Wolfgang Huste Polit- Blog

Kurznachrichten aus Hellas. Von Wassilis Aswestopoulos

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Bis auf Nachrichten über ein stetig steigendes Staatsdefizit Griechenlands dringt kaum etwas aus dem Alltag der „Pleitegriechen“ an die übrige Welt durch
Derzeit wird viel spekuliert, ob das aufgrund Entschlüsselung der neu-neugriechischen Statistik erneut angepasste Defizit für 2009 den EU-IWF-EZB-Rettungsschirm für viele zusätzliche Jahre belasten wird. Ersten Ankündigungen zufolge ist das Defizit mittlerweile von 13,6 auf 15,4 Prozent des BIP taxiert worden. Alles läuft streng nach dem Motto „Beim nächsten Ton ist das Defizit 15,7 Prozent – Beep – Beim nächsten Ton ist das Defizit 15,8 Prozent – Beep….“ Was aber geschieht sonst in Hellas? Einen kleinen Einblick sollen die folgenden Kurznachrichten geben.

Griechenland als Horrortrip für Asylanten

Der österreichische UN-Sonderberichterstatter Manfred Nowak ist entsetzt (1) über die Verhältnisse in griechischen Gefängnissen, vor allem aber über Arrestzellen in Polizeistationen und am Athener Flughafen. Bei einer Inspektionsreise konstatierte er in einer Pressekonferenz menschenunwürdige Missstände in Asylantenlagern ( Audiolink (2)). Im Volksmund werden diese Auffanglager mittlerweile unverblümt Konzentrationslager genannt. Dem finanziell klammen Staat fehlen schlicht die Mittel, um den Asylanten eine menschengerechte Unterkunft zu gewähren.

Aber auch die Arrestzellen der Polizeistationen Athens seien vierfach überbelegt, ohne Hygienemöglichkeit, verschmutzt, ohne ausreichende Beleuchtung und Belüftung. Ferner stünden ausländischen Festgenommenen weder medizinische Versorgung, noch Anwälte geschweige denn Übersetzer zur Seite. Einige Insassen müssen mehrere Monate in diesen Zellen verbringen.

Das menschliche Drama ist unbeschreiblich. Laut Nowak sind 57 Prozent der „vorläufig“ – d.h. ohne Gerichtsbeschluss – unter Arrest gestellten Menschen Ausländer. Auch die Gerichtszellen sind unzureichend und schlecht. Allein am Athener Gericht sitzen statt maximal 9.000 Personen mehr als 12.000 Menschen auf engstem Raum fest.

Es sind, so betonen griechische Menschenrechtsaktivisten, wirklich Bedingungen, die an das III. Reich erinnern. Würde in Deutschland ein Tierhalter wegen solch einer Unterkunft als Tierstall eine dicke Strafe kassieren, so zeigt sich die EU von diesem menschlichen Drama bisher unbeeindruckt. Das Dublin-II-Abkommen verpflichtet die griechische Regierung, die ankommenden Asylsuchenden im Land zu halten. Griechenland zählt zu den EU-Grenzstaaten und muss laut Nowak mit 90 Prozent der in die EU einreisenden Flüchtlinge (3) fertig werden.

Ein darauf auf der Straße angesprochener Pakistani meinte dazu: „Ich lebe mittlerweile als Obdachloser mal hier mal dort. In Pakistan wird aber weiterhin seitens der Schlepper mit „Go to the Greek paradise in Athens“ geworben. 4.500 Euro kostet so ein Trip. Ich will nach Hause zurück, kann aber nicht einmal zum Flughafen Athens fahren. Jedes Mal, wenn ich meine Verwandten daheim anrufen kann und um Geld bettelte, denken die, ich wolle sie mit bösem Willen davon abhalten, auch nach hier zu kommen. Keiner dort glaubt mir. Es ist verrückt.“

Was kostet ein Fakelaki wirklich?

Was kostet ein Fakelaki? Das Unwort des Jahres in der internationalen Medienberichterstattung über die Pleitegriechen. Oft beschrien, aber nie analysiert!

Zwei Antworten darauf gab am Donnerstag die Justiz. Zwölf Monate Haft auf Bewährung und 15.000 Euro Geldstrafe für einen Urologen, der 600 Euro dafür kassierte, dass er einen Notfallpatienten ins Krankenhaus aufnahm und 20 Monate auf Bewährung für einen weiteren Urologen. Letzterer ließ sich mit 500 Euro erweichen, seinem Patienten endlich den notwendigen Urinkatheter zu legen.

Journalisten leben gefährlich

Vom 35. auf den 73. Platz fiel Griechenland auf der Skala des Pressefreiheitsberichts (4) der „Reporter Ohne Grenzen“. Ein Grund für diese extreme Degradierung ist die tatsächliche Einschränkung der Pressefreiheit. Seit Beginn der IWF-Maßnahmen wurden Reporter bei Demonstrationen vermehrt von Polizeikräften gezielt angegriffen, festgehalten und verletzt. Es gibt aber bekanntlich auch tote Kollegen (5) zu beklagen. Nicht nur Polizisten auch Schlägertrupps verschiedener Couleur machen Journalisten das Leben schwer.

Was bei den „Reportern ohne Grenzen“ bisher kaum bekannt wurde, ist die Einschüchterung und interessenbezogene Gängelung von Kollegen am Arbeitsplatz durch ihre Verleger. Die Arbeit im Land ist schwierig geworden. Oft jedoch haben besonders die kurzfristig aus dem Ausland eingereisten Journalisten schlicht Probleme, weil sie nicht mit der Aggressionsbereitschaft der Griechen rechnen. Fotografiert man z.B. eine Gruppe Autonomer bei einer Demo, dann ist im besten Fall die Kamera danach kaputt.

Hat der Unfallgegner keine TÜV-Plakette, dann geht der Geschädigte leer aus

„Insgesamt 30 % der Fahrzeuge außerhalb Athens und 50% innerhalb Athens haben keine gültige TÜV-Plakette.“ Damit begründete Infrastrukturminister Reppas einen umstrittenen Gesetzesvorstoß, den viele nur als weiteren Schildbürgerstreich des Gesetzgebers sehen. Er droht das Chaos in Griechenland zu verstärken. Mehr als 2,7 Millionen Kraftwagen im Land haben keine gültige TÜV-Plakette. Teilweise sind PKWs in abenteuerlichem technischen Zustand unterwegs.

Die Polizei zeigte sich bisher machtlos. Zu wenig Menschen und Mittel standen für Kontrollen zur Verfügung. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl zählt Griechenland zu den europäischen Ländern mit den meisten Verkehrstoten. In diesem Jahr starben bereits 959 Menschen im Straßenverkehr. Grund genug für die Regierung, dagegen vorzugehen. Ein vor kurzem beschlossenes Gesetz verbietet nun ab 4. November den Versicherungsfirmen, einen PKW ohne gültigen Prüfbericht zu versichern.

Angesichts der angespannten Finanzlage der Polizeibehörden ist nun zu erwarten, dass Millionen unversicherter Fahrzeuge über die Straßen rollen werden. Statistiken belegen bereits, dass im Zug der Wirtschaftskrise die Fahrzeuge immer weniger gewartet werden. Auch namhafte Mietwagenfirmen erhöhen auf Kosten der Sicherheit die Laufzeit ihrer Fahrzeuge.

Verursacht ein unversicherter Fahrer einen Unfall, so bleibt dem Geschädigten nur der Weg einer Zivilklage, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Auch bei schweren Gesundheitsschäden gibt es keine staatliche Beihilfe. Bereits jetzt dauern solche Verfahren mehr als ein Jahrzehnt. Hat der unversicherte Autobesitzer kein Kapital, so gehen die Geschädigten vollkommen leer aus.

Justizmühlen mahlen langsam

Die griechische Justiz ist lahm. Wie lahm, das zeigte nun ein letztinstanzliches Revisionsurteil. Nach 88 Jahren wurden durch den Areopag die sechs seinerzeit zum Tode verurteilten führenden Politiker und Generäle rehabilitiert.

Griechenland verlor 1922 seine kleinasiatischen Besitzungen an die aus dem osmanischen Reich hervorgegangene Türkei. Premiers, Minister und Generäle wurden deshalb ob der schändlichen Niederlage hingerichtet. Zu Unrecht, die Menschen sind „im Namen des Volkes unschuldig“, besagt das unter dem Aktenzeichen 1675/2010 ergangene Urteil, das Michalis Protopapadakis, Enkel eines hingerichteten Premiers, heute feierte. Er kämpfte ebenso wie sein Vater zeitlebens für die Rehabilitation.

Petrodollarträume verpuffen

Ein erst vor kurzem in einer Pressekonferenz in New York aus dem Munde des Vize-Vizepremiers Pampoukis mit Pauken und Trompeten angekündigtes Investitionsvorhaben über 2,5 Milliarden Euro ist geplatzt (6).

Das Scheichtum Katar wollte in eine Energiegewinnungsanlage bei Astakos investieren. Das Konsortium bestand aus den Firmen Qatar Petroleum International, Qatar Electricity and Water Company und der Rosebud Energie Deutschland. Es ging um ein 1,1-MW-Kraftwerk, das mit LPG-Gas betrieben werden sollte. Mit dem verschiffbaren Flüssiggas sollten die internationalen Großprojekte der Erdgaspipelines elegant umgangen werden. Umweltschützer liefen Sturm. Die Investitionspläne wurden entgegen den Einwänden der Umweltministerin Birbili im „Fast Track“-Verfahren genehmigt. Die Scheichs zogen trotz vorliegender Genehmigungen heute ihr Angebot zurück. Konsequenzen dieses neuerlichen Investitionsfiaskos sind noch nicht absehbar.

Pikant an dem geplatzten Deal ist, dass die verantwortlichen Minister über den Rückzug der Araber bereits seit mehr als zehn Tagen informiert waren. Trotzdem verteidigte noch am vergangenen Freitag Premierminister Papandreou die Investition im griechischen Parlament gegen umweltpolitische Einsprüche aus der Opposition. Er war schlichtweg nicht informiert worden.
Links

(1) http://www.athensnews.gr/portal/9/32274
(2) http://oe1.orf.at/artikel/260372
(3) http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_politics_100003_21/10/2010_120614
(4) http://www.reporter-ohne-grenzen.de/ranglisten/die-neue-rangliste-2010.html
(5) http://www.focus.de/politik/ausland/tid-19197/griechenland-toedlicher-terror-gegen-journalisten_aid_532320.html
(6) http://www.athensnews.gr/portal/11/32243

Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33537/1.html

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 24. Oktober 2010 um 15:05 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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