Wolfgang Huste Polit- Blog

Unter westlichem Diktat. Der Umsturz in Tunesien ist für arabische Regierungen, die USA und die EU ein Schock. Sie arbeiteten gemeinsam daran, die Bevölkerung der Region in Armut zu halten. Von Karin Leukefeld

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Die arabischen Führer können die »Lektion von Tunesien« nicht ignorieren, hieß es in einem Kommentar der unabhängigen syrischen Tageszeitung Al Watan einen Tag, nachdem der tunesische Präsident Zine Al Abidine Ben Ali gestürzt worden war. Die arabischen Führer sollten ihre politischen Entscheidungen immer im Interesse der Bevölkerung treffen, um »Stabilität und Sicherheit« zu gewährleisten, nur so könnten »Chaos und innenpolitische Krisen« vermieden werden. Weil die syrische Führung sich von dieser Einschätzung leiten ließ, habe sie zwar »Freunde im Westen verloren«, dafür aber die Unterstützung der eigenen Bevölkerung gewonnen, hieß es weiter. Letztlich richte sich die tunesische Lektion auch an die westlichen Führer, vor allem an die Vereinigten Staaten und an die Europäische Union. Sie hätten Ben Ali politisch, militärisch und finanziell unterstützt, den Willen der Bevölkerung aber ignoriert. Der Sturz Ben Alis zeige aber, daß der Willen der arabischen Bevölkerung gesiegt habe.
Stagnation
Arabische Regierungen zogen schnell die Konsequenzen und ließen die Leine vor allem dort locker, wo es die Menschen am meisten drückt, beim Hunger. Der jordanische König ordnete eine Steuersenkung auf Treibstoff und Grundnahrungsmittel an, der Emir von Kuwait verteilte Geld und läßt die Bedürftigsten bis Ende März Grundnahrungsmittel gratis einkaufen. Syrien verdoppelte die Subventionen für Heizöl, und der saudische König versprach neue Programme zur Einkommenssteigerung.

Doch damit wird es nicht getan sein. Seit Jahrzehnten stagnieren die Lebensbedingungen der arabischen Bevölkerung auf niedrigstem Niveau, während die Waffenarsenale ihrer Staaten sich füllen und die Herrscherfamilien immer reicher werden. Die Gründe für die wachsende Schere zwischen arm und reich in der arabischen Welt sind vielfältig, nicht in jedem Land ist die Lage gleich. Ungebrochene Selbstbedienungsmentalität der herrschenden Familien gibt es in den meisten Staaten, oft verbunden mit politischer Stagnation und Repression, wie es kürzlich bei den Parlamentswahlen in Ägypten offen zutage trat. Korruption ist allgegenwärtig, ob es um das Anmieten einer Wohnung, die Ausstellung von Papieren, die Vermittlung einer Arbeitsstelle oder um einen Platz im Krankenhaus geht. Privatisierung im Gesundheitswesen macht gute medizinische Versorgung zum Luxus, während öffentliche Krankenhäuser völlig vernachlässigt, Ärzte und Pflegepersonal unterbezahlt werden. Nicht nur in Kairo übernachten Menschen auf dem Gehsteig vor öffentlichen Krankenhäusern, um am nächsten Morgen ein Krankenhausbett zu ergattern.
Marktzerstörung
Wirtschaftlich stehen viele dieser Staaten seit den 1980er Jahren unter dem Diktat von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Deren Programme zwingen die Regierungen zum Abbau von Subventionen, was die armen Bevölkerungsschichten in noch größere Armut treibt, die frühere Mittelschicht eingeschlossen. Privatisierung und Ausrichtung lokaler Märkte auf »Weltmarktniveau« oder »soziale Marktwirtschaft« zerstören lokale und regionale Produktion und Wirtschaftsstrukturen, was vor allem im landwirtschaftlichen Bereich zu verfolgen ist. Als Standorte im Billig­lohnsektor für internationale Firmen haben sich von Syrien bis Marokko fast alle arabischen Staaten angedient. Ausländische Produkte überschwemmen im Gegenzug lokale Märkte, während einheimische Produzenten immer weniger verkaufen können. So gibt es Bananen aus Südamerika, Hühnchen aus Brasilien und Erdnußbutter aus England, doch Obst und Gemüse aus der Region müssen weit unter Preis verkauft werden, um noch einen Abnehmer zu finden. Und werden Säfte oder Milchprodukte mal in der Region hergestellt, wie zum Beispiel in Saudi-Arabien, dann meist für internationale Konzerne wie Nestlé oder Coca-Cola. Rapide Steuererhöhungen auf Treibstoff treiben Transportkosten in die Höhe, so daß es sich für Bauern kaum noch lohnt, ihre Produkte auf die städtischen Märkte zu bringen. Nicht nur in Ägypten ist die daraus resultierende Landflucht in den Armenvierteln um Kairo erkennbar, ähnliche Entwicklungen gibt es in allen Großstädten der Region. Soziale Infrastruktur, Schulen, Krankenhäuser, Transportmittel, Strom- und Wasserversorgung sind in ländlichen Gebieten völlig unzureichend, von Arbeitsplätzen ganz zu schweigen. Menschen in der Provinz fühlen sich von ihren Regierungen verlassen.

Die meisten der autoritär regierenden arabischen Regimes werden seit dem Ende der Sowjetunion von den USA und Europa bedrängt, hofiert und gegängelt. Als Partner für Israel erhalten Jordanien und Ägypten umfangreiche Militär- und Wirtschaftshilfe. Um Europa vor Flüchtlingen zu schützen und zum »Kampf gegen den internationalen oder islamistischen Terror«, werden Polizeikräfte und Soldaten auf- und ausgerüstet und in Ausbildungsprogrammen nach westlichem Standard geschult, den sie nicht selten beim Einsatz gegen Demonstrationen zur Schau stellen. Der Sturz ihres langjährigen Partners Ben Ali in Tunesien dürfte für die USA und Europa ein Schock gewesen sein. Die »Lektion von Tunesien« zeigt tatsächlich, daß auch die Araber sich nicht ewig belügen und ausbeuten lassen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 19.01.11

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 19. Januar 2011 um 11:11 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. Viel zu spät. Zum Ausschluß der Partei des gestürzten tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali aus der Sozialistischen Internationale (SI), erklärte der europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Diether Dehm, am Dienstag in einer Pressemitteilung:

    Es ist nur peinlich, daß die SI, deren stärkster Faktor die deutsche SPD ist, erst gestern, nachdem der Diktator geflohen ist, die tunesische Regierungspartei RCD (Rassemblement Constitutionnel Démocratique) ausschließt. Der Ausschluß kommt viel zu spät. Über 20 Jahre hat die SI in skandalöser Nibelungentreue zur Regimepartei gestanden, obwohl diese Instrument des Diktators Ben Ali und somit mitverantwortlich für jahrzehntelange Unterdrückung war. Die SPD muß sich fragen lassen, warum sie nicht schon längst Farbe für Demokratie und Menschenrechte bekannt hat. Oder ob sie wegen der rot-grünen Waffenbrüderschaft von Schröder, Fischer und Ben Ali in Afghanistan über die eklatanten Menschenrechtsverletzungen einfach hinweg gesehen hat.

    Comment: Wolfgang Huste – 19. Januar 2011 @ 11:13

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