Pressemitteilung der Humanistischen Union, vereinigt mit der Gustav
Heinemann-Initiative.
Der Bundestag berät am Donnerstag, dem 2. Dezember 2010, abschließend
über die Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung. Die
Humanistische Union kritisiert den vorliegenden Gesetzentwurf der
Koalition (BT-Drs. 17/3403) als rechtspolitische Mogelpackung. Ihr
Vorstandsmitglied Dr. Jens Puschke erklärt hierzu: „Der gesetzgeberische
Handlungsbedarf ist entstanden, weil Teile der bisherigen Regelung der
deutschen Sicherungsverwahrung gegen europäische Menschenrechtsnormen
verstoßen. Das jetzt vorgelegte Gesetz erfüllt weder den selbstgestellten
Anspruch einer wirksamen Beschränkung der Sicherungsverwahrung auf
schwere Sexual- und Gewaltverbrechen, noch wird die nachträgliche
Sicherungsverwahrung für alle Betroffenen abgeschafft, was im Widerspruch
zu Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte steht. Durch
die Beibehaltung für sogenannte Altfälle und für Jugendliche und
Heranwachsende wird die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch zukünftig
einen erheblichen Stellenwert besitzen.“
Die Bürgerrechtsorganisation hat in dieser Woche eine ausführliche
Stellungnahme zum Gesetzentwurf vorgelegt und fordert die Abgeordneten
des Bundestages auf, dem Entwurf in der vorliegenden Fassung ihre
Zustimmung zu verweigern. Nach Ansicht der Humanistischen Union ist der
Entwurf in Teilen verfassungs- und europarechtswidrig. In dem Gutachten
wird unter anderem kritisiert, dass die primäre Sicherungsverwahrung
nicht – wie von der Bundesregierung ursprünglich angekündigt – auf Sexual-
und Gewaltdelikte beschränkt werde. Jens Puschke weist darauf hin, dass
nach dem Wortlaut des Gesetzes künftig weiterhin etwa auch bei bestimmten
Vermögensdelikten die Sicherungsverwahrung vom Gericht angeordnet werden
soll. „Bei Vermögensdelikten hilft die Sicherungsverwahrung jedoch weder
Opfern noch Tätern und ist zudem völlig unverhältnismäßig. Im Falle einer
Vermögensschädigung würde eine Sicherungsverwahrung regelmäßig dazu
führen, dass die Wiedergutmachung etwa durch Schadensersatzzahlungen
scheitert, weil die Täter während der Verwahrdauer kein Einkommen
erzielen können“, kritisiert Puschke.
Hinzu komme, dass die Hürden für eine im Urteil vorbehaltene
Sicherungsverwahrung mit dem Entwurf abgesenkt werden. Für einen
Vorbehalt soll es künftig reichen, wenn die Gutachter einen Hang zu
schweren Straftaten für wahrscheinlich halten. Bisher musste dieser Hang
zu weiteren Straftaten festgestellt werden. „Da solche Prognosen ohnehin
sehr unsicher sind, wird die Absenkung der Anforderungen dazu führen,
dass künftig mehr Verurteilte ihre Haftzeit mit der Ungewissheit
verbringen, ob sie im Anschluss an die Freiheitsstrafe tatsächlich
entlassen werden“, befürchtet Puschke. „Das befördert die Scheinanpassung
von Gefangenen, die ihre Sicherungsverwahrung vermeiden wollen, und
untergräbt therapeutische Bemühungen. Der Vorbehalt einer
Sicherungsverwahrung ist ebenso wie die Möglichkeit ihrer nachträglichen
Anordnung ein Resozialisierungskiller“, unterstreicht Puschke.
Für Rückfragen stehen Ihnen die Geschäftsführerin der Humanistischen
Union, Martina Kant (Tel. 030 / 204 502 56) sowie Dr. Jens Puschke (Tel.
0761 / 203-2211) zur Verfügung.
Das ausführliche Gutachten der Humanistischen Union zum Gesetzentwurf
über die Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung finden Sie auf
der Webseite der Humanistischen Union unter:
http://www.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/doku/2010/HU2010-11-
29_GE-Sicherungsverwahrung.pdf
oder unter dem Kurzlink: http://tinyurl.com/2b89v6g
Weitere Informationen der Humanistischen Union zum Thema Rechtspolitik
und Sicherungsverwahrung finden Sie unter:
http://www.humanistische-union.de/themen/rechtspolitik/
—
Humanistische Union e.V.
– Bundesgeschäftsstelle –
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
Tel: 030 – 204 502 56
Fax: 030 – 204 502 57
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Vor den Stammtischen eingeknickt. Bundestag beschloß Neuregelung der Sicherungsverwahrung. Linke beklagt Verfassungsbruch. Von Ulla Jelpke
Mit den Stimmen der schwarz-gelben Regierungskoalition und der oppositionellen SPD hat der Bundestag am Donnerstag einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung beschlossen. Linke und Grüne halten die Neuregelung für verfassungswidrig. Die Bundestagsmehrheit habe sich dem Druck der Stammtische gebeugt, die nicht akzeptieren, daß laut Grundgesetz Straftäter nicht nur weggesperrt, sondern auch resozialisiert werden müßten, kritisierte Die Linke am Donnerstag in einer Erklärung.
Die Neuregelung war notwendig geworden, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg im Dezember 2009 die Praxis der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verurteilte.
Die Möglichkeit, die Maßnahme erst nachträglich anzuordnen, entfällt mit der Neuregelung weitgehend. Die Option der Sicherheitsverwahrung muß bereits bei der Verkündung der Freiheitsstrafe benannt werden. Sie soll auf schwerste Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung beschränkt werden. Doch im Unterschied zur bisherigen Regelung kann sie nun bereits bei Ersttätern angewandt werden. Der »Hang zur Begehung erheblicher Straftaten« muß nur noch als »wahrscheinlich« und nicht wie bisher »mit hinreichender Sicherheit« festgestellt werden. Kritiker befürchten einen inflationären Anstieg der Maßnahme.
Zusätzlich will die Regierung durch ein Therapieunterbringungsgesetz auch die rückwirkende Verlängerung der Sicherheitsverwahrung wieder ermöglichen. So soll ein Großteil der über hundert durch das Strasbourger Urteil eigentlich in Freiheit zu entlassenden Personen als »physisch gestörte Gewalttäter« weiterhin weggesperrt werden. Der Justitiar der Linksfraktion, der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Neskovic, wirft der Regierung deswegen Etikettenschwindel vor. So erlaube die Europäische Menschenrechtskonvention nur eine Unterbringung psychisch Kranker, doch die Mehrheit der in nachträglicher Sicherheitsverwahrung Festgehaltenen sei eben nicht im juristischen Sinne krank.
Die Sicherungsverwahrung, durch die als besonders gefährlich eingeschätzte Täter auch nach Verbüßung ihrer Strafhaft aufgrund angeblich charakterlicher Merkmale eingesperrt bleiben, wurde als »Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher« im November 1933 eingeführt. Während die DDR dieses Gesetz als »faschistisch« abschaffte, blieb es in der BRD unter neuem Namen bestehen. 1998 wurde unter der SPD/Grünen-Regierung die bisherige Höchstdauer von zehn Jahren auf die Möglichkeit unbegrenzter Inhaftierung ausgeweitet und 2002 die Möglichkeit der nachträglichen Sicherheitsverwahrung geschaffen. Seit 1998 stieg die Zahl der Betroffenen um mehr als 160 Prozent auf heute rund 520 Personen an.
Comment: Wolfgang Huste – 03. Dezember 2010 @ 14:07