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Resteverwertung. Bundesregierung will Studienabbrecher zu Handwerkern machen. Das steigert die Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt und schmälert die Chancen von Hauptschülern noch mehr. Von Ralf Wurzbacher

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Bundesbildungsministerin Johanna Wanka zeigt ein Herz für Studienabbrecher. Um diesen eine neue Perspektive zu bieten, will die CDU-Politikerin sie zu Handwerkern umschulen lassen. Gelingen soll dies durch Erleichterungen bei der folgenden Berufsausbildung sowie mehr Netzwerkerei zwischen Hochschulen und Unternehmerschaft. Die deutsche Wirtschaft begrüßt den Vorstoß und sieht darin ein erfolgversprechendes Mittel gegen den vermeintlichen Fachkräftemangel. Studierendenvertreter halten die Vorschläge dagegen für verkürzt und wenig zielführend.

Zwar kann sich Deutschland mit einer Studienabbruchquote von knapp über 20 Prozent im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen. Allerdings verdankt sich das passable Abschneiden den traditionellen, im Aussterben begriffenen Abschlüssen. Wie die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) zuletzt für den Absolventenjahrgang 2010 ermittelt hatte, schmissen Studierende im Staatsexamen in lediglich elf Prozent der Fälle vorzeitig das Handtuch. Für die Diplom- und Magister-Studiengänge lag der Wert bei 23 Prozent. Von den Bachelor-Anwärtern gaben dagegen 28 Prozent frühzeitig auf. Bei anhaltendem Trend könnte nach der kompletten Umstellung auf das Bachelor-Master-System bald jeder Dritte zum Abbrecher werden.

Laut HIS-Befunden fühlen sich rund 30 Prozent der Betroffenen durch den erhöhten Zeit- und Leistungsdruck infolge der Kürze und Verschulung des Studiums überfordert. Rund 20 Prozent scheitern an der Finanzierung und fast ebenso viele an fehlender Motivation wegen falscher Erwartungen an das Studium. Nur jeder zehnte wirft aus freien Stücken hin, weil er sich beruflich neu orientieren will. Für den großen Rest der Gestrandeten will sich die Bundesregierung künftig verstärkt ins Zeug legen. Damit diese und potentielle Ausbilder »schnell zueinander finden«, brauche es engeren Kontakt zu den Handwerkskammern und den Unternehmen, war am Montag auf der Webseite der Bildungsministerin zu lesen.

Tags zuvor hatte Wanka in der Welt am Sonntag entsprechende »Pilotprojekte« angekündigt. Außerdem sollten erbrachte Studienleistungen angerechnet werden können, um es den Aussteigern zu ermöglichen, »eine verkürzte Ausbildung in Unternehmen zu absolvieren«. Gerade »in Zeiten des Fachkräftemangels« würden die Betriebe erfolgreich sein, die den Bewerbern attraktive Angebote machten, so Wanka. Zum Beleg ließ das Springer-Blatt den Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Peter Wollseifer, der Ministerin beipflichten. Nach seinen Angaben suchten in den nächsten zehn Jahren etwa 200000 Handwerksunternehmer einen Nachfolger. Und trotz einer weiterhin steigenden Zahl an Betrieben ginge die der Lehrlinge kontinuierlich zurück, so der Verbandschef.

Das ist freilich nur die halbe Wahrheit, denn tatsächlich kommen Jahr für Jahr Zigtausende Jugendliche auf dem Lehrstellenmarkt nicht zum Zuge, weil die deutsche Wirtschaft keine Verwendung für sie hat. 2013 ist die Zahl der Ausbildungsverträge laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) auf den »mit Abstand niedrigsten Wert seit der Deutschen Einheit« gefallen. Die Wirtschaft begründet den Schwund immer wieder mit der mangelnden Bildung der Schulabgänger, und ganz von der Hand zu weisen ist das Argument nicht. Die Hälfte der Azubis im Handwerk hat einen Hauptschulabschluß, der im Zuge der allgemeinen Bildungsmisere stetig an Wert eingebüßt hat.

Die Parteinahme der Wirtschaft für Wankas Vorstoß kommt daher nicht von ungefähr. Offenbar will man in Zukunft verstärkt aus dem Reservoir gescheiterter Hochschüler schöpfen, statt weiter auf den Ausstoß aus den »Restschulen« zu setzen. Laut Wollseifer brauche das Handwerk die »ausbildungsstarken Jugendlichen«, da durch den technologischen Wandel die Anforderungen in vielen Berufen gestiegen seien. Das heißt aber auch: Die Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt wird sich weiter verschärfen, und die Anwärter ohne Abitur haben noch schlechtere Karten als bisher. Dazu kommt: Bei Anrechnung von Studien­leistungen auf die Ausbildungszeit wird der Studienabbrecher auch zum billigeren Azubi – für den Staat wie für die Industrie.

Mit Wankas Vorschlägen werde nur an den Symptomen der hohen Abbrecherquoten herumgeschustert, statt die Ursachen zu bekämpfen, monierten die Juso-Hochschulgruppen am Montag. Es brauche unter anderem »schnellstmöglich eine umfassende BAföG-Reform«, verbesserte Studienbedingungen, eine Aufwertung der Lehre und mehr Betreuungs- und Beratungsangebote. All das steht aktuell nicht auf der Regierungsagenda.

Quelle: www.jungewelt.de vom 29.01.14
Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 29. Januar 2014 um 11:45 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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