Für den Thüringer Innenminister Jörg Geibert (CDU) wird es nach Vorwürfen gegen Polizeibeamte des Freistaates, die Dienstgeheimnisse an Neofaschisten verraten haben sollen, eng: Die Vorsitzende des Thüringer Ausschusses zur Zwickauer Terrorzelle, Dorothea Marx (SPD), hatte bereits am Sonntag seinen Rücktritt gefordert. Marx habe sich in ihrer Funktion als Gremienvorsitzende geäußert, so die SPD, die im Erfurter Landtag mit der CDU eine große Koalition bildet, am Montag gegenüber jW. Man teile allerdings ihre Meinung; Geibert habe viel zu erklären. »Von einer Rücktrittsforderung sieht die SPD-Fraktion derzeit ab«, so deren Pressesprecherin zu dieser Zeitung. Der Innenminister erhält damit eine Gnadenfrist – jeder neue Vorwurf könnte ihn den Job kosten.
Dem Untersuchungsausschuß liegen nach Auskunft der Obfrau der Linkspartei, Martina Renner, Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) vor, nach denen der Polizeibeamte Sven T. schon 1999 als Angehöriger des neofaschistischen »Thüringer Heimatschutzes« (THS) identifiziert worden sei. Er soll zudem den Neonazi Enrico K. vor Polizeiaktionen gewarnt haben. Im Falle eines zweiten verdächtigen Beamten seien die Recherchen des BfV »zur Feststellung der Person noch nicht abgeschlossen«. Bereits im Jahr 2001 hatte ein leitender Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA) den Verdacht geäußert, daß die gesuchten drei Neonazis, die als »Nationalsozialistischer Untergrund« eine Mordwelle an neun Migranten und einer Polizistin verübt haben sollen, durch eine »undichte Stelle« wiederholt vor Zugriffsversuchen gewarnt worden seien. Als das BfV im Jahr 1999 seine Erkenntnisse über Sven T. an den Thüringer Verfassungsschutz weiterreichte, wurde die Polizei möglicherweise gar nicht informiert. Der Spitzel, der T. enttarnte, soll laut Angaben der Thüringer Allgemeinen während der »Operation Rennsteig« als V-Mann »Tusche« angeworben worden sein. Ausgerechnet die V-Mann-Akten zu dieser Operation sind Anfang November 2011 durch einen Referatsleiter im BfV gezielt vernichtet worden. Polizist T. machte Karriere; von der Polizeidirektion Saalfeld/Rudolstadt stieg er zunächst ins LKA auf. Im Jahr 2010 wechselte er dann selbst zum Thüringer Verfassungsschutz. Dafür mußte sich T. der »erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlung« in der höchsten Stufe unterziehen. Dem Verdacht aus dem Jahr 1999 sei trotzdem nicht nachgegangen worden, berichtete die Zeitung. Ein Jahr später erhielt T. eine feste Stelle. Nach der Enttarnung des NSU wurde er noch 2011 wieder zur Polizei versetzt.
Das Thüringer Innenministerium wies am Sonntag alle Vorwürfe zurück. Die Rückversetzung habe ausschließlich vermeiden sollen, »daß die Tätigkeit des Amtes und die Arbeit des Polizeibeamten durch unbewiesene Vorwürfe beeinträchtigt werden«. Eine merkwürdige Begründung: Wenn »Vorwürfe« ausreichen, um Geheimdienstleute um den Job zu bringen, dann wäre das Landesamt wohl mittlerweile entvölkert. Doch die Auseinandersetzung zwischen SPD und CDU, die Thüringen gemeinsam regieren, wirft auch ein Licht auf die Grenzen parlamentarischer Aufklärung: Der Innenminister, in dessen Amtszeit das Abtauchen des NSU fiel, hieß Richard Dewes. Er ist SPD-Mitglied.
Quelle: www.jungewelt.de vom 28.08.12
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