Fast einen Monat nach dem verheerenden Erdbeben mit nachfolgender Flutwelle, das weite Teile Nordostjapans verwüstete, sind die Kühlsysteme im Atomkomplex Fukushima Dai-Ichi immer noch nicht funktionsfähig. Mit den steigenden Strahlenwerten wächst auch der Unmut in der Bevölkerung. Im Gegensatz zur medialen Katastrophenberichterstattung, die ganz nach dem Drehbuch der Krisenmanager der Regierung erfolgt, hat sich im japanischen Internet eine lebhafte Debatte entwickelt. Um sie in den Griff zu bekommen, hat das Innenministerium nun die Telekomunternehmen aufgefordert, Maßnahmen gegen das Verbreiten von »Gerüchten« zu ergreifen, die »gegen die guten Sitten verstoßen oder die öffentliche Ordnung gefährden«.
Nach dem großen Erdbeben von 1923 kursierten Gerüchte, die Pogrome an den in der Hauptstadt lebenden Koreanern zur Folge hatten. Ihnen wurde unter anderem nachgesagt, Brände zu legen und Brunnen zu vergiften, um schließlich die Macht zu übernehmen. Zeitungen druckten die bösartigen Gerüchte als handele es sich um Fakten. Berichten zufolge wurden damals mehr als 6 000 Koreaner und Chinesen ermordet. Heute sorgen ebenfalls »Gerüchte«, zum Teil auch Falschmeldungen, die online verbreitet werden, für Konfusion. Mindestens heizen sie die Debatte um die Zukunft nach Fukushima an – ein Umstand, der dem Innenministerium nicht in ihr Energiekonzept paßt, in dem weiterhin ungebremst auf Atomkraft gesetzt wird.
Zudem verharmlost Tokyo Electric Power (Tepco), die Betreibergesellschaft der Schrottreaktoren von Fukushima, weiter die Lage. Am Wochenende führte sie die sprunghaft gestiegenen Strahlenwerte darauf zurück, daß beim jüngsten Nachbeben Meßgeräte beschädigt worden seien. Mit der Glaubwürdigkeit des viertgrößten Stromversorgers der Welt ist es allerdings nicht mehr weit her, nachdem wiederholt falsche Daten veröffentlicht wurden. Unterdessen wurde ein Mitarbeiter eines Tepco-Subunternehmens, das am Abpumpen des radioaktiven Wassers aus dem Turbinenhaus von Block 2 beteiligt war, in ein Krankenhaus eingeliefert.
»Wir fühlen uns betrogen«, sagte Yuhei Sato, der Gouverneur der Präfektur Fukushima der Yomiuri Shinbun. Immer wieder hätten Vertreter der Zentralregierung und des Energiekonzerns versichert, man habe Maßnahmen zum Schutz vor Erdbeben ergriffen. Zu den Tepco-Plänen, noch einen siebten und achten Meiler in Fukushima zu errichten, sagte Sato, es sei »unverzeihlich« so etwas auch nur vorzuschlagen.
Selbst die US-Marine traut den offiziellen Angaben nicht mehr. Offenbar gab es wiederholte Anfragen zur radioaktiven Belastung des Meerwassers, da die an der Katastrophenhilfe im Zuge der »Operation Tomodachi« beteiligten Kriegsschiffe – darunter der Flugzeugträger Ronald Reagan und das Landungsschiff USS Essex – ihren Wasserbedarf mit Hilfe von Entsalzungsanlagen aus dem Meer decken.
Die japanische Regierung arbeitet derweil an einer Notverordnung, die es ermöglichen soll, die Bewegungsfreiheit der evakuierten AKW-Anwohner einzuschränken. Bewohner aus dem 20 Kilometer Umkreis der teilweise zerstörten Meiler sollen an der Rückkehr gehindert oder unter Zwang erneut aus der Gefahrenzone gebracht werden können. Viele hatten dringend benötigte Gegenstände oder Erinnerungsstücke aus ihren Häusern geholt –ungeachtet der Strahlung.
Quelle: www.jungewelt.de vom 11.04.11
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