Am ersten Jahrestag der Aufdeckung des neofaschistischen Terrornetzwerks »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) gibt es mehr Fragen als Antworten zu dessen mörderischem Treiben. Das hat vor allem mit der Haltung von etablierter Politik, Inlandsgeheimdiensten und Polizei zu tun. Vor dem 4. November 2011 hatten sie gebetsmühlenartig erklärt, in der Bundesrepublik seien keine rechten Terrorgruppen aktiv, es gebe keine Bedrohung.
Danach wurden im Bundestag und in den Landtagen von Bayern, Thüringen und Sachsen Untersuchungsausschüsse gebildet. Die Innenausschüsse fast aller deutschen Parlamente befaßten sich mit dem NSU. Dennoch hat sich bis heute wenig getan – sowohl was die Aufklärung angeht als auch die Konsequenzen. Die einzige Gewißheit besteht darin, daß die Morde, Anschläge und anderen Verbrechen des NSU nicht möglich gewesen wären, hätten Politik, die 19 Inlandsgeheimdienste und die Landeskriminalämter die braune Gewaltszene nicht systematisch verharmlost, gefördert und über V-Leute staatlich alimentiert.
Damit handelt es sich nicht nur um den größten Geheimdienstskandal in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern auch um einen Staatsskandal. Vor allem die in Berlin Verantwortlichen treten deswegen die Flucht nach vorn an. Sie bemühen sich – maßgeblich aus Sorge um die deutsche Exportquote – die Verflechtung der neofaschistischen Mördergruppe mit dem Staat zu Pannen umzudeuten. Die Angehörigen der NSU-Opfer wurden mit einigen tausend Euro abgefertigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ihnen allerdings versprochen, »die Taten umfassend aufzuklären und alle Beteiligten, auch die Helfershelfer, zur Rechenschaft zu ziehen«. Nichts davon wurde bis heute wahr.
Statt dessen begann ein Umbau der sogenannten Sicherheitsarchitektur, z.B. durch Einrichtung eines »Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus«. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten wurde so erneut mißachtet.
Vor diesem Hintergrund besteht wenig Hoffnung, auf entscheidende Fragen Antwort zu erhalten. Stand z.B. Beate Zschäpe im Dienst eines deutschen Geheimdienstes? Ihr Rechtsanwalt wollte das in einem Interview nicht verneinen. Wo ist das erbeutete Geld? Warum endete die Mordserie an den Migranten mit der Festnahme des damaligen hessischen Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme – bekannt geworden unter dem Namen »Kleiner Adolf« – im Jahr 2006 in Kassel? Nach bisheriger Kenntnis folgte allein die Erschießung der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007. Aus welchem Grund mordeten das NSU-Trio und seine Helfershelfer nicht weiter bis zur Enttarnung? Warum wurde nach dem Nagelbombenanschlag 2004 in Köln allein unter Migranten ermittelt, obwohl Verdächtige auf Videoaufzeichnungen als weiße Deutsche zu erkennen waren? Einige dieser Fragen hätten längst geklärt sein können und müssen. Keine Antwort ist auch eine Antwort.
Quelle: www.jungewelt.de vom 05. November 2012
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