Wolfgang Huste Polit- Blog

»Viele merken jetzt erst, wie mies sie behandelt wurden«. Vier Monate Streikerfahrung haben Neupack-Beschäftigte selbstbewußter gemacht. Kritik an »Flexistreik-Taktik« der IG BCE. Gespräch mit Murat Günes. Interview: Dustin Hirschfeld

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Murat Günes (41) ist Betriebsratsvorsitzender bei der Firma Neupack, die Standorte in Hamburg-Stellingen und Rotenburg hat. Etwa die Hälfte der knapp 200 Beschäftigten streikt seit dem 1. November

Wie sind die Arbeitsbedingungen der Kollegen bei Neupack?

Sie lassen sehr zu wünschen übrig. Es gibt Produktionsbereiche, die nicht klimatisiert sind, so müssen wir im Sommer und im Winter unter extremen Bedingungen arbeiten, manchmal sehr heiß und manchmal bitterkalt. Es ist auch sehr staubig. Die Entlohnung variiert stark. Am wenigsten verdienen die Packer und Packerinnen. Ich zum Beispiel bin Maschinenführer und habe etwas mehr Freiräume. Im Rahmen meiner Betriebsratstätigkeit und als Gewerkschafter habe ich auch mehr Freiräume, werde aber auch gleichzeitig dafür bestraft. Viele Kollegen müssen körperlich hart arbeiten. Außerdem sind in der Lebensmittelbranche viele Vorschriften einzuhalten.
Was verdienen die Beschäftigten bei Neupack – und wie war die Stimmung vor dem Streik?

Was der Bezahlung angeht, es gibt es bei gleicher Tätigkeit große Unterschiede. Manche Packer bekommen 8,50 Euro pro Stunde. Vor dem Konflikt verdiente die unterste Entgeltstufe 7,80 Euro. Dies wurde inzwischen erhöht. Insofern haben wir bereits einen kleinen Sieg errungen. Jedoch wird die Bezahlung vom Unternehmen individuell bestimmt. So verdienen manche Packer 10,70 Euro pro Stunde, Betriebshelfer 8,50 bis 13 Euro. Manche Maschinenführer bekommen 8,50 Euro pro Stunde, andere 17 bis 19 Euro. Deshalb kämpfen wir für einen Haustarifvertrag. Die Unterschiede sind von der Unternehmensführung gewollt, um eine miese Atmosphäre im Betrieb zu erzeugen. Es gibt eine krasse Trennung: Abteilungsleiter, Schichtleiter, Betriebsleiter haben eine andere Stellung. Alle übrigen Kollegen werden nicht als Menschen behandelt. Wir pflegen zu sagen, daß die Demokratie vor den Werktoren aufhört. Deshalb haben sich auch Kollegen mit höheren Löhnen zum Streik entschlossen. Sie haben das Gefühl, sich ihre Würde zurückzuerobern. Viele merken jetzt erst richtig, wie mies sie an ihrem Arbeitsplatz behandelt wurden.
Wovon hängt die Bezahlung ab?

Das hängt davon ab, ob den Chefs deine Nase gefällt. Beliebte Mitarbeiter, die sich fügen, bekommen mehr, egal welche Tätigkeit sie verrichten. So sind manche Kollegen, die in zehn oder 15 Jahren nicht mal einen Tag krank waren, ganz unten in der Entgeltstufe. Andere, die ständig fehlen aber in der Gunst der Leitung sind, bekommen immer wieder Lohnerhöhungen.Allerdings muß auch gesagt werden, daß dies nicht von der Nationalität abhängt. Die Gewerkschaft fordert aber statt »sittenwidriger Löhne« 82 Prozent des Flächentarifvertrags in der chemischen Industrie für alle Beschäftigten. Das ist realistisch. Es würde der Firma nicht schaden und die Kollegen hätten mehr Geld in der Tasche und eine einheitliche Urlaubsregelung. Statt dessen setzt die Firma Streikbrecher ein, viele davon aus Polen. Mit ihnen sind wir 260 Beschäftigte, vor dem Streik waren wir 195 bis 200. Die Streikbrecher wurden zunächst als Leiharbeiter geholt, aber da die Tarifverträge der Entleihfirmen den Einsatz von Leiharbeitern an Firmen im Streik nicht vorsehen, wurden sie nach zwei Tagen gekündigt, um sie direkt im Anschluß normal einzustellen.
Welche Position vertritt zur Zeit der Betriebsrat?

Die Mehrheit steht hinter dem Streik und hinter den Forderungen, ein kleiner Teil ist dagegen. Er handelt im Interesse und auf Anordnung des »Arbeitgebers«. Drei von sieben Mitgliedern werden vom Unternehmen gesteuert. Sie gehören nicht zu unserer Liste.
Nach mehreren Monaten unbefristeten Streiks hat die IG BCE Ende Januar mit einem sogenannten »Flexistreik« begonnen. Inwiefern ist er dem unbefristeten Streik vorzuziehen?

Ein Flexistreik kann eine gute Sache sein, vorausgesetzt, die streikenden Kollegen vor Ort entscheiden über den Ablauf und nicht die entfernte Gewerkschaftszentrale. Der Flexistreik soll für die Geschäftsführung möglichst unberechenbar sein. Statt durchgängig zu streiken, geht ein Teil oder alle Streikenden für eine gewisse Zeit wieder in den Betrieb, so daß auch wieder Löhne gezahlt werden müssen. Allerdings können durch einen zentral von außen gesteuerten Flexistreik die Streikenden nur verlieren. Viele Kollegen halten das eher für eine Flexi-Verarschung. In der Praxis hat die IG BCE mehrfach entschieden, uns für mehrere Tage am Stück in den Betrieb zu schicken. Das war überhaupt nicht »unberechenbar« für und hat außerdem die Lager von Neupack wieder erheblich gefüllt.

Quelle: www.jungewelt.de vom 13.03.13

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 12. März 2013 um 23:04 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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