In Tunesien gehen die Proteste gegen die neue Regierung unvermindert weiter. In der Hauptstadt Tunis gab die Armee Warnschüsse ab, um eine Demonstration von mehr als tausend Personen aufzulösen. »Das Volk will den Rücktritt der Regierung«, skandierten die Demonstranten mit Blick auf das Übergangskabinett unter dem vorläufigen Ministerpräsidenten Mohammed Ghannouchi. »Verräter, wir haben keine Angst mehr vor euch«, war auf Transparenten zu lesen. Den Demonstranten gelang es erstmals seit dem 14.Januar, dem Tag der Flucht von Präsident Zine El Abidine Ben Ali, zum Innenministerium vorzudringen und ihren Marsch bis zum Sitz der seit 23 Jahren regierenden Partei RCD fortzusetzen. Sie forderten erneut den Rückzug aller RCD-Anhänger aus der Politik. Auch in der 350 Kilometer südlich gelegenen Stadt Gafsa versammelten sich bis zu 4000 Demonstranten, wie Organisatoren berichteten. Sie forderten den Rücktritt aller Minister, die mit Ben Ali zusammengearbeitet haben. Die betreffenden Politiker kamen der Forderung nicht nach, erklärten aber ihren Austritt aus der Partei, der RCD. Deren Führungsspitze löste sich daraufhin auf. Am Donnerstag nachmittag trat das Kabinett von Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi erstmals zusammen. An der Sitzung nahm auch Übergangspräsident Fouad Mebazaa teil. Mebazaa und Ghannouchi hatten die Partei bereits am Dienstag verlassen. Sie war am selben Tag aus der Sozialistischen Internationale ausgeschlossen worden, der sie seit den 70er Jahren angehört hatte.
Die Armee hatte in der Nacht viele Panzer aus dem Stadtzentrum abgezogen. Ein Oberst rief der jubelnden Menge zu, daß die Soldaten auf ihrer Seite stünden und nicht schießen würden. AFP zitierte u.a. Mohammed Lakdhar Allala, Führungsmitglied der ehemals kommunistischen Partei Ettajdid (Erneuerung), der die Rolle der Armee, die Druck auf Ben Ali ausgeübt habe, als »positiv« bezeichnete. Auf dem Höhepunkt der Krise soll der Generalstabschef des Heeres, Rachid Ammar, vorige Woche Ben Ali den Gehorsam verweigert und sich der Anweisung, seinen Soldaten die Unterdrückung der Proteste zu befehlen, widersetzt haben. Der tunesischen Armee gehören knapp 35000 Soldaten an, während Ben Alis Polizei- und Staatssicherheitsapparat bis zu 170000 Angehörige umfassen soll.
In Frankreich ist eine heftige politische Auseinandersetzung über die Rolle der Regierung während des Umsturzes in Tunesien entbrannt. Kulturminister Frédéric Mitterrand – selbst Besitzer einer Villa in Tunis– erklärte, er habe nie verschwiegen, daß die Regierung Ben Alis ihm in den 90er Jahren die tunesische Staatsbürgerschaft gegeben habe. »Aber ich habe keinen Kompromiß gemacht«, verteidigte sich der Neffe des ehemaligen Staatspräsidenten François Mitterrand. Er hatte noch am 10.Januar erklärt, in Tunesien herrsche keine Diktatur. Außenministerin Michèle Alliot-Marie hatte Ben Ali am Dienstag vor dessen Sturz französische Unterstützung angeboten. Sie hatte in der Nationalversammlung erklärt: »Das in der ganzen Welt anerkannte Wissen der französischen Sicherheitskräfte könnte helfen, solche Sicherheitsprobleme zu lösen.« Sie habe die Entwicklung nicht kommen sehen, verteidigte sich die Ministerin später. Die Sozialistische Partei forderte am Donnerstag erneut ihren Rücktritt.
Quelle: www.jungewelt.de vom 21.01.11
« Verkehrspläne der Regierung gehören in den Reisswolf. Presseerklärung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag – Aufschwung der Ackermänner »
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