, dafür wurde ein Dossier angefordert«, sagte Wiesner laut Katharina König. Das Papier kam jedoch nicht zustande, denn der damit beauftragte sei »kurzfristig nach einem Urlaub verstorben«.

Die Staatsanwaltschaft Gera, die jahrelang versuchte, Tino Brandt hinter Gitter zu bringen, strengte 35 Ermittlungsverfahren gegen den Rudolstädter Neonazi an. Ohne Erfolg, Brandt kam jedes Mal davon. Weil das Amt ihm geholfen habe, hieß es aus den Reihen der frustrierten Ermittler, die schon mal erleben mußten, daß ein Neonazi, der sich später als V-Mann entpuppen sollte, mit einer bereits ausgebauten Festplatte auf die Polizei wartete, als diese eine Hausdurchsuchung vornehmen wollte. Davon will der frühere Referatsleiter Schrader nichts wissen: Die 35 Ermittlungsverfahren gegen Brandt habe er mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. »Das wußte ich nicht«. Doch wer warnte Brandt dann? Das Amt stattete seinen Spitzel auch mit einem gefälschten Presseausweis aus, berichtete die Berliner Zeitung am Montag. Im Gegensatz zur Darstellung des scheidenden Chefs des Bundesverfassungsschutzes, Heinz Fromm, sei das Bundesamt sehr wohl über Brandts Tätigkeit für den Geheimdienst informiert worden, behauptete Wiesner. Die nach Aussage Fromms gemeinsam mit dem TLfV und dem MAD durchgeführte Operation »Rennsteig« sei nicht unter Beteiligung der Thüringer gelaufen, wurde dem Ausschuß mitgeteilt. Roewer selbst wollte keine Angaben zur Operation »Rennsteig« machen. Daran könne er sich nicht mehr erinnern.

Das Landesamt, ein Tollhaus? Immerhin wurde Roewer berufen und konnte sechs Jahre lang, unbekümmert von Dienstvorschriften, nach Gutsherrenart agieren. Die Ernennung selbst muß wohl in etwa so bizarr verlaufen sein wie die Jahre danach: »Wie ich Verfassungsschutz-Präsident wurde? Es war an einem Tag nachts um 23 Uhr, da brachte eine mir unbekannte Person eine Ernennungs-Urkunde vorbei, in einem gelben Umschlag«, erinnerte sich Roewer. Wer dies gewesen sei? »Es war dunkel, ich konnte sie nicht erkennen. Ich war außerdem betrunken.«

Quelle: www.jungewelt.de vom 11.07.12

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 11. Juli 2012 um 12:27 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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