Wolfgang Huste Polit- Blog

Aufarbeitung à la BRD. 2011 flog der »Nationalsozialistische Untergrund« auf. Zwei Jahre später stellt es bereits ein Vergehen dar, auf mögliche staatliche Verwicklungen hinzuweisen. Von Sebastian Carlens

Tags:

Am 4. November 2011, vor genau zwei Jahren, sollte eine Schießerei im sächsischen Eisenach die Existenz einer rechtsterroristischen Killerbande in der BRD offenbaren. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, zwei Mitbegründer des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU), sollen sich nach einem Banküberfall selbst gerichtet haben, nachdem ihnen eine Polizeistreife auf die Spur gekommen war. Beate Zschäpe, mutmaßlich das einzige überlebende NSU-Mitglied, sprengte nach dem Tod ihrer Komplizen die konspirative Bleibe in Zwickau in die Luft, bevor sie sich absetzte und Tage später der Polizei stellte. Gegen sie und vier Unterstützer der Rechtsterroristen wird derzeit vor dem Oberlandesgericht (OLG) München verhandelt.

Dutzende Überfälle, mindestens zwei Sprengstoffanschläge und zehn Morde, darunter neun an Migranten, sollen auf das Konto des NSU gehen. Die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft, die die Killerbande als terroristische Vereinigung einstuft, geht davon aus, daß es neben den drei Jenaern Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe keine weiteren Mittäter gegeben hat.

Am Samstag gedachten rund 1000 Menschen in Berlin der Opfer der braunen Terrorwelle. Ganz ohne Schikanen der Staatsmacht sollte die Demonstration nicht ablaufen. So beschlagnahmte die Polizei die Lautsprecheranlage, da über sie »staatsfeindliche Parolen« gerufen worden seien. Einem Bericht des Neuen Deutschland zufolge bezogen sich die Ordnungshüter dabei auf den Slogan »Nazis und Staat Hand in Hand – Das Problem heißt Rassismus«. Damit sollte auf die Kungelei zwischen Verfassungsschutz und organisierter rechter Szene hingewiesen werden: Es waren staatliche Gelder, mit denen der braune Sumpf in Thüringen gemästet wurde. Bis heute weisen viele Indizien darauf hin, daß die drei NSU-Gründer nicht auf eigene Faust gehandelt haben. Auf eine Verwicklung staatlicher Stellen in den Terrorfeldzug hinzuweisen scheint, zwei Jahre nach Auffliegen der Terrorzelle, bereits ein Vergehen darzustellen. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Mordtaten war diese These bis weit in bürgerliche Medien hinein für plausibel gehalten worden.

Doch die Vergangenheitsbewältigung à la BRD funktioniert. Zwar gerieten die Geheimdienste schnell in die Kritik, ein paar Präsidenten traten zurück – doch der Ruf nach Abschaffung der Verfassungsschutzämter, der im November 2011 von vielen Seiten erhoben wurde, verstummte rasch. Zwar trieben mindestens 26 Spitzel im unmittelbaren Umfeld der Terrorzelle ihr Unwesen, doch eine Verwicklung des Staates »konnte nicht nachgewiesen werden« – ein Bundestags-Untersuchungsausschuß soll dies bewiesen haben. Das Gremium, im Januar 2012 eingesetzt und bis zum Ende der Legislaturperiode im September diesen Jahres aktiv, befragte zwar reihenweise Zeugen aus den unterschiedlichsten Ämtern, doch oftmals wurde es von renitenten Beamten abgespeist. Die Obleute erfuhren, daß die deutsche Polizei im Zweifel auf Hellseher zurückgreift, Autos von Hinterbliebenen verwanzt oder »verdeckte Ermittler« ins Umfeld der Ermordeten einschleust. Doch warum die Zielfahndung ausgerechnet bei drei jugendlichen Neonazis über 13 Jahre lang versagte, konnte der Ausschuß nicht klären. Ebensowenig, warum ein Referatsleiter am 11. September 2011 etliche Akten zum Fall vernichten ließ. Oder was der hessische Verfassungsschützer Andreas Temme während des Mordes an Halit Yozgat im Jahr 2006 am Tatort in Kassel trieb.

In Sachsen, Thüringen und Bayern sind nach wie vor Untersuchungsausschüsse aktiv. Dorothea Marx (SPD), Vorsitzende des Thüringer Gremiums, benannte in der Thüringer Allgemeinen vom Montag weitere Aufgaben: Es gehe um die Frage, ob Pannen bei Verfassungsschutz und Polizei die Mordserie ermöglicht haben oder ob mehr dahinter stecke. »Was verleitet zwei Schwerverbrecher dazu, sich beim Anblick von zwei Polizisten zu Fuß umzubringen?« verdeutlichte sie Zweifel an der Selbstmordthese. Ausgerechnet hier könnte nun noch Bewegung in den Fall kommen: Laut einem Bericht der Berliner Zeitung vom vergangenen Donnerstag sind im ausgebrannten NSU-Wohnmobil DNA-Spuren eines unbekannten dritten Mannes gefunden worden. Sie sollen mit einem genetischen Fingerabdruck übereinstimmen, den die Polizei bereits bei anderen Verbrechen sichern konnte – die Ermittler rechnen ihn einer »litauischen Einbrecherbande« zu.

Schon einmal, beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn, ließ sich die Polizei von einer falschen genetischen Spur narren: das »Phantom von Heilbronn« entpuppte sich als Arbeiterin in einer Wattestäbchenfabrik. Und was die ausländischen Kriminellen betrifft: Auch in falschen Zuschreibungen ist die Polizei meisterhaft. Der NSU konnte nicht zuletzt deshalb dreizehn Jahre lang unerkannt morden, weil in der deutschen Behördenlogik Ausländer stets von Ausländern umgebracht werden. Die erschütternden Geschichten der Angehörigen wird sich das Münchner OLG noch bis mindestens Ende nächsten Jahres anhören müssen. Mit dem dann anstehenden Urteil gegen Zschäpe soll das Kapitel NSU endgültig abgeschlossen sein.

 Quelle: www.jungewelt.de vom 05.11.13
Dieser Beitrag wurde am Montag, 04. November 2013 um 22:28 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

«  –  »

Keine Kommentare

No comments yet.

Sorry, the comment form is closed at this time.

Kategorien

über mich

antifaschismus

Linke Links

NGO Links

Ökologie

Print Links

Archive

Sonstiges

Meta

 

© Huste – Powered by WordPress – Design: Vlad (aka Perun)