Wolfgang Huste Polit- Blog

»Ich würde künftig Lebensmittel aus Japan meiden«. Neue EU-Richtlinie erhöht Grenzwerte für radioaktiv belastete Lebensmittel aus dem Katastrophengebiet von Fukushima. Ein Gespräch mit Christina Hacker. Interview: Claudia Wangerin

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Christina Hacker ist Mitarbeiterin des Umweltinstituts München

Die Lage im havarierten Atomkraftwerk im japanischen Fukushima wird von Tag zu Tag schlimmer – und die EU erhöht die Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Lebensmitteln aus diesem Katastrophengebiet. Ohne Ihre Organisation und ohne Foodwatch hätte die Öffentlichkeit von diesem Skandal wohl nichts erfahren – wie sind Sie denn darauf gekommen?
Das Gerücht ging schon am Wochenende um. Daraufhin haben wir recherchiert, von zahlreichen EU-Abgeordnetenbüros bekamen wir aber keine Auskunft. Offensichtlich ist die Eilverordnung 297/2011 auch an großen Teilen des Europäischen Parlaments vorbeigegangen. Auf den Seiten der EU im Internet muß man schon gezielt danach suchen. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hat ebensowenig die Öffentlichkeit informiert. Statt dessen erzählte sie tagelang von »verstärkten Kontrollmaßnahmen« und »speziellen Schutzstandards«.

Sie fordern ein Importverbot für Lebensmittel aus Japan. Wäre das überhaupt nötig, wenn man die Erhöhung der Grenzwerte wieder zurücknähme und die Lebensmittel bei der Einfuhr sorgfältig kontrollierte?
Das absurde ist: Wir haben jetzt zwei verschiedene Grenzwertregelungen. In Südbayern haben wir das Problem, daß Pilze und Wildschweine noch durch den Niederschlag nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl radioaktiv hoch belastet sind. Für Cäsium 134 und Cäsium 137 gelten immer noch Höchstwerte von 600 Becquerel pro Kilogramm. Ein Großteil des Fleischs von bayerischen Wildschweinen darf deshalb nicht in den Lebensmittelhandel.

Für japanische Waren gilt aber eine Notstandsregelung, die ebenfalls nach der Tschernobyl-Katastrophe 1987 erlassen wurde. Demnach können im Fall eines »nuklearen Notstands« die Höchstgrenzen für die radioaktive Belastung angehoben werden, um einer Nahrungsmittelknappheit vorzubeugen. Aufgrund dieser Regelung darf jetzt zum Beispiel Fischöl aus bestimmten Präfekturen in Japan bis zu 20 Mal so stark belastet sein. Daß die Regelung jetzt in Kraft gesetzt wurde, ist absurd, da es in Europa weder einen nuklearen Notstand noch eine Nahrungsmittelknappheit gibt.

Was vermuten Sie, warum?
Womöglich wird befürchtet, daß sich die Reaktorkatastrophe nicht auf Japan beschränken, sondern auch Teile Chinas betreffen wird. Die Kernschmelze ist bei weitem nicht unter Kontrolle; und aus China beziehen wir deutlich mehr Lebensmittel. Insofern könnte die Eilverordnung ein Vorgriff auf eine Dramatisierung der Situation sein. Wenn das tatsächlich eintritt, muß die Lage neu bewertet werden.

Welcher Personenkreis ist durch die erhöhten Grenzwerte besonders gefährdet?
Zunächst natürlich Kinder, Schwangere, stillende Frauen. Gerade bei Kindern und Ungeborenen teilen sich die Zellen sehr schnell. Dementsprechend kann durch Radioaktivität auch schneller Krebs entstehen. Allerdings gibt es auch keinen Schwellenwert, von dem man wirklich sagen kann: Drunter ist es ungefährlich. Es kommt auch bei Erwachsenen auf die individuelle Verfassung an.

Empfehlen Sie Menschen in unseren Breiten, Jodtabletten zu nehmen, damit im Ernstfall kein radioaktives Jod aufgenommen wird?
Nein. Das macht wirklich nur dann Sinn, wenn eine radioaktive Wolke in nennenswerter Konzentration direkt auf uns zukommt. Momentan macht es überhaupt keinen Sinn.

Was empfehlen Sie zur Zeit Verbrauchern, die ein Faible für asiatisches Essen oder Fisch haben?
Was momentan in den Regalen steht, dürfte noch unbedenklich sein. Aber ich persönlich würde künftig Lebensmittel aus Japan meiden.

Und wie sieht es mit Fisch aus, der zur Zeit im Handel ist?
In Deutschland beziehen wir relativ wenig Fisch aus dem Pazifik. Überwiegend kommt er aus dem Nordatlantik. Darauf würde ich beim Einkauf sicherheitshalber schauen. Aber auch Sushi muß nicht unbedingt bedenklich sein, das ist ja nur ein Gericht nach japanischem Rezept. Wer auf das Essen in japanischen Restaurants nicht verzichten will, kann dort nachfragen, woher die Zutaten kommen. Aber letztlich muß jeder selbst wissen, wie er das handhabt.

Quelle: www.jungewelt.de vom 31.03.11

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 31. März 2011 um 12:49 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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