Vor dem Hintergrund wachsender interner Spannungen hielt Klaus Ernst, seit Mai 2010 neben Gesine Lötzsch einer der beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke, am Samstag auf dem Landesparteitag in Hamburg eine Rede, in der er zu Fragen des inhaltlichen Profils und der politischen Strategie seiner Partei Stellung bezieht. Wir dokumentieren den Beitrag in einer gekürzten und um Zwischenüberschriften ergänzten Fassung. Die vollständige Rede ist im Internet nachzulesen unter www.klaus-ernst-mdb.de (jW)
Der Beginn des Superwahljahrs 2011 kann niemanden zufriedenstellen. Hinter uns liegt eine Serie von Wahlen, bei denen wir unsere Ziele nicht oder nur teilweise erreicht haben. (…) Die Wahlen wurden natürlich jeweils auch von landesspezifischen Faktoren beeinflußt. An dieser Stelle möchte ich aber vier bundespolitische Faktoren nennen, die allesamt dafür gesorgt haben, daß die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer in den Ländern jedenfalls keinen Rückenwind aus Berlin hatten:
– Der Rückzug von Oskar Lafontaine aus der Bundespolitik war ein Verlust, der bis heute nicht verwunden ist. Ich war mir von Anfang an bewußt, daß wir (…) Oskar nicht einfach ersetzen können. Auf die anfängliche Euphorie der Gründungsphase folgte Ernüchterung, teilweise weil wir – die Vorsitzenden – nicht immer alles richtig gemacht haben. Damit gehen wir auch selbstkritisch um. Teilweise aber auch, weil wir gezielt aus der eigenen Partei mit offenen und verdeckten Angriffen beschädigt wurden und werden, teilweise von demselben Personenkreis, der schon Oskar Lafontaine beschädigt hat.
– Die Linke macht seit gut anderthalb Jahren Schlagzeilen mit Selbstbeschäftigung und Querelen. Seien wir ganz offen miteinander. Es gibt einen harten Kern von Funktionär/innen und Mandatsträger/innen in unserer Partei – damit meine ich ausdrücklich nicht die Basis, weder im Osten noch im Westen –, die sich zu keiner Zeit mit der im Mai 2010 gewählten Führungsspitze der Partei abfinden wollten, weil sie mit der Fortsetzung des Kurses von Oskar Lafontaine – die Beharrung auf einem klaren sozialen und friedenspolitischen Profil mit klaren Alternativen zum gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus und in Abgrenzung zu allen anderen Parteien, auch zu SPD und Grünen – nicht einverstanden sind. Dieser Personenkreis profiliert sich seit Jahren vor allem durch presseöffentlich vorgetragene Kritik an der jeweiligen Parteiführung, trägt aber zur sachlichen Arbeit wenig bei. Mit dem Moment der Nominierung der neuen Führungsspitze setzten die Angriffe aus der eigenen Partei ein und haben bis heute nicht aufgehört. Für die Menschen wurden wir zunehmend eine Partei, die sich überwiegend mit sich selbst beschäftigt. (…) Mit Querelen wirbt man keine Wählerstimmen.
– Seit dem Herbst 2009 regiert in Deutschland eine schwarz-gelbe Bundesregierung. Für viele Menschen wurden vor allem die schon seit 2005 nicht mehr regierenden Grünen in den vergangenen anderthalb Jahren wieder zu einer echten Oppositionskraft, die situativ mit Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit ausgestattet ist. Die SPD hat ihre politische Richtung in der Opposition noch nicht endgültig gefunden, geht aber immer deutlicher zurück zum Kurs der Agenda 2010. (…) In dieser Situation – Grüne und SPD in der Opposition und rot-grüne Koalitionsmöglichkeiten ohne uns – wird Die Linke politisch und medial in zunehmendem Maße ausgegrenzt.
– Das Erdbeben in Japan und die nachfolgende Atomkatastrophe von Fukushima haben auch die politischen Koordinaten in der Bundesrepublik fundamental verschoben. Soziale Themen, die unsere Kernkompetenz ausmachen, gerieten deutlich in den Hintergrund. Die Frage des Schutzes vor atomarer Verseuchung und der Gestaltung der Energiewende erlangte für viele Menschen existentielle Bedeutung. (…) Auch hier ist es uns nicht gelungen, trotz klarer und frühzeitiger Positionierung gegen die Atomkraft, ein eigenes Profil und Glaubwürdigkeit zu entwickeln. Dieses Schicksal teilen wir mit allen Parteien außer den Grünen. Das war in der kurzen Zeit auch nicht zu erwarten. (…)
Unsere Partei steht vor einer nie dagewesenen Bewährungsprobe. Mitten in der programmatischen und strategischen Selbstverständigung, die auf den Rückzug von Oskar Lafontaine und den Wechsel zur schwarz-gelben Bundesregierung folgte, muß Die Linke ihren Platz und ihren Sinn für die Menschen beweisen.
Sinn der Linken: Partei der Arbeit
Es ist deshalb schwierig, aber notwendig, daß wir jetzt eine grundsätzliche Verständigung über den künftigen Kurs der Linken einleiten. Ich beginne mit einer These, die eigentlich selbstverständlich ist: Eine Partei ist kein Selbstzweck, sie muß einen über ihre eigene Existenz hinausgehenden Sinn haben. (…) Damit entfallen zwei Fragen als Ausgangspunkte. Weder die Frage, wie wir die Zustimmungswerte und Wahlergebnisse für Die Linke maximieren, noch die Frage, wie und welche Bündnisse wir im Parteiensystem anstreben, sind für sich genommen geeignet, uns die Richtung für Programmatik und Kurs zu geben. Es geht immer darum, warum und für welche Ziele wir Menschen mobilisieren und Bündnispartner gewinnen wollen. Die Frage lautet also, welchen Sinn Die Linke hat.
Ich stelle an den Beginn meiner Antwort eine stark vereinfachte Beschreibung des Kapitalismus. (…) Im Kapitalismus ist eine Mehrheit der Menschen darauf angewiesen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und Lohnarbeit zu leisten, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien zu sichern. Eine Minderheit besitzt die Produktionsmittel direkt oder vermittelt über Vermögen und wird dadurch reich, daß sie andere für sich arbeiten läßt. Zwischen diesen beiden Gruppen verläuft eine mal mehr, mal weniger sichtbare Barrikade. Die Linke muß sich immer entscheiden, auf welcher Seite der Barrikade sie steht. Ich sage: Immer auf der Seite derer, die abhängig beschäftigt sind, und nicht auf der anderen Seite. Das ist für uns grundlegend.
Lohnarbeit ist im Kapitalismus ein Enteignungsprozeß. (…) Die Arbeitnehmer/innen verkaufen ihre Arbeitskraft zu vorab vereinbarten Konditionen an eine/n Arbeitgeber/in. Die Arbeitgeber/innen verkaufen die Produkte der menschlichen Arbeit, geben das eingenommene Geld, auch nach Abzug der sonstigen laufenden Kosten, nicht in Gänze an die am Produktionsprozeß beteiligten Arbeitnehmer/innen zurück. Statt dessen erheben sie auf diesen Profit ganz selbstverständlich einen unbegrenzten Verfügungsanspruch, den sie beständig auszuweiten versuchen. (…) Kennzeichen des Kapitalismus ist, daß sich wenige den Reichtum aneignen, der durch die Arbeit vieler entsteht. Deshalb werden, wenn niemand eingreift, die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer und die Mittelschicht immer kleiner.
Aus diesem Interessengegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital ergibt sich ein permanenter Druck auf die Löhne (nach unten), die Arbeitszeiten (nach oben), den Sozialstaat (weg damit) und demokratische Entscheidungsprozesse. (…) Deshalb heißt es bei Heiner Müller, daß wir »bis zum Hals im Kapitalismus« stecken. Ja, wir sind für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit, für Männer und Frauen, Ost und West. Wir sind für ausreichend Kindergartenplätze. Wir sind für die Abschaffung von Hartz IV. Wir sind für ein Verbot der Rüstungsindustrie, und wir sind auch für einen DSL-Zugang für alle. Aber wir bleiben im Gegensatz zu anderen Parteien nicht dabei stehen – wir wollen das Übel an der Wurzel packen. Ich kann es auch anders sagen: Der Kapitalismus wird nie seinen Frieden mit der Mehrheit der Bevölkerung machen, schon gar nicht mit den arbeitenden Menschen. Also können wir auch nicht unseren Frieden mit dem Kapitalismus machen.
Ich wage deshalb für unsere Partei folgende Antwort auf die Frage nach dem Sinn: Die Linke begreift sich entweder mit allen Konsequenzen als Partei der Arbeit beziehungsweise der arbeitenden Menschen, oder ihre Zukunft ist überschaubar. Arbeitende Menschen sind dabei selbstverständlich nicht nur diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben. Sondern auch diejenigen, die als Erwerbslose einen Arbeitsplatz suchen, die als Kinder oder Jugendliche in der Ausbildung sind, die ganz oder zeitweise wegen Krankheit oder Unfällen erwerbsunfähig sind und einen entsprechenden Einkommensersatz beanspruchen, und nicht zuletzt auch diejenigen, die als Rentner/innen auf eine solidarische Alterssicherung bauen. Arbeit ist auch der gesamte Bereich der unbezahlten Hausarbeit, der Kindererziehung und Pflegearbeit. Der Kapitalismus ist jedoch der gesellschaftliche Konflikt, den es anzugehen gilt.
Arbeitende Menschen sind in dieser Sicht auch nicht nur Menschen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, sondern auch Kleingewerbetreibende und Handwerker, sogar der eine oder andere Mittelständler. Auch die leiden unter der Entwicklung des Finanzmarktkapitalismus. Gemeinsam haben all diese Menschen, daß sie für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie arbeiten müssen. Im Finanzkapitalismus werden abhängig Beschäftigte genauso enteignet wie Handwerker, Kleingewerbetreibende und oft auch Mittelständler. Mit diesen Menschen, für diese Menschen, wollen wir Politik machen.
»Red New Deal«
An dieser grundsätzlichen Sichtweise ändern auch die Ereignisse von Fukushima nichts. Allerdings müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß mit Blick auf die Ereignisse des letzten Jahrzehnts vieles für eine Neubewertung des Entwicklungsstandes des Kapitalismus spricht. Wir stehen in der Tat an der Schwelle zu einem zunehmend grün angemalten Kapitalismus, der Antworten auf die wachsende Knappheit an natürlichen Ressourcen (von der Rohstoffknappheit bis zur Knappheit an sauberer Luft und sauberem Wasser) finden muß und vielfach finden wird. (…)
Aber wir leben in einer Zeit der globalen Krisen, aus denen nichts gelernt wird. Die von übersprudelnden Profiten und kriminellen Spekulanten ausgelöste globale Wirtschafts- und Finanzkrise ist beinahe schon wieder vergessen. (…) Die Mehrheit der Bevölkerung zahlt nunmehr die Krisenkosten durch staatliche Einschnitte bei Sozialleistungen, Bildung und Renten. Ein europäisches Land nach dem anderen erhält seine Schocktherapie. (…)
Ähnliches droht bei der Energie- und Ökokrise, vor der die Menschheit im Moment steht. Weil kaum jemand die entscheidenden Fragen stellt, diejenigen nach dem Eigentum, der Demokratie und der Gerechtigkeit, werden am Ende die Rentner/innen, die Arbeitnehmer/innen und sozial Bedürftigen für die Kosten der Grünwerdung des Kapitalismus zur Kasse gebeten werden. Ein privater Ölkonzern hat den Atlantik verseucht, ein privater Stromkonzern den Pazifik. Dort zahlen die Menschen mit der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage, hier zahlen wir dafür jeweils mit steigenden Benzin- und Strompreisen.
Es ist durchaus wahrscheinlich, daß die ökologische Frage, vermittelt über steigende Preise und gesetzlich sanktionierte Verarmungsprozesse, durch erzwungenen Konsumverzicht für die Bevölkerungsmehrheit gelöst wird. Hartz IV, die Ausweitung der Leiharbeit, die Kürzung der Renten, die Zwei-Klassen-Medizin und die nach der Privatisierung permanent steigenden Strom-, Gas- und Wasserpreise sind aus dieser Sicht grüne Klientelpolitik. Die (…) Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen müssen verzichten und verbessern so die Ökobilanz auf Jahre hinaus. Hier muß Die Linke ansetzen, denn hier sind die Menschen, deren Interessen wir eine Stimme geben wollen, besonders betroffen.
Die Illusion, daß man die großen Fragen des ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft lösen kann, ohne die soziale Frage, die Eigentumsfrage und die Demokratiefrage zu stellen, hat Die Linke nicht. Das ist unser programmatisches Alleinstellungsmerkmal zu allen anderen Parteien. Ich schlage vor, daß wir dieses Alleinstellungsmerkmal in Anknüpfung an Stephan Schulmeisters Vorschlag eines »New Deal für Europa« mit dem Begriff des »Neuen sozial-ökologischen Gesellschaftsvertrags«, von mir aus auch eines »Red New Deal«, verbinden. Unter diesem Begriff fassen wir vier gleichrangige zentrale Regeln zusammen, an denen sich Politik und gesellschaftliche Akteure zu orientieren haben:
– Vorfahrt für den ökologischen Umbau. Dem Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Prinzip »Regenerativ statt expansiv« müssen sich Lobby- und Profitinteressen unterordnen. Das umfaßt ausdrücklich auch den Eingriff in Eigentumsverhältnisse.
– Verpflichtung zu sozialer Gerechtigkeit. Alle politischen Maßnahmen müssen überprüft werden, ob sie den sozialen Zusammenhalt stärken oder die soziale Spaltung fördern, wie sie sich auf Löhne, Steuern und Sozialleistungen auswirken. Die deutlich niedrigeren Löhne von Frauen sind nicht akzeptabel. Wir kämpfen für gleichen Lohn bei gleicher und gleichwertiger Arbeit: für Männer und Frauen, im Osten und im Westen. Die Schaffung sicherer und fair bezahlter Arbeitsplätze und die solidarische Absicherung der großen Lebensrisiken müssen zum Leitfaden der Politik werden.
– Demokratisierung durch Gemeineigentum. Die Politik verpflichtet sich auf die geordnete Rückgewinnung demokratischer Spielräume durch Verstaatlichung und Rekommunalisierung im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge und im Bankensektor sowie durch die flächendeckende Schaffung von kollektivem Belegschaftsmiteigentum in großen Unternehmen.
– Bändigung der Finanzmärkte. Der Finanzsektor muß auf seine zentrale Dienstleistungsfunktion für die Realwirtschaft zurückgeführt werden. Die Politik muß sich dazu auf einen Konsens verpflichten, der die Rücknahme von Deregulierungen, das Verbot finanzieller Massenvernichtungswaffen und die schrittweise Unterstellung des Bankensektors unter öffentliche Kontrolle umfaßt. (…)
Neue Politikangebote
Mit diesem strategischen Leitbild im Rücken können wir uns auch der Debatte »Wie weiter mit der Linken nach dem Amtsantritt der schwarz-gelben Bundesregierung« machen. Es geht um die Frage, wie sich Die Linke in der veränderten politischen Großwetterlage, die SPD und Grüne wieder in die Opposition verschlagen hat, umgeht.
Sehr vereinfacht gibt es zwei Strategien: auf der einen Seite die Strategie der Abgrenzung durch Radikalisierung und auf der anderen Seite die Strategie der Bündnisfähigkeit durch Beliebigkeit. Ich halte beide für falsch, weil sie nicht berücksichtigen, daß Die Linke als einzige Partei einen Doppelcharakter als Alltagspartei und Programmpartei hat. Wir stehen als politische Kraft stabil nur auf zwei Beinen. (…) Weder eine Schippe drauf bei unseren Forderungen noch eine Schippe runter kann die Devise lauten.
Unsere Stärke bestand lange Zeit darin, daß wir die von den Menschen empfundenen Problemlagen aufgegriffen haben. Wir haben Forderungen zur Lösung dieser Probleme aufgestellt, die radikal und realistisch waren. Gleichzeitig haben wir diese Forderungen mit einem Kompaß für den Umbau der Gesellschaft verknüpft. (…) Zu dieser Politik mit dem Gesicht zu den Menschen müssen wir zurückfinden und – als Ergänzung, aber nicht als Ersetzung unserer noch nicht erfüllten Kernforderungen – neue Politikangebote unterbreiten, die auf der Höhe der Zeit sind.
Ich gehe von den zentralen Bedürfnissen aus – der Mensch muß arbeiten, wohnen, essen, braucht Strom und Wasser, will in Frieden leben und auch über Wahlen hinaus mitbestimmen – und mache Vorschläge für neue Politikangebote der Linken:
– Arbeiten: Sichere Jobs statt Angst-Jobs. Der zentrale Dreh- und Angelpunkt auf dem Feld der Arbeitspolitik wird in den nächsten Jahren der Kampf um sichere Jobs sein. (…) Es gibt immer weniger sichere Jobs und immer mehr Angst-Jobs. Junge Menschen können keine Familie gründen, wenn sie nicht wissen, ob sie in einem Jahr noch Geld für die Miete haben. Wir brauchen deshalb eine Offensive für sichere Jobs.
Ich schlage vor, daß die Beschäftigung von Arbeitnehmer/innen in unsicheren Jobs für die Arbeitgeber per Gesetz teurer gemacht wird. Das ist gerecht, weil diese Arbeitnehmer öfter arbeitslos und krank werden und außerdem oft Armutsrenten haben, die der Staat aus Steuergeldern aufstocken muß. (…) So werden der Solidargemeinschaft die höheren Risiken ausgeglichen. Außerdem wird es für Arbeitgeber unattraktiver, Angst-Jobs auszuschreiben.
– Wohnen: Für die Mieter-Republik. Vor allem in den Städten stehen die Menschen zunehmend vor einem weiteren existentiellen Problem. Wohnen zur Miete wird immer teurer und für viele zumindest in ihren angestammten Wohnvierteln unbezahlbar. Gründe dafür sind Privatisierungen, Spekulationen und ein eklatantes Regulierungsdefizit.
Ich schlage folgende Maßnahmen für bezahlbare Mietwohnungen vor. Erstens müssen Spekulationen mit Immobilien durch eine Haltefrist von zehn Jahren eingedämmt werden. Wenn die Immobilie vor dieser Frist weiterverkauft werden soll, dann muß der Verkäufer zweitens eine Steuer von 25 Prozent des Kaufpreises zahlen. Weiterhin muß es dynamische gesetzliche Höchstmieten geben. Die Mieten in einem Stadtviertel dürfen dann nicht um mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt liegen. In der Summe würden diese Maßnahmen die Mietentwicklung deutlich dämpfen. (…)
– Essen: Überleben muß bezahlbar sein. Die Katastrophe in Japan wirkt als Katalysator einer bereits länger sichtbaren Entwicklung. Lebensmittel werden durch Spekulation, Verknappung und steigende Nachfrage immer teurer. (…) Die Spekulation mit Lebensmitteln ist ein Programm zur physischen Vernichtung von Frauen und Kindern in der dritten Welt.
Zurück zu uns: (…) Wir müssen alles daran setzen, die Menschen mit niedrigen und durchschnittlichen Einkommen vor den dramatischen Auswirkungen der bevorstehenden Preisschocks für Waren des täglichen Bedarfs zu schützen. Wir sollten uns deshalb dafür einsetzen, daß alle Sozialleistungen und Renten künftig einmal jährlich mindestens an den Index der Verbraucherpreise angekoppelt werden. Die Sozialpartner müssen dazu ermuntert werden, nach dem Vorbild von Belgien und Luxemburg eine ebensolche Indexierung der Löhne zu vereinbaren. Das wäre ein Inflationsschutz für Renten, Löhne und Sozialleistungen. (…)
– Strom und Wasser: Zurück zum kommunalen Stadtwerk. Wir wollen verhindern, daß Energiepolitik zu neuer sozialer Spaltung führt. Die Linke will die Energiewende sozial und demokratisch gestalten. Mobilität, Elektrizität und warme Wohnungen dürfen kein Privileg der Besserverdienenden werden. Deshalb wollen wir ein sofortiges Strompreismoratorium, eine Rückkehr zur staatlichen Strompreiskontrolle sowie die gesetzlich vorgeschriebene Einführung von Sozialtarifen. Mittelfristig müssen wir darum kämpfen, daß die Energiewende um eine Rekommunalisierungskomponente ergänzt wird. Strom gehört nicht an die Börse sondern in die Hand der Bürgerinnen und Bürger.
– Mitbestimmen: Schaffung von Belegschaftsstiftungen. Nach meiner Überzeugung ist die Zukunftsvision für Großunternehmen (…) die Mitarbeitergesellschaft, die durch die Schaffung von kollektivem Belegschaftsmiteigentum entsteht. In der Gesellschafterversammlung würden die Arbeitnehmer/innen so schrittweise eine Sperrminorität erlangen und könnten Geschäfte gegen die Interessen der abhängig Beschäftigten verhindern. Als Anteilseigner/innen hätten sie auch Sitz und Stimme im Aufsichtsrat. (…).
– Frieden: Katastrophenhilfe statt Militäreinsätze. Wir bleiben als Linke bei alldem eine dem Frieden und der friedlichen Außenpolitik verpflichtete Partei. Krieg ist für uns kein Mittel der Politik. (…) Dabei sind wir als eine der internationalen Solidarität verpflichtete Partei selbstverständlich bereit, auch international zu helfen. Aber eben nicht mit Waffen und militärischem Einsatz, sondern mit friedlichen Mitteln. Wir brauchen keine Berufsarmee im Kriegseinsatz – wir brauchen eine weltweit einsetzbare, unbewaffnete Helfertruppe. (…)
Konsequenz, nicht Beliebigkeit
Die Vorgänge der letzten Wochen haben uns eindrücklich vor Augen geführt, daß Die Linke vor einer beispiellosen Bewährungsprobe steht. Wir dürfen nicht mehr länger kommentarlos zusehen, wie innerparteiliche Schlammschlachten, ob nun verdeckt oder offen, gezielt in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Ich verstehe es als meine Aufgabe als Vorsitzender, die Interessen der Parteibasis und den Willen der Wählerinnen und Wähler zur Geltung zu bringen. Die aktuelle Führung ist auf der Basis einer von den Mitgliedern durch eine Urabstimmung gestützten Struktur gewählt worden. (…) Wir sind auf dem Parteitag im Mai 2010 mit einem klaren politischen Kurs angetreten und gewählt worden.
Kern dieses Kurses ist der Kampf für soziale Gerechtigkeit, Frieden und demokratische Erneuerung in klarer Abgrenzung zu den anderen Parteien. Für diesen Kurs steht Oskar Lafontaine, und für diesen Kurs sind wir seit 2005 gewählt worden. Die Menschen leiden immer noch unter einer Politik gegen ihre Interessen, und wir sind immer noch die einzigen, die konsequent für den Mindestlohn, konsequent gegen die Rente erst ab 67, konsequent für eine Regulierung der Finanzmärkte, konsequent gegen gekaufte Parteien und Gesetze und nicht zuletzt konsequent gegen Kriegseinsätze eintreten. Es schadet nicht, sich ab und zu daran zu erinnern, wofür man gewählt worden ist.
Es ist richtig, wir brauchen eine offene Strategiedebatte für den weiteren Weg unserer Partei. Dabei kann es aber m.E. nicht darum gehen, dieses Kernprofil unserer Partei in Frage zu stellen. Dann würde eine Strategiedebatte zur Selbstbeschädigung. (…) Ich freue mich auf weitere Diskussionsbeiträge.
Was wir nicht brauchen, ist eine aus den eigenen Reihen befeuerte Personaldebatte. (…) Diejenigen aus unserer Partei, die sich daran beteiligen, wissen, daß die öffentliche Kommunikation über politische Führungen nach eigenen Regeln funktioniert. Die permanente offene oder verdeckte Beschädigung von Führungspersönlichkeiten ist, zumal bei der Linken, für Journalistinnen und Journalisten allemal interessanter als die Berichterstattung über unsere politischen Forderungen.
Diejenigen, die beständig die Zeitungen mit der Forderung an uns nach mehr inhaltlicher Profilierung der Linken füllen, sind genau diejenigen, die uns daran hindern, diese Aufgabe zu erfüllen. (…) Es hat nichts mit einem autoritären Parteiverständnis zu tun, wenn wir fordern, die öffentlichen Debatten über die Führung und ihre Qualitäten einzustellen. (…)
Hinter der aus den eigenen Reihen angefeuerten Personaldebatte steht der Versuch, einen Kurswechsel einzuleiten, dem schon Oskar Lafontaine im Weg stand, und dem auch die jetzige Führung im Weg steht. Ziel dabei ist es, unter dem Schlagwort der »Koalitionsfähigkeit« oder »Mehrheit des (angeblich) linken Lagers«, eigene Positionen zu verwässern und das eigene Profil zu entschärfen. Einige wollen diese Beliebigkeit. Ich nenne es das Projekt Linke light. (…) Voraussetzung für Koalitionsfähigkeit ist nicht Beliebigkeit, sondern die eigene Stärke. Eine starke Linke gibt es nur mit konsequent vertretenen Positionen. Ich sage ganz deutlich: Eine Linke light wäre der Niedergang der Linken. Wer eine andere Partei will, soll mit konstruktiven Vorschlägen um Mehrheiten auf Parteitagen kämpfen.
Ich werde von nun an die Debatte als das führen, was sie ist: eine politische Kursdebatte, in der es darum geht, ob Die Linke der SPD und den Grünen in die politische Beliebigkeit folgt, oder ob wir weiter diejenigen sind, die kompromißlos für gute Arbeit, für eine gerechte Verteilung des wirtschaftlichen Reichtums, für Frieden und einen sozial-ökologischen Umbau kämpfen. Wenn Die Linke als soziale Kraft einen Sinn machen soll, dann muß sie durch Konsequenz den Unterschied machen.
Das hindert auch mich nicht daran, die Wahlergebnisse dieses Jahres und den nach wie vor schlechten Bundestrend selbstkritisch zur Kenntnis zu nehmen. Ja, vor allem die Wahlergebnisse im Südwesten waren ein Schock. Ja, es ist uns nicht gelungen, auf die veränderten strategischen Rahmenbedingungen und auf die Katastrophe von Fukushima Antworten zu finden und diese in eine Sprache zu übersetzen, die die Wählerinnen und Wähler verstehen.
Und zum Schluß: Selbstverständlich muß sich auch das Führungspersonal immer wieder neu legitimieren. Aus diesem Grunde finden Wahlen statt. Im Herbst dieses Jahres für den Vorstand der Bundestagsfraktion und im Mai nächsten Jahres für den Vorstand der Partei. In diesem Zusammenhang sind Personaldebatten immer dann sinnvoll, wenn sie zeitnah zu den Wahlen stattfinden. Dann geht es aber immer um das komplette Führungsteam: die Vorsitzenden, die Stellvertreterinnen und Stellvertreter, die Geschäftsführerin und Geschäftsführer oder auch den Schatzmeister. (…)
Die Linke ist kein Selbstzweck. Wir haben viel erreicht. Die Linke hat Auftrag und Verpflichtung, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen positiv zu verändern. (…) Dafür lohnt es sich immer zu streiten. Wir stehen deshalb in der Verantwortung, miteinander eine offene und solidarische Debatte zu führen und Die Linke gemeinsam stark zu machen.
Quelle: www.jungwelt.de vomn 18.04.11
« Frieden und Atomausstieg. Ostermärsche 2011: Antikriegsbewegung und AKW-Gegner rücken zusammen und planen gemeinsame Aktivitäten. Von Markus Bernhardt – »Tatsächlich suchen fast zehn Millionen Arbeit«. Nirgendwo wird so mit Zahlen jongliert wie bei der Arbeitslosenstatistik. Bankenkrise längst nicht ausgestanden. Ein Gespräch mit Herbert Schui Interview: Mirko Knoche »
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Ernst kritisiert »harten Kern« der Funktionäre
Medien und Parteirechte führen die Kampagne gegen den Vorstand weiter.
Von Peter Wolter
Die Mainstreammedien haben ihre Spekulationen über die Linkspartei am Wochenende fortgesetzt – wieder einmal munitioniert von prominenten Parteimitgliedern des rechten Flügels: Vizechefin Katja Kipping übt scharfe Kritik an den Vorsitzenden Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, Vizeschefin Halina Wawzyniak arbeitete sich ebenfalls an Ernst ab, Thüringens Fraktionschef Bodo Ramelow attackierte den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi.
Ernst versuchte am Samstag beim Landesparteitag der Hamburger Linken, mit einer programmatischen Rede offensiv in die parteiinterne Diskussion einzugreifen. Er warnte seine Partei vor der Selbstzerstörung und forderte indirekt ein Ende der Diskussion. Zugleich schwor er seine Partei auf einen klar linken Kurs ein. Sie stehe für den sozialen und ökologischen Umbau der Gesellschaft, für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie. »Wenn wir das bleiben, kriegen wir uns auch konsolidiert. Wenn wir eine ›Linke light‹ sind, sind wir erledigt«, sagte Ernst mit Blick auf die internen Streitigkeiten. Er kritisierte, ein »harter Kern von Funktionären und Mandatsträgern« habe sich zu keiner Zeit mit der im Mai 2010 gewählten Führungsspitze der Partei abfinden wollen. Ernsts Stellvertreterin Wawzyniak fühlte sich offenbar angesprochen und erklärte, derartige Anschuldigungen vergifteten das Klima.
Ramelow kritisierte zum wiederholten Male, daß Gysi eine Rückkehr des früheren Parteichefs Oskar Lafontaine ins Spiel gebracht habe, sollte die Linkspartei in eine »Notsituation« gelangen. Er selbst wolle allerdings zur Zeit nicht Parteivorsitzender werden, versicherte Ramelow am Samstag in Deutschlandradio Kultur.
Die Linkspartei wies am Sonntag einen Spiegel-Bericht als falsch zurück, wonach die Partei wegen Geldknappheit eine Ausgabensperre verhängt habe. Der Darstellung des Magazins zufolge hat Linken-Schatzmeister Raju Sharma »fehlende Beitragsehrlichkeit« und überteuerte Kampagnen des Vorstandes kritisiert.
Quelle: http://www.jungewelt.de vom 18.04.11
Comment: Huste – 18. April 2011 @ 11:42