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»Im Wohngebiet herrscht Ausnahmezustand«.In Berlin-Kreuzberg halten immer noch 40 Flüchtlinge ein altes Schulgebäude besetzt. Ein Gespräch mit Judith Demba. Interview: Markus Bernhardt

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Judith Demba ist Sprecherin der »Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus« der Linkspartei in Berlin

Seit Tagen weigert sich eine Gruppe von etwa 40 Flüchtlingen, die Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg zu verlassen und anderweitig untergebracht zu werden. Die Flüchtlinge wollen aus dem ehemaligen Schulgebäude nicht heraus, bevor ihnen der Senat das Bleiberecht zusichert. Können Sie die Forderung der Flüchtlinge nachvollziehen?

Selbstverständlich, diese Flüchtlinge haben sich wie Tausende andere auf den Weg gemacht, um jenseits von Hunger und Krieg eine Perspektive zu suchen, die einerseits ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und andererseits darin besteht, als vollwertiges Mitglied einer – in diesem Fall unserer Gesellschaft – akzeptiert zu werden.

Arbeiten, leben und lernen zu können wie alle anderen auch, wird ihnen jedoch verweigert. Die Flüchtlinge haben nichts mehr als ihre nackte Existenz und investieren diese jetzt in eine Auseinandersetzung, in der es um ganz grundsätzliche politische Fragen geht.Nämlich?

Es geht im Moment darum, auch als Stadt ein Stück Verantwortung für die grausame deutsche und europäische Flüchtlingspolitik zu übernehmen. Darüber hinaus geht es grundsätzlich um eine andere Außen-, Handels- und Flüchtlingspolitik. Es ist doch erschreckend, wenn man sieht, wieviel Geld in die Repressionsmaschinerie und in Abschiebungen gesteckt wird – für eine angemessene Unterbringung, medizinische Versorgung und Deutschkurse hingegen fehlt das Geld. Würde man den Flüchtlingen die Arbeitsaufnahme ermöglichen, wären sie in der Lage, für all das selber zu sorgen.Aber macht sich der Senat nicht erpreßbar und schafft zugleich einen Präzedenzfall, wenn er dieser pauschalen Forderung zustimmt?

Das finde ich nicht. Der Senat hat nach Paragraph 23 Aufenthaltsgesetz die Möglichkeit, den Flüchtlingen aus humanitären Gründen eine Bleiberecht zu erteilen. Es ist eine Frage des Humanismus, diese Menschen nicht zurück in ein Kriegsgebiet zu schicken. Wenn sich der Senat unter Druck gesetzt fühlt und Angst hat, daß andere Flüchtlinge kommen und mit spektakulären Aktionen versuchen könnten, ein Bleiberecht zu erzwingen, sollte er diesen Druck nutzen, um sich unter den Koali­tionsparteien für eine andere Flüchtlings- und Außenpolitik einzusetzen. Das Problem an der Wurzel packen, nennt man das. Wer weltweit Krieg führt oder andere – und sei es mit Waffenexporten – dabei unterstützt, Krieg zu führen, darf sich über Flüchtlinge nicht beschweren.Wer trägt die politische Verantwortung für die aktuelle Situation, die ja eine große Eskalationsgefahr mit sich bringt?

Die liegt sowohl beim Bezirk als auch beim Senat. Es ist viel zu spät und auch erst nach massivem Druck gehandelt worden. Die Duldung eines Flüchtlingscamps ist zwar löblich, aber nun wirklich kein Politikersatz. Anstatt nach einer echten Lösung zu suchen, die nicht darin bestehen kann, eine Unterbringung für drei Monate zu organisieren, war man damit beschäftigt, sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben.

Währenddessen hat sich die Situation für die Menschen ständig verschlechtert. Was sich jetzt in, vor und um die Schule herum abspielt, ist mehr als ein politisches Armutszeugnis. Aber die Hauptverantwortung liegt natürlich in der menschenverachtenden Flüchtlingspolitik der EU und Deutschlands. Die Forderungen der Flüchtlinge nach Bleiberecht und Abschaffung der Residenzpflicht ist voll zu unterstützen, aber darüber hinaus geht es um die Abschaffung diskriminierender Gesetze, wie etwa des Asylbewerberleistungsgesetzes.Die Polizei hat ganze Straßenzüge rund um die Hauptmann-Schule seit Tagen abgesperrt. Empfinden Sie dieses Vorgehen noch als verhältnismäßig?

Wie gesagt, ich empfinde das Vorgehen als schlimme Zumutung für die Flüchtlinge, Unterstützer und Anwohner. In diesem Wohngebiet herrscht Ausnahmezustand, die Presse wird ausgesperrt und verschaukelt. Das ist ein politischer Skandal. Senat und Bezirk müssen jetzt handeln und die Forderungen der Flüchtlinge nach einem Bleiberecht erfüllen, alles andere wäre inhuman und endet in einer Katastrophe. Es stünde doch Berlin gut an, das Ganze – wenn auch spät, aber nicht zu spät – in ein beispielgebendes Projekt umzuwandeln. Damit könnte der Senat auch zeigen, daß sich die Stadt nicht nur weltoffen präsentiert, wenn es um eine Olympiabewerbung geht.

Quelle. www.jungewelt.de vom  01.07.14
Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 01. Juli 2014 um 10:27 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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