Wolfgang Huste Polit- Blog

Protest und Schüsse. Machtverhältnisse in Tunesien bleiben nach der Flucht von Präsident Ben Ali unübersichtlich. Armee in Kämpfen mit Sicherheitskräften. Von Karin Leukefeld

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Die Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit in Tunesien war am Montag von weiteren Straßenkämpfen und Gewalt begleitet. Kämpfe lieferte sich vor allem die Armee mit Angehörigen der ehemaligen Präsidentschaftsgarde und Sicherheitskräften des Innenministeriums. Scharfschützen und Schlägertrupps dieser Gruppen werden von der Bevölkerung auch für Angriffe auf Bürger verantwortlich gemacht, die sich in den letzten Tagen in verschiedenen Vierteln der tunesischen Hauptstadt gebildet haben, um ihre Familien, Wohnungen und Geschäfte zu schützen.

Während die Verhandlungen über die Regierung der nationalen Einheit am Montag fortgesetzt wurden, kam es vor der Parteizentrale der bisher herrschenden RCD (Konstitutionelle Demokratische Versammlung) zu wütenden Protesten. Sie richteten sich gegen eine in Umlauf gebrachte Namensliste des neuen Übergangskabinetts. Ihr sollen laut Berichten der gerade ernannte Innenminister sowie der bisherige Außenminister angehören, die beide RCD-Mitglieder sind. Das sei keine Regierung der nationalen Einheit, so die Kritik, weite Teile der tunesischen Gesellschaft blieben unberücksichtigt.

Lediglich drei Minister sollen den auch unter Ben Ali geduldeten Oppositionsparteien und Gewerkschaften angehören, berichtete ein Korrespondent des arabischen Nachrichtensenders Al Dschasira. Die Demokratische Fortschrittspartei (PDP) sowie das Demokratische Forum für Arbeit und Freiheit (FDTL) sollen die Ministerien für regionale Entwicklung und Gesundheit übernehmen, hieß es im arabischen Programm der BBC, die (ehemals kommunistische) Erneuerungspartei das Bildungsministerium. Am Samstag war bereits der bisherige Parlamentssprecher Fouad Mebazaa als Übergangspräsident vereidigt worden.

Der amtierende Ministerpräsident Mohammed Al-Ghannouchi erklärte derweil »null Toleranz« für alle, die die Sicherheit des Landes weiter gefährdeten. Mit der Ernennung einer Übergangsregierung werde »eine neue Seite in der Geschichte Tunesiens aufgeschlagen«, verkündete er. Unklar ist derweil noch, ob Neuwahlen nun in zwei oder erst in sechs Monaten durchgeführt werden sollen. Al-Ghannouchi forderte alle bisher verbotenen Parteien auf, wieder aktiv zu werden, ihre Führer sollten aus dem Exil zurückkehren, Tunesien sei auch »ihr Land.«

Auf Kritik, die verbotene Opposition sei nicht in die Gespräche für die Übergangsregierung einbezogen worden, ging Ghannouchi nicht ein. Exilpolitiker und jene, die bisher im Gefängnis saßen, werden Zeit brauchen, um ihre Parteien und Kandidaten für die Wahlen neu zu organisieren. Das betrifft vor allem die Islamische Erneuerungspartei (Al-Nahda), die Tunesische Arbeiterkommunistische Partei und die islamische Hisb Al-Tahrir (Befreiungspartei).

Während westliche Medien wiederholt die Bedeutung von Internetmedien wie Facebook, Blogs und Twitter für den Erfolg des Aufstandes betonten, spielt das in der arabischen Berichterstattung nur am Rande eine Rolle. In arabischen Ländern verfügen weit weniger Haushalte über einen Internetzugang als in europäischen Staaten oder in den USA. Arabischen Medien ist auch nicht zu entnehmen, daß die Veröffentlichung von Wikileaks über das ausschweifende Leben des Ben-Ali-Clans die Wut der Tunesier besonders angefacht hat. Das vermutete u.a. die New York Times. Die rücksichtslose Selbstbedienung des Präsidentengefolges war wohl eher für westliche Touristen eine Neuheit, zumal sie sich meist wenig für den Alltag ihrer tunesischen Gastgeber interessierten. Den Tunesiern selbst war das auf Ausplünderung des Landes gestützte Luxusleben der Familie des Staatspräsidenten seit Jahren bekannt. Es spielte sich täglich vor ihren Augen ab.

Quelle: www.jungewelt.de vom 18.01.11

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 18. Januar 2011 um 12:15 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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