Bei der Absperrung von Teilen des Stuttgarter Schloßgartens für Bauarbeiten zum Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21« ist es am Donnerstag zu schweren Übergriffen von Polizisten auf Gegner des Vorhabens gekommen. Augenzeugen sprechen von einem »brutalen« Schlagstockeinsatz gegen Schüler, Rentner und sogar Müttern mit Kleinkindern. »Es gibt mehrere hundert Verletzte«, sagte Elke Edelkott von der Initiative »Parkschützer« am Donnerstag nachmittag gegenüber junge Welt. Die Polizei setze Reizgas gegen die mehreren tausend vollkommen friedlichen Demonstranten ein, so Edelkott.
Seit gestern vormittag befindet sich der Schloßpark im Belagerungszustand. Die Polizei hatte am Donnerstag morgen begonnen, ein für die Bauarbeiten vorgesehenes Gelände freizuräumen. Am Abend sollten dort die ersten von insgesamt 300 Bäumen gefällt werden. Dennoch gelang es Schülern und »Parkschützern«, auf das Gelände zu gelangen und den Baumaschinen den Weg zu versperren. Beamte versuchten daraufhin, Aktivisten von Bäumen zu zerren, wurden aber von Demonstranten daran gehindert. Als sich gegen Mittag abzeichnete, daß immer mehr Menschen in den Park strömten, wurde das Vorgehen der Einsatzkräfte zunehmend härter. Viele Demonstranten mußten an schnell errichteten Erste-Hilfe-Stationen von Sanitätern behandelt werden, darunter auch Kinder und Senioren.
»Es ist entsetzlich, was sich hier für Szenen abspielen«, so Matthias von Herrmann, Pressesprecher der »Parkschützer« in einer gestern verbreiteten Erklärung. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte angesichts des Großeinsatzes der Polizei die baden-württembergische Landesregierung und die Bahn auf, »den Konflikt um ›Stuttgart21‹ nicht weiter zu eskalieren« und sprach von einer »brutalen Bulldozer-Politik«. Die Strategie von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), »mit gezielten Provokationen die ›Stuttgart-21‹-Gegner zu emotionalisieren, um sie anschließend möglichst kriminalisieren zu können, ist offenkundig und zynisch«, sagte Özdemir. Der Vizefraktionschef der Linken im Bundestag, Ulrich Maurer, forderte den Rücktritt von Innenminister Heribert Rech (CDU): »Wer versucht, angemeldete Schülerdemos mit Schlagstöcken, Reizgas und Wasserwerfern aufzulösen, hat mit der Demokratie gebrochen und muß als Innenminister seinen Hut nehmen«, so Maurer.
Ein Ende der Proteste war zunächst nicht abzusehen. Zwei Demonstranten hätten sich nach Angaben der Projektgegner in Röhren einbetonieren lassen, drei Menschen seien an einem Baum angekettet, um die geplanten Baumfällarbeiten zu verhindern. Um die Demonstranten in Stuttgart zu unterstützen, hätten am Donnerstag nachmittag fünf Aktivisten den Balkon der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin besetzt.
Gegen »Stuttgart 21« gibt es seit Wochen heftigen Widerstand aus der Bevölkerung. Bei dem Vorhaben soll der Kopfbahnhof der Landeshauptstadt für 4,1 Milliarden Euro in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umgestaltet werden. Außerdem ist geplant, die Strecke von Wendlingen nach Ulm zur ICE-Trasse auszubauen. Kosten: 2,9 Milliarden. Die Kritiker des derzeit größten Infrastrukturprojektes in Europa rechnen mit weit höheren Kosten, sprechen von Geldverschwendung und warnen vor den ökologischen Folgen und möglichen Sicherheitsgefahren durch die Tunnelarbeiten.
Quelle: www.jungewelt.de vom 01.10.10
« Border-Camps umgehend einstellen! – Zocker zur Kasse – DIE LINKE. Mainz demonstriert gemeinsam mit attac für die Zerschlagung der Privatbanken »
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Zur Info:
Mit Knüppeln, Wasserwerfern und Reizgas lässt die baden-württembergische
Landesregierung das Prestigeprojekt „Stuttgart 21“ gegen friedliche
Bürger/innen durchprügeln.
Fordern Sie den Rücktritt des Innenministers und
einen sofortigen Baustopp!
http://www.campact.de/bahn/ml4/mailer
Comment: rene – 01. Oktober 2010 @ 19:57
Pressemitteilung der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union,
vereinigt mit der Gustav Heinemann-Initiative
Berlin, 11. Oktober 2010
Polizeieinsatz gegen Stuttgart 21-Demo zeigt erneut: Polizeikennzeichnung
dringend notwendig
Anlässlich des Polizeieinsatzes gegen die Proteste am 30. September 2010
in Stuttgart fordert die Humanistische Union die Innenminister des Bundes-
und der Länder auf, sich für eine gesetzliche Normierung der Ausweis-
und Kennzeichnungspflicht von Polizeibediensteten einzusetzen.
Bei der Räumung des Stuttgarter Schlossgartens durch die Polizei waren
über 100 Demonstranten durch den Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken
und Pfefferspray verletzt worden.
„Die Übergriffe einzelner Polizisten können voraussichtlich wieder nicht
aufgeklärt werden“, beklagt Helga Lenz, Mitglied des Bundesvorstandes der
Humanistischen Union. „Sei es, weil die Beamten durch Schutzkleidung oder
Masken vermummt, also nicht identifizierbar waren, oder weil sich ihre
Kollegen aus falsch verstandenem Corpsgeist oder Angst vor persönlichen
Konsequenzen nicht trauen, einen Kollegen anzuzeigen.“
In Deutschland gibt es bis heute keine generelle und für alle Bereiche
der Polizeiarbeit verbindliche Kennzeichnungspflicht für
Polizeibedienstete. Eine solche Kennzeichnung würde aber helfen,
Polizisten im Falle rechtswidriger Übergriffe zu identifizieren und zur
Verantwortung zu ziehen. Die Polizei ist mit weitreichenden Befugnissen
ausgestattet, die für Bürgerinnen und Bürger auch einen Eingriff in ihre
Grundrechte bedeuten können, sie unterliegt jedoch nur unzureichenden
Kontrollmechanismen. Die Nachprüfbarkeit der Ausübung von
Polizeibefugnissen auf ihre Rechtmäßigkeit ist aber notwendige
Voraussetzung für einen Rechtsstaat.
„Die Einführung einer adäquaten Kennzeichnungspflicht garantiert die
individuelle Zuordnung staatlichen Handelns. Sie ermöglicht die
Aufklärung und vermindert widerrechtliches Handeln einzelner Polizisten.
Zudem trägt sie zur nachhaltigen Vertrauensbildung zwischen Bürgern und
Polizei bei“, erklärt Helga Lenz. „Gerade in Konfliktsituationen wie
derzeit in Stuttgart, sollte es auch im Interesse der Polizei selbst
liegen, den Bürgerinnen und Bürgern nicht als Teil einer anonymen
Staatsmacht entgegenzutreten.“
Die Kennzeichnung von Polizei- und Zollbeamten – mit Namen oder zum
Beispiel mit eindeutig zuordenbaren Ziffern und Buchstaben – ist ein
weiteres Instrument, um Transparenz und Kontrolle der Exekutive zu
fördern, so wie auch ein Polizeibeauftragter in Bund und Ländern, dessen
Einrichtung die Humanistische Union fordert.
Für Rückfragen steht Ihnen Martina Kant, Bundesgeschäftsführerin der
Humanistischen Union, unter der Tel. (030) 204 502 56 oder unter
info@humanistische-union.de zur Verfügung.
Der Mustergesetzentwurf der Humanistischen Union für einen
Polizeibeauftragten für die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt ist
abrufbar unter:
http://www.humanistische-
union.de/fileadmin/hu_upload/doku/2010/gepolizeibeauftragter_20100702_inte
rnet.pdf
Weitere Informationen zum Thema Kontrolle der Polizei finden Sie unter:
http://www.humanistische-union.de/shortcuts/polizeikontrolle
—
Humanistische Union e.V.
– Bundesgeschäftsstelle –
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
Tel: 030 – 204 502 56
Fax: 030 – 204 502 57
Comment: Wolfgang Huste – 12. Oktober 2010 @ 01:03