Wolfgang Huste Polit- Blog

Bewegter Auftakt beim Lüneburger Keks-Prozess. Prozess auf unbestimmt vertagt – Angeklagter nach Prozess verhaftet

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Am heutigen Mittwoch begann ein Prozess gegen Karsten Hilsen vor dem Lüneburger Amtsgericht. Dem Aktivisten wird vorgeworfen Kekse aus der Mülltonne gestohlen zu haben. Vor Beginn des Prozesses und in der Verhandlung zeigten UnterstützerInnen des Angeklagten ihren Unmut gegen die Wegwerf-Gesellschaft und diesen absurden Prozess. Die Sitzung dauerte nur etwa eine Stunde und wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.
Im Anschluss an der Verhandlung wurde Karsten Hilsen im Gerichtssaal festgenommen. Weil er ein Bußgeld wegen eines Verkehrsdeliktes nicht zahlen konnte, wurde er in Erzwingungshaft genommen – was im Falle von Zahlungsunfähigkeit unzuläßig ist.

Der Vorwurf, Karsten Hilsen hätte weggeworfene Kekse gestohlen, stammt aus dem Sommer 2010. Danach war das Verfahren sowohl gegen Herrn Hilsen, wie auch gegen eine weitere Person, gegen die die Staatsanwaltschaft den identischen Vorwurf erhoben hatte, wegen mangelndem öffentlichen Interesse eingestellt worden. Nach einer erneuten Prüfung wurde das Verfahren gegen den bekannten Anti-Atom-Aktivisten Karsten Hilsen jedoch wieder aufgenommen, während gegenüber der anderen Person lediglich die Rechtsgrundlage der Einstellung geändert wurde. Die Anklage lautet auf Hausfriedensbruch, weil die Mülltonne sich auf dem Betriebsgelände der Konditorei Scholze befand.

Solidarische UnterstützerInnen verteilten am Dienstag Flyer und containerten – also aus Mülltonnen geholten – Kuchen am Lüneburger Weihnachtsmarkt. Die Passanten lasen erstaunt laut vor: „Kekse! Kekse!“
Hanna Poddig, eine der UnterstützerInnen berichtet: „Viele wollten nicht glauben, dass Menschen aus solchen Gründen angeklagt werden und hielten unsere Flyer für sogenannte Fakes. Also für eine Fälschung.“

Im heutigen Prozess beantragte der Angeklagte gleich zu Beginn der Verhandlung einen juristischen Bestand. Die Verteidigung sollte nicht wie üblich durch einen Anwalt gewährt werden, sondern durch die gerichtserfahrene Lüneburger Polit-Aktivistin Cécile Lecomte. Dem Antrag wurde stattgegeben. Zur inhaltlichen Verhandlung kam es an diesem Tag nicht. Nachdem ein Teil des Publikums wegen kritischer Äußerungen ausgeschlossen worden war, wurde die Sitzung nach ca. einer Stunde beendet und vertagt, da die zuständige Richterin zunächst über einen Antrag der Verteidigung auf Akteneinsicht entscheiden muss.

Noch im Gerichtsaal wurde der vermeindliche „Dieb“ durch einen zuvor als Zeuge erschienenen Polizisten in Erzwingungshaft genommen. Cécile Lecomte erklärte nach der Verhandlung: „Karsten soll ein Bußgeld wegen eines banalen Verkehrsdeliktes zahlen, obwohl er längst seine Verhältnisse offengelegt und seine Zahlungsunfähigkeit dargetan hat. Dem Gesetz nach darf Erzwingungshaft jedoch nur dann vollzogen werden, wenn der Betroffnene zahlungsfähig ist. Im Weltbild von Richtern, die selbst zu den wohlhabenden Menschen gehören, ist ein Mensch, der sich u.a. aus Geldnot von weggeworfenen Lebensmittel ernährt, zahlungsfähig. Das ist doch ein Skandal!“

Karstens UnterstützerInnen wollen das Vorgehen der Staatsgewalt nicht ohne weiteres hinnehmen. Am Nachmittag informierten sie PassantInnen über das Geschehen, eine Passantin spendete die ersten zehn Euro um Kasten „frei zu kaufen“. Über weitere Spenden und Solidaritätsgesten freut sich die Gruppe.

Quelle: www.scharf-links.de vom 02.12.10

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 02. Dezember 2010 um 11:34 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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3 Comments

  1. Banker, die Millionen auf Kosten der Steuerzahler „verzockt“ haben, bleiben in der Regel straffrei. Nennt man das Klassenjustiz?

    Comment: Wolfgang Huste – 02. Dezember 2010 @ 11:36

  2. Kommentar zum Artikel „Bewegter Auftakt beim Lüneburger Keks-Prozess“

    Von A. Pianski, Gegenwind e.V.

    Es ist schon bezeichnend für diese Gesellschaft, wie hier die Justiz verfährt, aber aus meiner Sicht auch nicht sehr überraschend. An solche Prozesse, bzw. die Verfolgung armer Menschen aus der Unterschicht durch die Justiz und den Rechtsstaat, werden wir uns in Zukunft immer mehr gewöhnen müssen.

    Diese kapitalistische Gesellschaft, braucht ein Prekariat, das am untersten Rand der Gesellschaft vegetiert, um ihren Profit zu sichern und gleichzeitig willige Sklaven zu haben, die nicht aufmucken und das tun, was von ihnen verlangt wird. Das klappt aber nur, wenn man es unter Kontrolle hält, möglichst viel vom Einzelnen weiß und das Leben vom Aufstehen bis zum Schlafengehen weitestgehend bestimmen kann. Dabei darf keiner irgendeine Nische finden, die ihm erlaubt, in irgendeiner Form sich dem System zu entziehen.

    Selbst bei der Nahrungsbeschaffung müssen die Leute spüren, dass sie im Grunde nichts wert sind. Immer schön einer Demütigung aussetzen, dann geht man auch für 3 Euro schuften. Dies erreicht man derzeit mit den Tafeln, die längst kommerzialisiert sind und ihren angedachten Zweck erfüllen.

    Wo kommen wir denn hin, wenn sich einer das Essen aus einem Container holt und trotz der staatlichen Kontrolle etwa nicht als Billigstarbeiter zur Verfügung steht, wenn er die berühmte Nische gefunden hat und er mit seiner Lebensphilosophie sich nicht an der Hatz nach solchen Sklavenjobs beteiligt. Wenn er einfach sagt, Hauptsache ich führe ein gutes Leben und habe zu essen. Der ganze Konsumterror kann mir den Buckel runterrutschen.

    Ein verlorenes Schäflein aus der Herde der Prekären, und um zu verhindern, dass so eine Denkweise Schule macht, bekämpfen wir solche Auswüchse, wenn’s denn sein muss auch mit unlauteren Mittel.

    A. Pianski

    Gegenwind e.V.

    Comment: Wolfgang Huste – 04. Dezember 2010 @ 14:26

  3. Einschränkung der Verteidigung durch Verteidigerausschluß !

    Von Eichhörnchen

    Am 13.12. werden zwei Gerichtsverfahren gegen bekannte Lüneburger Polit-AktivistInnen vor dem Amtsgericht in Lüneburg und Dannenberg fortgesetzt.

    Erster gemeinsamer Nenner für die beiden Prozesse ist, dass sie Staatsanwaltschaft – wohl aus politischen Gründen – das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht hat, obwohl es sich bei der angeklagten Handlungen jeweils um Lappalien handelt, es entstand weder einen Schaden, noch wurde jemand verletzt.

    Zweiter gemeinsamer Nenner ist das offensive Auftreten beider Angeklagten, die sich nicht wie üblich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Ihre Verteidigung gestalten sie statt dessen jeweils zusammen mit einer sachkundigen Vertrauensperson aus ihrem politischen Umfeld, die vom Gericht als Wahlverteidiger nach § 138 Abs. 2 der Strafprozessordnung genehmigt wurde.

    Obwohl die Lüneburger Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung jeweils keine Bedenken gegen diese Vorgehensweise äußerte, versucht sie nun die Wahlverteidiger von der Mitwirkung am jeweiligen Verfahren auszuschließen. Ein kämpferisches AktivistInnen-Duo auf der Anklagebank ist ihr ein Dorn im Auge.

    Damit befinden sich beide Verfahren auf juristischem Neuland. Rechtssprechung zur Rücknahme der Genehmigung als Wahlverteidiger nach § 138 Abs. 2 der Strafprozessordnung ist in den üblichen Rechtskommentaren nicht zu finden.

    Eine Zuspitzung in beiden Prozessen ist am Montag zu erwarten. Die Beschneidung ihrer Verteidigungsrechte wollen sich die AktivistInnen nicht gefallen lassen!

    Prozessdaten :

    * Amtsgericht Dannenberg – Zaun-Prozess gegen Atomkraftgegnerin Cécile Lecomte – 13.12. um 9:30 Uhr
    * Amtsgericht Lüneburg – Kekse-Prozess gegen den Polit-Aktivisten Karsten Hilsen – 13.12. um 11 Uhr (Die Verteidigung hat einen Aussetzungsantrag gestellt, es wird am Montag womöglich nicht über die Sache verhandelt, siehe Hintergründe unten)

    Die Prozesse sind öffentlich, die Anwesenheit einer aufmerksamen Öffentlichkeit ist erwünscht.

    Hintergründe:

    * Dannenberg:

    Vor dem Dannenberger Amtsgericht muss sich seit August 2010 die bekannte Atomkraftgegnerin Cécile Lecomte verantworten.

    Hintergrund des Verfahrens ist eine Aktion vor dem Atommüllzwischenlager in Gorleben im Sommer 2008.
    Die Betreiber hatten vor dem eigentlichen Festungszaun einen weiteren Sperrzaun errichtet. Der hatte an einer Stelle aber einen Durchschlupf, weil zwei Stahlstangen nicht in gleichmäßigem Abstand geschweißt waren. Cécile Lecomte wird nun vorgeworfen, durch diesen äußeren Zaun geschlüpft zu sein und dann in einer „Ätsch, Euer Zaun funktioniert nicht“-Manier mit Kiefernzapfen Volleyball mit DemonstrantInnen vor dem Zaun gespielt zu haben. Statt amüsiert zuzuschauen und Cécile zu danken für das Herausfinden der Schwachstelle, nahm sie die Polizei fest. Obwohl selbst zur Videoauswertung in der Gerichtsakte steht, Cécile hätte keinen Widerstand geleistet, bekam sie zusätzlich zum Hausfriedensbruch genau diesen Vorwurf. Verhandelt wurde erstmals im Sommer 2010. Nach fünf Verhandlungstagen scheiterte der erste Versuch, weil die Angeklagte, die an einer chronischen Krankheit leidet, sich für einen angesetzten Verhandlungstag krank meldete. Trotz Attest glaubte ihr der Richter nicht, schickte ihr die Polizein nach Hause und ließ sie (wohlgemerkt mit akuten Rheumaschmerzen) einer Amtsärztin zwangsvorführen, die dann die temporäre Prozessunfähigkeit bestätigte.

    Der Prozess musste in November komplett von vorne beginnen, am Montag wird dies der vierte Prozesstag sein.

    Das Gericht hatte schon in September auf Antrag von Cécile den Polit-Aktivisten Jörg Bergstedt als Verteidiger bestellt, die Staatsanwaltschaft äußerte damals keine Bedenken.
    Doch am 6.12. beantragte plötzlich Oberstaatsanwalt Vogel, die Genehmigung von Jörg Bergstedt als Wahlverteidiger zurück zu nehmen. Entscheiden über den Antrag muss nun am Montag Richter Stärk, der bislang fast immer auf den Staatsanwalt hörte, dafür aber selbst auch Kritik seitens der Verteidigung einstecken musste.

    Zum Antrag der Staatsanwaltschaft, siehe http://de.indymedia.org/2010/12/295938.shtml

    * Lüneburg

    Vor dem Lüneburger Amtsgericht muss sich der Lüneburger Polit- Aktivist Karsten Hilsen seit dem 1. Dezember verantworten. Ihm wird vorgeworfen, bereits weggeworfene Kekse aus einer Mülltonne geklaut zu haben. Als Verteidigerin im Sinne von § 138 Abs. wurde am ersten Prozesstag Cécile Lecomte vom Gericht genehmigt. Richterin Lindner erklärte, sie habe einen solchen Antrag erwartet, gegen die Zulassung von Cécile äußerte sie keinerlei Bedenken. Die Staatsanwaltschaft auch nicht.

    Cécile beantragte daraufhin Akteneinsicht wie sie der Verteidigung zusteht, die Richterin unterbrach die Sitzung und erklärte, über den Antrag außerhalb der Verhandlung entscheiden zu wollen.

    Der Beschluss folgte wie angekündigt über den Postweg. Zur Überraschung der Verteidigung kam aber ein zweiter Beschluss dazu: Die Zulassung von Cécile als Verteidigerin von Karsten wird zurückgenommen!

    Der Rücknahmebeschluss hält die Verteidigung aus mehreren Gründen für rechtswidrig, Rechtsmittel wird eingelegt: Weder Karsten noch seine Verteidigerin wurden vor Erlass des Beschlusses, der auf Antrag der Staatsanwaltschaft hin verfasst wurde, um Stellungnahme gebeten. Dies stellt eine erhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Hinzu kommt, dass eine Rücknahme der Genehmigung nur dann erfolgen kann, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nachträglich entfallen. Im Fall von Cécile wird keinerlei neuen Erkenntnissen argumentiert: Angeführt wird, dass Cécile an einer chronischen Krankheit leidet und dass sie in der Vergangenheit der Justiz „Willkür“ vorgeworfen hätte. Cécile sieht in dem Vorgehen einen Verstoß gegen das im Grundgesetz verankerte Rechtsstaatsprinzip (Stichwort Rechtssicherheit)
    Informationen zu diesem Prozess: http://de.indymedia.org/2010/12/295583.shtml

    Nur als Sahnehaube oben drauf kommt dann auch noch die Ladung für Karstens nächsten Termin, der – was für ein Zufall- genau am gleichen Tag stattfinden soll, wie Céciles nächster Termin in Dannenberg. Darin sehen die AktivistInnen der Wille der Justiz, die Unterstützung für beide AktivistInnen zu erschweren und somit ihre Verteidigungsmöglichkeiten einzuschränken.

    Im Keks-Prozess vor dem Amtsgericht Lüneburg wird am Montag möglicherweise nicht verhandelt. Die Verteidigung hat die Aussetzung der Verhandlung beantragt, weil das Gericht die Ladungsfrist nach § 217 StPO zum neuen Termin nicht eingehalten hat und weil der Angeklagte Zeit um seine Verteidigung neu zu organisieren braucht.

    Eichhörnchen, den 11.12.2010

    Comment: Wolfgang Huste – 12. Dezember 2010 @ 17:08

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