Drei von vier Bürgern in Deutschland wollen den gesetzlichen Mindestlohn. Nach einer repräsentativen Umfrage von Infratest-dimap im Auftrag der Gewerkschaften ver.di und Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) verlangen 76 Prozent der Befragten seine sofortige Einführung, um verschärftem Lohndumping als Konsequenz der ab 1.Mai geltenden erweiterten »Arbeitnehmerfreizügigkeit« in Europa zu begegnen. Rückendeckung für die Forderung lieferte eine am Freitag veröffentlichte Studie des Schweizer Prognos-Instituts für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung. Danach würde ein allgemeiner Mindestlohn nicht nur die Situation von Millionen prekär Beschäftigten nachhaltig verbessern, sondern dem Staat obendrein Mehreinnahmen von etlichen Milliarden Euro bescheren.
Im Fall eines Entgelts pro Arbeitsstunde von mindestens von 8,50 Euro könnten nach Berechnungen des namhaften Forschungsunternehmens für die öffentlichen Haushalte jährlich mehr als sieben Milliarden Euro zusätzlich herausspringen. Die Summe setzt sich zusammen aus einem Mehraufkommen aus direkten Steuern und Sozialbeiträgen von jeweils 2,7 Milliarden Euro sowie Einsparungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro bei den Sozialleistungen – wie etwa Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Wohngeld. Die Zahl derer, die mit 8,50 Euro dann einen höheren Stundenlohn als bisher erhalten, beziffert das Institut mit fünf Millionen Personen, die aktuell mit weniger als 8,50 Euro bezahlt werden. Insgesamt würde sich das Erwerbseinkommen der privaten Haushalte um 14,5 Milliarden Euro erhöhen. Infolge der damit verbundenen Impulse beim Konsum könnten Bund, Länder und Gemeinden mit weiteren 700 Millionen Euro an indirekten Steuern rechnen. Bei einem Mindestlohn von zwölf Euro kalkuliert Prognos mit einem fiskalischen Nutzen von rund 25 Milliarden Euro.
»Dumpinglöhne belasten die öffentlichen Haushalte, und der Staat subventioniert faktisch die Lohndrückerei der Unternehmen, indem er für die gesellschaftlichen Folgekosten aufkommt«, bemerkte dazu Rudolf Hickel, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Bremen, am Freitag gegenüber junge Welt. Die Bundesregierung sträubt sich bislang beharrlich gegen die Festlegung einer gesetzlich verbindlichen Lohnuntergrenze und ist damit international ziemlich isoliert. Von den 27 EU-Mitgliedsländern gibt es nur in Deutschland und Zypern keinen solchen Schutz.
Nach besagter infratest-dimap-Erhebung stößt ein Mindestlohn inzwischen sogar bei konservativen und liberalen Parteigängern auf großen Zuspruch. So plädieren selbst von den FDP-Anhängern 76 Prozent »stark oder sehr stark« dafür, das Instrument umgehend einzuführen. Unter Unionswählern sind es 63 Prozent, bei der SPD-Anhängerschaft 88 Prozent und in Reihen der Grünen-Wählerschaft 81 Prozent. Von den der Linkspartei zugeneigten Befragten sprachen sich 100 Prozent dafür aus. Der Ökonom Hickel ist immerhin »vorsichtig optimistisch, daß bei der Regierung ein Umdenken einsetzt«, glaubt aber nicht an ein Einlenken der Wirtschaft. »Es geht hier um knallharten Verteilungskampf.«
Die Linke macht sich für einen Mindestlohn von zehn Euro stark. Flankiert werden müßte dessen Einführung allerdings von der Beseitigung aller prekären Arbeitsverhältnisse etwa in Form von Leiharbeit und Minijobs, wie Michael Schlecht von der Bundestagsfraktion Die Linke am Freitag im jW-Gespräch ausführte. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind derzeit rund 1,4 Millionen Menschen darauf angewiesen, ihr Einkommen mit staatlichen Mitteln aufzubessern. »Die Aufstockerei kostet den Staat jährlich zehn Milliarden Euro«, monierte Schlecht, der zugleich Chefvolkswirt beim ver.di-Bundesvorstand ist. »Damit hat ein Viertel der ganzen Hartz-IV-Kosten nur damit zu tun, die eigentlichen Sozialschmarotzer zu alimentieren – nämlich die Unternehmen, die ihre Beschäftigten mit Hungerlöhnen abspeisen.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 30.04.11
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