Mit der zahlenmäßig größten Mobilisierung in der Geschichte der deutschen Antiatombewegung leiteten rund eine viertel Million Menschen am Samstag das Ende der Landesregierung von Stefan Mappus (CDU) bei den Landtagswahlen am Sonntag ein. Bei den gleichzeitigen Wahlen in Rheinland-Pfalz zeichnete sich eine Koalition aus SPD und Grünen ab (siehe Prognosen). Mit chaotischen Informationen über das Ausmaß der ausgetretenen Radioaktivität leistete die Betreiberfirma des japanischen Atomkraftwerks Fukushima wahrscheinlich einen nicht unwichtigen Beitrag zur Wählerentscheidung.
Bei vier Demonstrationen war am Sonnabend in Berlin (120000 Menschen), Hamburg (50000), Köln und München (jeweils 40000) das Abschalten von Atomkraftwerken gefordert worden. Zu den Protesten hatte ein Bündnis aus Umweltverbänden, Anti-AKW-Initiativen, ATTAC, Campact und dem Netzwerk Friedenskooperative aufgerufen. In einer gemeinsamen Erklärung der Organisationen hieß es, die anhaltende Katastrophe in Fukushima zeige deutlich, daß die Atomkraft unbeherrschbar sei. Die Regierung werde sich täuschen, wenn sie hoffe, mit einem Moratorium und Kommissionen die Bevölkerung beruhigen zu können. »Wir werden nicht tatenlos zusehen, sollten die jetzt abgeschalteten AKW wieder ans Netz gehen«, rief bei der Berliner Kundgebung Luise Neumann-Cosel von »X-tausendmal quer«. Tausende würden die Meiler blockieren und ihre Stillegung erzwingen, kündigte sie unter großem Jubel an. Auch DGB-Chef Michael Sommer verlangte bei der Kundgebung einen sofortigen Ausstieg; die Gewerkschaften wollten tatkräftig an der fälligen Energiewende mitwirken. Parteienvertreter kamen bei der Kundgebung in der Hauptstadt nicht zu Wort, Spitzenleute von SPD, Grünen und Linken liefen jedoch in dem kilometerlangen Zug mit.
Druck auf die Regierung kam am Wochenende auch von anderer Seite. Die Merkel-Kritiker in der Union wollen in der kommenden Sitzungswoche des Bundestags ein eigenes Beratungsgremium zur Zukunft der Kernenergie aufstellen. »In der Atomfrage wurde überhitzt eine Entscheidung getroffen, die unsere Glaubwürdigkeit in Frage stellt«, zitierte der Spiegel den CDU-Energiepolitiker Thomas Bareiß. »Unsere bisherige Argumentation in der Kernenergie ist in sich zusammengefallen.«
Für Verwirrung um die Strahlenbelastung im schwer beschädigten japanischen Atomkraftwerk Fukushima sorgte am Sonntag die Betreiberfirma Tepco. Sie meldete am Morgen deutscher Zeit zunächst um zehn Millionen Mal erhöhte Werte, zog die Angaben aber acht Stunden später wieder zurück. Zwischenzeitlich wurde die gesamte Anlage fluchtartig geräumt, die Rettungsarbeiten zur Kühlung der Reaktoren wurden eingestellt. Das Wasser im Reaktor sei zwar radioaktiv verseucht, der zuvor gemessene Extremwert von millionenfach erhöhter Strahlung sei aber ein Fehler gewesen, erklärte Tepco schließlich. »Diese Zahl ist nicht glaubhaft«, behauptete Sprecher Takashi Kuratia. »Das tut uns sehr leid.«
Tepco räumte allerdings ein, daß sich in allen vier Reaktoren kontaminiertes Wasser befindet. Wo es herstamme, sei unklar. Regierungssprecher Yukio Edano erklärte, daß das radioaktiv verseuchte Wasser mit »an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« aus einem beschädigten Reaktorkern sickere. Die genaue Ursache sei nicht bekannt. Befürchtet wurde ein Riß oder Bruch in einer der Schutzhüllen um einen Reaktorkern.
Fest steht, daß die Hinhaltetaktik des japanischen Ministerpräsidenten Naoto Kan versagt hat: Das Ausmaß der Atomkatastrophe in Fukuschima läßt sich nicht mehr vertuschen. Schon jetzt wurde mehr spaltbares Material frei als beim Atomunfall von Three Mile Island (Harrisburg) 1979, und ein Ende ist nicht absehbar. In Tokio forderten am Sonntag rund 1200 Menschen vor der Firmenzentrale der Betreibergesellschaft Tokyo Electric (Tepco) die Abschaltung aller AKW – für japanische Verhältnisse eine Massendemonstration.
Vor gut zwei Wochen fielen nach einem verheerenden Erdbeben mit nachfolgender Flutwelle die Kühlsysteme der sechs Meiler von Fukushima Dai-ichi aus. Die verzweifelten Versuche, die Schrottreaktoren zu kühlen, werden für die dort eingesetzten Arbeiter, Feuerwehrleute und Soldaten immer riskanter. Neue Ideen gibt es keine. Im Meer rund um die Anlage werden unterdessen steigende Mengen radioaktiver Isotope gemessen. Auch außerhalb der 30-Kilometer-Zone, deren Bewohner zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert wurden, steigt die Strahlenbelastung.
Wie inzwischen bekannt wurde, hätte den drei in Block 3 beim Kabelverlegen verstrahlten Arbeitern ihr Schicksal erspart bleiben können. Tepco hatte sie nicht über die im Wasser drohende Gefahr informiert, obwohl seit Tagen für Block 1 entsprechende Meßergebnisse vorlagen. Zwei von ihnen lief verseuchtes Wasser in die zu flachen Stiefel. Die vor Ort verwendete Schutzkleidung schützt lediglich vor radioaktiven Partikeln, aber nicht vor Strahlung. Bislang waren 17 der in Fukushima eingesetzten Arbeiter mehr als 100 Millisievert ausgesetzt, dem für ein ganzes Jahr zulässigen Grenzwert.
Die Auswirkungen der Atomkatastrophe auf die japanische Wirtschaft sind unabsehbar. Immer weniger Reedereien sind noch bereit, die Häfen von Tokio und Yokohama anzulaufen, in denen bislang fast die Hälfte der japanischen Seefracht umgeschlagen wurde. Japanische Schiffe und ihre Ladung werden im Ausland aufwendig auf radioaktive Belastungen untersucht.
Quelle: www.jungewelt.de vom 28.03.11
« DIE LINKE. sagt Danke! – Neonazimorde fehlen in den Statistiken des LKA«. Antwort der NRW-Landesregierung auf Anfrage der Linksfraktion: Gefahr von rechts verharmlost. Ein Gespräch mit Anna Conrads. Interview: Markus Bernhardt »
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