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»In tiefe Abgründe geschaut« Die rechte Terrorgruppe NSU hatte einen bayerischen Unterstützerkreis – Landespolitiker im Untersuchungsausschuß sind sicher Interview: Claudia Wangerin

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Ein Gespräch mit Susanna Tausendfreund

Susanna Tausendfreund ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag und deren Vertreterin im Untersuchungsausschuß zur Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU)In einer Art Zwischenbilanz haben Sie und der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Neonaziterror in Bayern, Franz Schindler, erklärt, Sie seien überzeugt, daß die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) einen bayerischen Unterstützerkreis hatte, der bisher nicht als solcher belangt wurde. Warum sind Sie sich da sicher?

Die Informationen fügen sich so zusammen, daß die Kontakte zwischen der bayerischen und der thüringischen Neonaziszene sehr eng waren – auch auf der Ebene der ­V-Leute. Tino Brandt, der Führungskader des »Thüringer Heimatschutzes«, aus dessen Reihen der NSU hervorging, war ja auch in Bayern sehr umtriebig, in Coburg und Regensburg. Zusammen mit Kai D., dem mutmaßlichen ­V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes, Administrator des neofaschistischen »Thule-Netzes« und Organisator der Heß-Gedenkmärsche. Nach Aussage von Brandt traf sich D. in den 1990er Jahren öfter mit dem späteren NSU-Trio. Wir haben inzwischen viele Belege für die engen Kontakte und gemeinsamen Treffen. Außerdem ist es kaum vorstellbar, daß die Morde in Nürnberg und München ohne Unterstützung von dort ansässigen Personen ausgeführt werden konnten, von denen die Ziele vorher ausgespäht wurden. Deshalb ist davon auszugehen, daß es Unterstützer in Bayern gegeben hat.Sie konnten sich im bayerischen Untersuchungsausschuß von Zeugen aus den Bereichen Polizei und Verfassungsschutz ein Bild machen: Wer hat welchen Anteil daran, daß die NSU-Morde solange nicht der rechten Szene zugeordnet wurden?

Meines Erachtens hätte die Unterstützung des Verfassungsschutzes für die Aufklärungsarbeit der Polizei deutlich intensiver sein müssen. Es gab vielerlei Erkenntnisse über Kontakte in die Neonaziszene Thüringens – im Fall der »Garagenliste« kann aber den bayerischen Behörden kein Vorwurf gemacht werden. Es ist sträflich, daß die Thüringer Polizei diese Liste des untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos mit Kontaktadressen, auf der auch ­­V-Mann Kai D. zu finden war, scheinbar völlig unbeachtet ließ. Aber beim Verfassungsschutz hätte man deutlicher eins und eins zusammenzählen müssen, um den rechtsextremistischen Hintergrund zu sehen. In der Zeit, als sich das Trio der späteren NSU-Terroristen radikalisierte, gab es ja in Neonazikreisen bereits die Strategie des »führerlosen Widerstands«, bestehend aus abgeschotteten Kleingruppen, die Terrorattacken vorbereiteten.Wie für »Blood & Honour«-Aktivisten im »Combat 18 Field Manual« beschrieben. Das sagte aber einem der zuständigen Verfassungsschützer, die in Ihrem Ausschuß vernommen wurden, gar nichts.

unbenannt

Das Gravierendste war, daß der Verfassungsschutz eine Verweigerungshaltung einnahm, als es im Juli 2006 eine konkrete Anfrage der Polizei gab – aufgrund der Analyse des Profilers Alexander Horn, der davon ausging, daß ein oder mehrere Neonazis für die Morde verantwortlich sein könnten. Die Polizei wollte vom Verfassungsschutz die Daten zu den bayerischen Neonazis – und wurde mit Verweis auf das Trennungsgebot hingehalten. Der Verfassungsschutz wollte möglichst wenig Adressen herausrücken. Erst acht Monate später bekam die Polizei eine Liste mit Namen aus zwei Postleitzahlenbereichen in Nürnberg – ohne jede Erläuterung, wer davon als Täter oder Unterstützer in Frage kommen könnte. Wer ist waffenaffin, wer hat schon mal mit Sprengstoff hantiert, all das fehlte. Es war nur eine blanke Namensliste von 682 Personen, sofern vorhanden mit Geburtsdatum. Auch die Reduzierung auf den Nürnberger Raum, obwohl Reisebewegungen eigentlich mit abgefragt worden sind, war eine nicht nachvollziehbare Einengung. Allerdings ist dann auch bei der Polizei die Suche eingeschlafen, nachdem neun potentielle Gefährder ohne Ergebnis angesprochen worden waren. Es wurde mit großem Aufwand in die falsche Richtung – Organisierte Kriminalität etc. – ermittelt. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund wurde nur marginal untersucht.Wie waren die bayerischen Verfassungsschützer nach ihrer Einschätzung geschult – interessierte sie das Thema Rechtsextremismus?

Einige, die im bayerischen Untersuchungsausschuß als Zeugen aussagten, hatten meiner Meinung nach nicht viel Ahnung. Die Arbeit des Verfassungsschutzes wurde natürlich in der jungen Bundesrepublik sehr stark durch den Antikommunismus des Kalten Krieges geprägt – und der Rechtsextremismus oft unterschätzt. Das Oktoberfestattentat 1980 ist damals gleich als Werk eines Einzeltäters abgetan worden, obwohl klar war, daß der Attentäter, der dabei selbst ums Leben kam, rege Kontakte zur rechtsextremen Szene, insbesondere zur Wehrsportgruppe Hoffmann hatte. Man hätte schon damals Konsequenzen ziehen und die Gefahren ernster nehmen müssen, die vom Rechtsextremismus ausgehen. Das heißt auch, Menschen stärker einzubeziehen, die sich zivilgesellschaftlich gegen rechts engagieren.Gab es für Sie besondere Aha-Erlebnisse in diesem Untersuchungsausschuß?

In manchen Bereichen haben wir schon in tiefe Abgründe geschaut. Das betrifft insbesondere die geheimdienstliche Arbeit. Vor allem die ­V-Mann-Problematik muß hier noch aufgearbeitet werden. Es ist nicht zu billigen, wenn ­V-Leute steuernd in der Neonaziszene tätig sind, diese maßgeblich mit aufbauen und dies durch den Staat auch noch bezahlt wird. Daß die verschiedenen Verfassungsschutzämter nichts von den Aktivitäten und Taten des NSU-Terrortrios mitbekommen haben, obwohl es von ­V-Leuten regelrecht umzingelt war, läßt tief blicken. Auch die Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden, die Konkurrenzsituation zwischen der bayerischen Polizei und dem Bundeskriminalamt, werden wir noch genauer durchleuchten. Mir ist nach wie vor unverständlich, warum der Generalbundesanwalt nicht damals schon die Ermittlungen an sich gezogen hat, warum es später noch einmal Streitereien um die Kompetenzen gab; und das alles auf Kosten einer zügigen Ermittlungsarbeit.Mehrere Mitglieder Ihres Gremiums – auch Sie selbst – haben geäußert, daß Sie sich vom bayerischen Innenministerium und vom Verfassungsschutz nicht gerade optimal bei der Aufklärungsarbeit unterstützt fühlen. Was sind die gravierendsten Beispiele?

Bemängeln muß ich, daß die Aktenlieferung sehr schleppend stattfindet – und daß die Geheimhaltungsvorschriften unsere Arbeit regelrecht behindern. Viele der Akten sind als »VS-Geheim« eingestuft. Wir können sie nur in einem speziellen Raum einsehen, wo wir uns keine Notizen machen dürfen. Und selbst dort finden wir noch geschwärzte Akten vor.

Viele der Zeugen im Untersuchungsausschuß können auch nur in geheimer Sitzung vernommen werden. Wenn wir Fragen über weitere ­V-Leute haben, die in diesem Bereich tätig waren und welche Erkenntnisse sie lieferten, berufen sich die Zeugen darauf, daß sie dafür vom Innenministerium keine Aussagegenehmigung haben. Mir ist zur Zeit noch schleierhaft, wie wir unsere Erkenntnisse in einen vernünftigen, öffentlichen Abschlußbericht gießen sollen.

Nicht einmal im Parlamentarischen Kontrollgremium, in dem ich ebenfalls Mitglied bin und das eigentlich die Arbeit des bayerischen Verfassungsschutzes überprüfen und durchleuchten sollte, erhalte ich ausreichende Informationen. Das Innenministerium macht »schwere Bedenken aus Quellenschutzgründen« geltend – und die Mehrheit sagt: Na, dann wollen wir gar keine Informationen. Ich weiß nur ungefähr, wieviele ­V-Leute insgesamt unterwegs sind und was sie vielleicht in etwa an Honoraren bekommen – aber nicht, in welchen Bereichen sie genau eingesetzt sind. Für eine Evaluierung wäre es aber nötig zu wissen, ob sie überhaupt vernünftige Informationen geliefert haben und ob sie mehr schaden als nutzen.

Beispielsweise in Brandenburg gibt es bezüglich der ­V-Leute einen ganz anderen Umgang. Dort gibt es zwar keinen NSU-Untersuchungsausschuß, aber die Mitglieder des parlamentarischen Kontrollgremiums bekommen Einsicht in die Akten über ­V-Leute, wenn sie das wünschen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 21.01.13
Dieser Beitrag wurde am Montag, 21. Januar 2013 um 01:10 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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