Wolfgang Huste Polit- Blog

»Arme sind doch nicht der Müllschlucker der Nation« Pferdefleischskandal: Linke fordert Sofortmaßnahmen gegen Panscherei von Lebensmitteln. Kritik an CDU-Vorstoß für »Spenden« an Tafeln. Ein Gespräch mit Karin Binder

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Die Bundestagsabgeordnete Karin Binder ist Obfrau der Linksfraktion im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

In zahlreichen Fertiggerichten wurde in den letzten Tagen Pferdefleisch nachgewiesen, das dort nicht hineingehörte. Wann haben Sie zum letzten Mal Pferd gegessen?

Vor ungefähr zehn Jahren, bei einem Campingurlaub im Tessin gab es ein herrliches Pferdesteak mit grünem Pfeffer und Polenta, sehr lecker.Auch andernorts gilt Pferdefleisch – etwa in Form von rheinischem Sauerbraten – als Delikatesse …

Im Ernst: Es geht um Verbrauchertäuschung rein aus Gründen des Profits. Die Waren waren als Rindfleischprodukte gekennzeichnet. Darauf müssen sich die Leute verlassen können. Die Verbraucher fragen sich: Diesmal geht es um Pferdefleisch, was kommt als nächstes?

Das Problem ist doch, daß wir es mit systembedingtem Betrug zu tun haben. Der Pferdefleischskandal zeigt, daß die angeblich lückenlose Kontrolle in der Lieferkette ein Märchen der Lebensmittelindustrie ist. Tatsächlich haben die Handelskonzerne keine Ahnung, was in den Produkten ihrer Eigenmarken steckt. Sie vertrauen darauf, nicht erwischt zu werden. Die Verbrauchertäuschung steckt schon in den Selbstkontrollen durch die Hersteller. Behörden können oft nur untersuchen, ob die Hersteller ihre Waren überhaupt auf Rückstände oder Belastungen prüfen. Oft muß ein amtlicher Kontrolleur über 1000 Betriebe überwachen. Da bleibt nicht nur »schwarzen Schafen« viel Raum für Tricksen und Täuschen.Die Politik hat auf die aktuellen Enthüllungen reagiert, wie sie es auch in der Vergangenheit tat, nämlich mit Sondersitzungen und Allgemeinplätzen. Welche Konsequenzen sollten gezogen werden?

Nach Skandalen mit Gammelfleisch, Dioxin und Krankheitskeimen im Essen wird uns jetzt der Etikettenschwindel mit Pferdefleisch aufgetischt. Wie immer spricht die Lebensmittelindustrie von »bedauerlichen Einzelfällen«. Die Bundesregierung fordert »rückhaltlose Aufklärung« und holt wieder einmal einen Aktionsplan aus der Schublade. Statt die Gesetzesmängel endlich zu beseitigen, erteilt Bundesministerin Ilse Aigner (CSU) erneute Prüfaufträge für eventuelle Verbesserungen und schaltet Infohotlines für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Dagegen fordern wir, endlich Sofortmaßnahmen gegen die Panscherei von Lebensmitteln. Schon bei einem begründeten Verdacht über belastete oder falsch gekennzeichnete Lebensmittel sollen Behörden verpflichtet sein, die Öffentlichkeit zu informieren. Derzeit müssen sie abwarten, bis Unternehmen selbst etwas veröffentlicht und zum Beispiel einen Rückruf von Lebensmitteln gestartet haben.

Bei allen Produkten mit Fleisch müssen Verbraucher nachvollziehen können, woher dieses stammt. Sie sollen wissen, wo das Tier geboren wurde, wo es aufgewachsen ist bzw. gemästet wurde und wo es geschlachtet wurde. Nur so können die Verbraucher entscheiden, ob die Odyssee, die das Fleisch hinter sich hat, für sie noch vertretbar ist. Das kann in einfachen Fällen direkt auf der Verpackung angegeben sein. Außerdem müssen Hersteller und Handel offenlegen, woher sie ihre Zutaten beziehen und von welchen Unternehmen. Das gehört zur Qualitätssicherung. Die Ergebnisse ihrer betrieblichen Eigenprüfungen müssen jederzeit für die Lebensmittelkontrollbehörden zugänglich sein. Das ist heute nicht der Fall.Welche Verantwortung trägt Verbraucherschutzministerin Aigner für die Unsicherheit, die in Sachen Lebensmittel herrscht?

Verbraucherministerin Ilse Aigner wird immer erst tätig, wenn bereits Schaden entstanden ist. Man hat den Eindruck, sie schützt Hersteller und Handel vor ihren Kunden. Ein Beispiel: Obwohl schon immer klar war, daß unvollständige Angaben auf den Produkten dem Betrug mit Lebensmitteln Tür und Tor öffnen, lehnte Aigner eine Kennzeichnung der Herkunft von verarbeitetem Fleisch bislang ab. Erst jetzt lenkt sie aufgrund des öffentlichen Drucks ein. Ein zweites Beispiel: Die Behörden dürfen bisher die Öffentlichkeit selbst bei einem konkreten Verdacht auf Etikettenschwindel nicht informieren. Dafür sind nach dem Lebensmittelrecht allein Handel und Hersteller zuständig. Problematische Waren nehmen die, wenn überhaupt, still und leise aus dem Sortiment.

Die Lebensmittelüberwachung für bundesweit und international arbeitende Hersteller und Händler darf auch nicht auf Kommunen oder Bundesländern abgewälzt werden. Hierfür muß der Bund die Verantwortung übernehmen. Gemeinden und Landkreise sind mit der Kontrolle globaler oder multinationaler Lebensmittelkonzerne überfordert. Da fehlt es schon an der personellen und auch an der materiellen Ausstattung, um deren Geschäfte überprüfen zu können.Tragen denn nicht auch die Verbraucher selbst eine Mitschuld an den in der Lebensmittelindustrie herrschenden Zuständen? Wer glaubt denn ernsthaft, daß beispielsweise ein Hähnchen zum Endverbraucherpreis von knapp zwei Euro artgerecht gehalten wurde?

Fakt ist, immer mehr Menschen müssen aufs Geld achten. Es ist immer bequem, die Schuld bei den Verbrauchern abzuladen. Selbstverständlich gibt es eine Mitverantwortung. Aber zwischen Beruf, Familie und Alltagsstreß bleibt oft wenig Zeit, sich am Supermarktregal mit jedem einzelnen Produkt auseinanderzusetzen. Die Leute müssen sich darauf verlassen können, daß mit den angebotenen Lebensmitteln alles in Ordnung ist.

Auch ein hoher Preis ist keine Garantie für eine gute Produktqualität. Aber bei Lockvogelangeboten zu Dumpingpreisen ist die Erzeugung langfristig mit Qualitätsabstrichen verbunden. Eine unbequeme Wahrheit ist auch, daß Niedrigpreise durch miese Beschäftigungsbedingungen, Tierquälerei und Umweltschäden von unserer Gesellschaft teuer bezahlt werden müssen.

Die Diskussion um eine flächendeckende Schulverpflegung hat das auch verdeutlicht: Zwei Euro pro Kind für ein Mittagessen sind einfach viel zu wenig. Wir brauchen mindestens vier Euro pro Kind und Tag, um eine hochwertige Verpflegung sicherzustellen. Nur dann kann ermöglicht werden, daß unbelastete Zutaten, die frei von Aromen, Geschmacksverstärkern und anderen Zusatzstoffen sind, frisch verarbeitet werden – und zwar von tariflich bezahltem Küchenpersonal, das von dieser Arbeit auch leben kann. Das sind Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft.

Wir müssen aber festhalten, daß Lebensmittelindustrie und -handel über ihre Preispolitik nicht fehlende Sozialleistungen ersetzen wollen. Selbst das billigste Sonderangebot kann für einen armen Menschen noch zu teuer sein. Für Hersteller und Handel geht es bei der Preisgestaltung um einen gnadenlosen Verdrängungswettbewerb. Den verliert dann der kleine Lebensmittelproduzent. Die Frage, ob sich alle Menschen Lebensmittel leisten können oder ob Erzeuger gerecht entlohnt werden, spielt für die Manager von Lidl, Aldi, Edeka und anderen kaum eine Rolle.

Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, die soziale Teilhabe aller Menschen zu sichern und somit auch den ausreichenden Zugang zu den Lebensmitteln, die für eine ausgewogene und gesunde Ernährung notwendig sind. Menschen, die nur ein kleines Einkommen zur Verfügung haben oder staatliche Hilfeleistungen beziehen müssen, dürfen nicht gezwungen sein, sich ihr Essen von der Tafel oder gar aus dem Müllcontainer zu suchen.Vielleicht sollte man doch, wie es die zunehmende Zahl von Vegetariern und Veganern tut, gänzlich auf Fleischprodukte verzichten?

Wer weniger Fleisch ißt, entlastet Umwelt und Klima. Die enormen Anbauflächen für viele Tonnen Tierfutter führen zu Landraub und letztlich zur Urwaldvernichtung in ärmeren Ländern. Es lohnt also, sich die Frage zu stellen, ob es jeden Tag Fleisch sein muß. Ich möchte jedoch keine Eßverbote aussprechen. Jeder Mensch muß selbst wissen, was ihm guttut. Aber Bewußtsein herstellen möchte ich schon.Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hartwig Fischer hat vorgeschlagen, die wegen Untermischung von Pferdefleisch aus dem Handel genommenen Produkte nicht zu vernichten, sondern Hilfsorganisationen wie den Tafeln zur Verfügung zu stellen. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß aus der Union?

Bedürftige nehmen in der Regel, was sie bekommen können, sie haben kaum eine Wahl. Ich halte es aber für höchst bedenklich und unmoralisch, sie zum Müllschlucker der Nation machen zu wollen, wie sich das Herr Fischer von der CDU vorstellt. Diese Produkte sind nicht zwangsläufig schlecht, weil Pferdefleisch drin ist. Aber sie müssen korrekt gekennzeichnet werden, damit Menschen entscheiden können, ob sie Pferd essen wollen. Das gilt für Arme wie für Reiche. Wohlweislich hat Fischer nicht vorgeschlagen, die Pferdefleisch-Lasagne dem chronisch unterfinanzierten Schulessen zu überlassen.
Quelle: www.jungewelt.de vom 23./24.02.13
Dieser Beitrag wurde am Samstag, 23. Februar 2013 um 14:39 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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