Wolfgang Huste Polit- Blog

Etappensieg. Nach Mubarak fängt es erst richtig an. Von Werner Pirker

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Mit dem Rücktritt der Person Mubarak ist das System Mubarak noch lange nicht verschwunden. Und dennoch war es von seiten der Aufstandsbewegung richtig, kompromißlos auf der Entmachtung des verhaßten Diktators zu bestehen. Doch ist der erste Etappensieg der ägyptischen Revolution mit der Übernahme der Macht durch die Armee verknüpft. Haben die Streitkräfte mit ihrem Staatsstreich den Willen des Volkes exekutiert – oder haben sie die Revolution bereits usurpiert, bevor sie richtig begonnen hat? Eine Antwort auf diese Frage gibt es noch nicht. Sie hängt sowohl vom Zustand der Bewegung, ihrer Reife, Bewußtheit und der Bereitschaft, den Korrumpierungsversuchen durch den Westen zu widerstehen, ab als auch von den Differenzierungsprozessen innerhalb der Armee.

Das etwas naiv anmutende Vertrauen, das die Massen den Soldaten und Offizieren entgegenbringen, erklärt sich aus der antiimperialistischen Vergangenheit der ägyptischen Streitkräfte, wie sie in der Bewegung der Freien Offiziere unter Gamal Abdel Nasser zum Ausdruck kam, die 1952 die Monarchie stürzten und einen progressiven arabischen Nationalismus begründeten. Doch auch die Überwindung des Nasserismus erfolgte aus ihm selbst heraus. Nassers Nachfolger Anwar Al-Sadat löste Ägypten aus dem Bündnis mit der UdSSR und schloß einen Separatfrieden mit Israel. Dessen Nachfolger Mubarak machte das Land am Nil zu einem der unterwürfigsten Vasallen der USA.

Das Militär, dessen obere Kader zu den privilegiertesten Schichten der ägyptischen Gesellschaft zählen, war ein zuverlässiger Bestandteil des Systems Mubarak. Die Wehrpflichtarmee ist aber auch tief in den Volksklassen verwurzelt. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, daß die bewaffneten Kräfte ihr Schicksal nicht bis zum Ende mit dem des Diktators verbunden wissen wollten. Die soziale Stellung führender Militärs, die sich in Mubaraks Staat wie in einem Selbstbedienungsladen zu bewegen wußten, läßt aber wenig Hoffnung auf eine den Revolutionsprozeß befördernde Rolle der Streitkräfte zu. Im günstigsten Fall werden sie die sozialen Energien der Volksmassen bürgerlich-demokratisch zu kanalisieren versuchen.

Dazu kommt, daß sich die ägyptische Armeeführung in einem drückenden Abhängigkeitsverhältnis zu den USA befindet. Bei aller Revolutionsrhetorik, der sich ein Barak Obama inzwischen befleißigt, erwartet Washington von den ägyptischen Waffenbrüdern einen »geordneten Übergang«, womit auch die Anerkennung der westlichen Vorherrschaft über die Region gemeint ist. Dazu gehört der Friedensvertrag mit Israel, der dem zionistischen Staat die nötige Entlastung schuf, um an anderen Fronten seine Aggressionspolitik fortzusetzen.

Doch dürfte sich der erwachte Riese nicht mehr so leicht besänftigen lassen. Obamas Freiheitsphrasen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es zur Linderung der Not des Volkes eines revolutionären Bruchs bedarf.

Quelle: www.jungewelt.de vom 14.02.11

Dieser Beitrag wurde am Montag, 14. Februar 2011 um 02:11 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. Das Exempel von Kairo. Nach dem Rücktritt Mubaraks: Die Bevölkerung respektiert das Militär, will aber nicht, daß es regiert. Von Karin Leukefeld, Kairo

    Bis zum frühen Morgen des Sonnabends feierten die Ägypter den Sturz ihres Präsidenten. Die unbändige Freude, mit der die Menschen in Kairo, in Alexandria und anderen Städten auf die Straßen strömten, läßt nur erahnen, welcher Druck jahrzehntelang auf ihnen gelastet haben muß. Um 18 Uhr am Freitag abend war Vizepräsident Omar Suleiman mit versteinertem Gesicht im staatlichen Fernsehen vor die Kameras getreten und hatte in kurzen Worten den Rücktritt von Hosni Mubarak bekanntgegeben. Der Jubel, der daraufhin auf dem Tahrir-Platz ausbrach, war weit über das Zentrum Kairos hinaus zu hören. Nur wenige Minuten später waren die Straßen mit Autos, Kleinbussen, Mopeds und Fußgängern verstopft, ganz Kairo schien zum »Platz der Befreiung« zu eilen. Wer nicht in die Innenstadt kam, feierte mit den Nachbarn im Haus oder dem Stadtteil, die Menschen fielen sich in die Arme, verteilten Tee und Süßigkeiten.
    Lockere Kontrollen
    Nach der Feier beginnt am Samstag der erste Tag ohne Präsident Mubarak. Wieder strömen die Menschenmassen auf den Tahrir-Platz, dieses Mal bewaffnet mit Besen und Schaufeln, mit Körben und Plastiksäcken. Schon vorher hatten die Demonstranten versprochen: »Wenn Mubarak geht, gibt es eine große Party, und dann wird hier aufgeräumt.« Diese Bewegung kann man beim Wort nehmen. Mit Plastikhandschuhen und Mundschutz wird der Platz gefegt und geschrubbt, Graffiti werden von Mauern entfernt, Gehsteige und Polizeihäuschen gestrichen, sogar die schwarz-weiße Farbe an den Bordsteinen wird erneuert. Decken und Zeltplanen stapeln sich, Müll wird sortiert, sogar die Pflastersteine, die vor einer Woche zum Schutz vor staatlich organisierten Schlägertrupps aus den Gehsteigen gerissen worden waren, werden fachmännisch wieder eingesetzt. Über die Lautsprecher der zentralen Bühne spielt Musik, ab und zu wird eine Rede gehalten, die neuesten Nachrichten werden mitgeteilt, Witze erzählt, Spiele gemacht, an denen sich alle beteiligen können, und Aufrufe verlesen, sich zu weiteren freiwilligen Diensten zu melden.

    Die Soldaten hielten die Zugänge zum Platz am Samstag morgen zwar noch gesperrt, hatten ihre Kontrollen aber bedeutend gelockert. Die Stacheldrahtrollen waren beiseite geräumt, viele Demonstranten brachten den Soldaten Blumen, Wasser und Süßigkeiten. Überall kletterten Kinder und Jugendliche auf die Panzer, um sich mit den Soldaten fotografieren zu lassen.

    Sie seien völlig überzeugt gewesen, daß Mubarak gehen würde, äußern zwei ältere Damen, die Erinnerungsfotos machen. »Ägypten hat mehr verdient, wir hatten hier ein faschistisches Regime, das den Menschen ihre Würde geraubt hat.« Die Freiheit hätten sie den jungen Leuten zu verdanken, sagt eine der beiden. Sie hätten für alle Völker ein Exempel statuiert, das in der Geschichte Ägyptens einen festen Platz haben werde. »Wir Alte waren dazu nicht in der Lage, umso mehr müssen wir die neue Generation unterstützen«, bekunden die beiden Frauen, die weder Namen noch Beruf preisgeben möchten. Sie hoffe, Ägypten werde keine »Roadmap« bekommen, sagt die eine der beiden. »Gegen diesen Begriff bin ich allergisch, wir sehen ja bei den Palästinensern, daß solche Vorhaben zum Scheitern verurteilt sind.« Der Militärrat müsse einen Zeitplan vorlegen, in dem eine Übergangsregierung das Land regiert und neue Wahlen vorbereitet. »Wir alle respektieren das Militär, aber niemand will eine Militärregierung«, fügt ihre Freundin hinzu. Dagegen würden wieder Millionen auf die Straße gehen.
    Gerangel und Festnahmen
    Ein junger Mann kommt vorbei und bittet die Damen, für ihn zu übersetzen, was er der ausländischen Presse mitteilen möchte. Unsicher steht er da, bewegt nervös die Hände und beginnt langsam, mit ausgewählten Worten zu sprechen. Er heiße Hassan Hussein, stellt er sich vor. Er sei Imam und unterrichte Islam in einer Rundfunksendung in Kfar Scheich, in der Nähe von Port Said. Jetzt, wo der Präsident endlich zurückgetreten sei, müsse das Land neu aufgebaut werden, alle sollten sich daran beteiligen, Christen und Muslime. Er hoffe, daß es den Ägyptern eines Tages so gehen werde, wie den Menschen in Kuwait oder Saudi-Arabien, wo es ordentliche Schulen für die Kinder gebe, Arbeit und Wohnungen. Dann bedankt er sich bei der ausländischen Journalistin dafür, daß sie über »unsere Revolution« berichtet. Ein anderer Mann, der zugehört hat, schüttelt den Kopf und widerspricht dem jungen Imam. Bloß nicht zu viel Religion im neuen Ägypten, sagt er. »Wir brauchen Bildung und Arbeit«, nicht in die Golfstaaten, sondern nach Europa solle man schauen. Ein Paar mittleren Alters mischt sich in das Gespräch ein, die alten Damen melden sich zu Wort, die Diskussion über die Zukunft ist voll im Gange.

    Am Abend sind fast alle Zelte abgebaut. Schließlich rückt Militärpolizei vor, die den Platz für den Verkehr wieder öffnen will. Einige Demonstranten bilden Ketten und stellen sich in den Weg, weil sie auf dem Platz präsent bleiben wollen, bis der Militärrat ihre Forderungen erfüllt. Es kommt zu Gerangel und Festnahmen. Zwei Dutzend Vertreter der »Leute auf dem Platz« beraten in einer stürmischen Sitzung, wie es weitergehen soll, schließlich wird das Ergebnis bekannt. Der Tahrir-Platz wird freigegeben, doch jeden Freitag wird dort wieder demonstriert, bis alle Forderungen der Revolution vom 25. Januar erfüllt sind.

    Quelle: http://www.jungewelt.de vom 14.02.11

    Comment: Wolfgang Huste – 14. Februar 2011 @ 02:16

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