Mit zaghaften Appellen auf einer Pressekonferenz zum Thema Kindergesundheit hat am Freitag in Berlin der 16. »Kongreß Armut und Gesundheit« begonnen – wenige Wochen vor dem Anstieg der Krankenkassenbeiträge von 14,9 auf 15,5 Prozent. In rund 80 Einzelveranstaltungen diskutieren an zwei Tagen über 2000 Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft und Praxis im Rathaus Schöneberg, wie »die Gesundheits- und Verwirklichungsschancen von Kindern und anderen Bevölkerungsgruppen in schwieriger sozialer Lage« verbessert werden können.
»Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Deshalb müssen wir ihnen ein gesundes Aufwachsen ermöglichen«, sagte Professor Elisabeth Pott von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Rund 20 Prozent der Kinder wachsen laut BZgA »unter schwierigen sozialen und gesundheitlichen Bedingungen auf«. 30 Prozent haben demnach »keine stabile Bindung, kein Vertrauensverhältnis« zu ihren Eltern. Wegen der vielfältigen Einflußfaktoren müsse die Gesundheitsförderung sektorübergreifend erfolgen, so Pott. Durch ein gutes Betreuungsangebot könnten Defizite in den Familien aufgefangen werden. Auch könne man die Gesundheit der Kinder nicht fördern, ohne die Eltern zu unterstützen. Ein ganzheitlicher Ansatz, wie ihn auch die Weltgesundheitsorganisation vertrete, sei gefragt. »Dazu gehören auch Teilhabe und Mitbestimmung; sich nicht ausgeliefert zu fühlen«, so die Gesundheitsexpertin.
Konkreter wurde der Kindheitswissenschaftler Professor Raimund Geene von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er kritisierte die Streichung des Elterngeldes für Bezieher von Arbeitslosengeld II. Daß nicht alle Kommunen die Kosten für Verhütungsmittel bei Hartz-IV-Bezieherinnen übernehmen, sieht er jedoch nicht als Problem an. Derlei »staatliche Fertilitätsplanung« erwecke den Eindruck, daß es erwünschte und weniger erwünschte Kinder gebe. Vielmehr müsse man »jedem Kind das Gefühl geben, daß es erwünscht ist«. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für Verhütungsmittel nur bei Patientinnen unter 18 Jahren. Der anwesende Kassenvertreter äußerte sich dazu nicht.
Zum Thema Kindergesundheit sagte der AOK-Vorstand Herbert Reichelt, entscheidend für den Start in ein gutes Leben seien »richtige Vorbilder, ein gesundes Umfeld und Bildung«. Nicht etwa »der Ruf nach mehr Geld«. Außerdem appellierte er an Bund, Länder und Kommunen, für kindliche Chancengleichheit zu sorgen. Die AOK engagiere sich im Bereich der Gesundheitsbildung. Sie bietet Präventionsprojekte für Kindergartenkinder an und erziele damit Erfolge in Sachen Ernährung und Bewegung.
Über Finanzierungsmodelle der gesetzlichen Krankenversicherung diskutierten unterdessen die gesundheitspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen. Der schrittweisen Einführung einer Kopfpauschale, die in Form eines einkommensunabhängigen Zusatzbeitrags von der schwarz-gelben Koalition beschlossen wurde, steht das Modell einer solidarischen Bürgerversicherung gegenüber, das von der Partei Die Linke sowie von den Grünen vertreten wird.
Quelle: www.jungwelt.de vom 04.12.10
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