Der Duisburger Kreisverband der Linken und meine Person sind erneut mit einer Kampagne konfrontiert, die unseren angeblichen Antisemitismus beweisen soll. Wir weisen diese Anschuldigungen als haltlos zurück und fordern die Verantwortlichen in Politik und Medienlandschaft auf, sie zu unterlassen. Es muß Grenzen in der politischen und medialen Auseinandersetzung geben. Sie beginnen da, wo sachliche Information, faire Berichterstattung, Meinungsvielfalt und berechtigte Kritik in systematische Stigmatisierung, Verleumdung und Rufschädigung übergehen oder von einigen sogar bewußt betrieben werden. Ich möchte mit diesem offenen Brief dazu beitragen, diese Grenzen sichtbar zu machen, und bitte nachdrücklich darum, denjenigen entgegentreten, die sie bewußt verletzen. Das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit darf nicht mißbraucht werden, sonst laufen wir Gefahr, daß es auf längere Sicht zerstört wird.
Was ist passiert?
In der Mittagszeit des 27. April 2011 wurde die Kreisverbandssprecherin der Linken Duisburg, Ute Abraham, von einem Anrufer aus Wien darauf hingewiesen, daß sich auf der Internetseite des Jugendverbands [’solid] – die über einen Link auf der Kreisverbandsseite erreichbar ist – ein antisemitisches Pamphlet befinde. Ute Abraham bedankte sich für den Hinweis und versprach, der Sache umgehend nachzugehen. Sie fand aber nichts auf der Internetseite und bat den Anrufer um nähere Angaben zu der fraglichen Datei. In der Zwischenzeit ging ein Anruf vom Parteivorstand in Berlin in derselben Angelegenheit ein. Auch der Parteivorstand sei auf die antisemitische Datei hingewiesen worden, habe sie aber auch nicht auf der Website finden können. Mit Hilfe des Providers – der Firma Minuskel Screen Partner in Berlin – gelang es schließlich, die fragliche Datei aufzufinden und zu löschen. Bis dahin waren nur wenige Stunden vergangen. Der Kreisverbandsvorstand gab nach einer außerordentlichen Vorstandssitzung um 17 Uhr eine Pressestellungnahme heraus, in der er sich von dem Machwerk distanzierte und Aufklärung versprach. So what? Dennoch wurde der Kreisverband mit über einem Dutzend Strafanzeigen überzogen!
Am frühen Nachmittag waren in einer offenbar konzertierten Aktion von den Onlinezeitungen »Ruhrbarone«, »Honestly Concerned« (eine Internetseite, die den rechten politischen Flügel in Israel vertritt und antiislamische Hetze verbreitet) usw. Pressemeldungen in Umlauf gesetzt worden, in der das antisemitische Pamphlet auf der Internetseite in Duisburg skandalisiert wurde. Etliche – auch überregionale – Printmedien und TV-Sender fuhren sofort darauf ab und wollten von der Linken Auskunft. Die Telefone standen nicht mehr still, und man fragt sich – was ist der wirkliche Grund für ein derartiges mediales und politisches Interesse von bundesweitem Ausmaß wegen eines Vorgangs, der bei nüchterner Betrachtung noch nicht einmal die Bezeichnung »lokale Fußnote« verdient?
Beim Kreisverband der Linken Duisburg handele es sich – so die Ruhrbarone unter ihrem Chef Stefan Laurin– ohnehin um ein Zentrum des Antisemitismus in der Linkspartei (Kostprobe dieses professionellen Verleumders und geistigen Brandstifters: »Die Linkspartei in Duisburg gehört zu den antisemitischsten Kreisverbänden der Partei in Deutschland«, »Wenn es gegen Juden geht, ist die Duisburger Linkspartei immer dabei« – zitiert nach Ruhrbarone 27.4.2011). Weiter behaupteten die Ruhrbarone (bzw. Herr Laurin), das antisemitische Pamphlet befinde sich seit Jahren, »wahrscheinlich seit 2009«, auf der Internetseite der Linken zum Download. Eine dreiste Spekulation und unbewiesene Behauptung, die mit Hilfe des Protokolls der Providerfirma schnell widerlegt werden konnte. Das Machwerk befindet sich u.a. immer noch auf der rechtsradikalen – aber angeblich israelfreundlichen!– Internetseite »Politically Incorrect« – eine Tatsache, die von den Ruhrbaronen z.B. überhaupt nicht skandalisiert wird. Es geht ja gegen die Linke und nicht gegen rechtsradikale angebliche »Israelfreunde«.
Konsequente Aufklärung
Der KV-Vorstand machte sich konsequent an die weitere Aufklärung und fand schnell heraus: Das antisemitische Machwerk stammt – wie aus den Dokumenteneigenschaften und dem Text selbst hervorgeht – aus dem Jahr 2006. Es kursiert seitdem im Internet und stammt von einem gewissen »Radio Islam«, dessen Herausgeber Ahmed Rami, ein mehrfach verurteilter Holocaustleugner, ist und dessen Internetseite längst abgeschaltet wurde. Der Kreisverband der Linken konnte binnen 24 Stunden noch mehr feststellen: Das Pamphlet wurde am 31. Januar 2011 kurz nach 20 Uhr in der Region Essen-Gelsenkirchen auf die Internseite des Jugendverbands der Linken, [’solid], gestellt, die mit der KV-Seite verlinkt ist, und zwar von dem Nutzer einer t-online.de-Adresse. Ebenfalls bekannt wurde – aus dem Protokoll des Providers – die IP-Adresse.
Das Pamphlet war nun – und das sollte angesichts der politischen Kampagne gegen die Duisburger Linke nicht unbeachtet bleiben – so versteckt unter »Materialien«, daß es mit hoher Wahrscheinlichkeit seit Januar keine öffentliche Wirkung entfaltet hat und nicht entfalten konnte. Von einer bewußt platzierten Veröffentlichung als Bestandteil einer angeblichen Anti-Israel-Politik bzw antisemitischen Politik der Duisburger Linken konnte und kann überhaupt keine Rede sein. Wer nach Lage der Dinge das Gegenteil behauptete, war schon zu diesem Zeitpunkt auf Sensationsmache und Skandalisierung aus, nahm eine bewußte Verleumdung der Linken in Kauf – oder wollte sie gar. Mit seriösem Journalismus hatte das jedenfalls wenig bis nichts zu tun.
Alle in Frage kommenden Mitglieder des Jugendverbands und des Kreisverbands der Linken, die nach unseren Kenntnissen über Kennung und Passwort (es wurde uns nur eins vom Berliner Parteivorstand zugeteilt!) verfügten, wurden – soweit aufgrund der Urlaubszeit erreichbar – in den nächsten Tagen befragt, ob sie das Pamphlet auf die Internetseite gesetzt hätten. Das Ergebnis war bisher eindeutig negativ. In einem Rundschreiben forderte der Kreisverbandsvorstand mit Datum vom 28. April mit Fristsetzung sämtliche Mitglieder auf, sich zu melden, wenn sie in der Sache bei der Aufklärung helfen könnten. Andernfalls werde Strafanzeige gestellt. Nach Verstreichen der Frist am 29. April um 10 Uhr stellte der KV-Vorstand Strafanzeige bei der Duisburger Polizei. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln. Ein zwischenzeitlich eingeschalteter Informatiker und ein Anwalt stellten Überlegungen zur weiteren Aufklärung an. Es könne sich um einen Hacker handeln, einen unautorisierten Nutzer und/oder Maulwurf. Der Provider schloß einen Hackerangriff aus. Jetzt fehlten nur noch die Verbindungsdaten der Telekom von jenem 31. Januar 2011. Am 3. Mai erteilte uns die Polizei die Auskunft, daß die Telekom diese Daten im Rahmen der Sieben-Tage-Frist gelöscht habe. Damit scheint zunächst eine Aufklärung in dieser Richtung nicht mehr möglich zu sein.
Das Machwerk auf der Internetseite des KV (bzw. der mit dieser verlinkten Jugendseite) entspricht nach Aufmachung, Form und Inhalt nicht der Politik der Linken. Wir verbreiten keine antisemitischen Vorurteile und Geschichtsfälschungen, wir beleidigen keine Holocaustopfer usw. Das Pamphlet ist – von wem auch immer – unautorisiert und im Widerspruch zu unseren programmatischen Grundlagen auf die Jugendseite gesetzt worden. Linke Politik ist es, den Antisemitismus zu bekämpfen – und nicht den vermeintlichen in Form berechtigter Kritik an der Menschen- und Völkerrechtspolitik, wie es z.B. der renommierte israelische Friedenaktivist und Publizist Uri Avnery in seinen Kolumnen genau beschrieben hat. Wer Kritik an den permanenten schweren Menschen- und Völkerrechtsverletzungen durch Israel mit Antisemitismus gleichsetzt, will Kritiker mundtot machen. Er macht sich letztlich mitschuldig an der Falschinformation der Öffentlichkeit, an den Unterdrückungsverhältnissen in Nahost und ermutigt die Bundesregierung, mit ihrem verheerenden außenpolitischen Kurs fortzufahren, der die Untaten der israelischen Regierung ungeahndet läßt. Er macht sich mitschuldig an Verleumdung und Rufmord.
Und noch etwas muß angesprochen werden: Die von der palästinensischen Zivilgesellschaft 2005 von über 170 Organisationen ins Leben gerufene Kampagne Boykott, Desinvestment und Sanktionen (BDS) – die uns in besonderer Weise vorgeworfen wird– ist meines Erachtens vollkommen legitim. Ich bin mir bewußt, daß die Kampagne auch innerhalb der Linken umstritten ist, aber ich setze mich dafür ein, daß sie als legitimes Mittel der unterdrückten Palästinenser anerkannt wird. Sie richtet sich nicht gegen einzelne Israelis, nicht gegen Israel als solches, sondern gegen alle Profiteure von Mauerbau, illegaler Besiedlung und Unterdrückung. Die Kampagne hat eine enorme Wirkung auf internationaler Ebene entfaltet. Sie wird von zahlreichen Gewerkschaften in Britannien, Kirchenorganisationen, Universitäten, Kulturschaffenden und zahlreichen namhaften Persönlichkeiten unterstützt. (…) Diese Kampagne ist genausowenig »antisemitisch« wie die Antiapartheidkampagnen gegen Südafrika »antiweiß« waren. Sie ist ein Instrument, mit dem sich die palästinensische Gesellschaft gegen die fortgesetzte und menschenverachtende Unterdrückung wehren will, weil ihr international kaum Hilfe zuteil wird. (…)
Appell an die Medien
Ich appelliere nachdrücklich an die verantwortlichen Redakteure, sich in ihrer Berichterstattung stets an die Grundsätze des seriösen und fairen Journalismus zu halten. Ist es wirklich mit journalistischer Sorgfaltspflicht vereinbar, die Kampagnen und Verleumdungen der Ruhrbarone und anderer dubioser Internetseiten und Blogger aufzugreifen, aus diesen vergifteten Quellen zu schöpfen? (…)
Die Ruhrbarone haben ihren Titel zu Recht gewählt: Ruhrbarone – die klassischen Herren von Stahl und Eisen, Rüstungsschmieden und Schachtanlagen – sind seit den Zeiten der alten Arbeiterbewegung immer gegen die Linke gewesen – stockkonservativ bis reaktionär. Etliche von ihnen haben schon früh Hitler und seine NSDAP finanziert, und die allermeisten waren nach der »Machtergreifung« der Nazis die großen Profiteure von der Zerschlagung der Gewerkschaften, der parlamentarischen Demokratie, von Zwangsarbeit, Eroberungskrieg und Völkermord an den Juden. Wer sich so einen Namen gibt, will damit offenbar auch zeigen, in welcher Tradition er sich sieht. (…)
Duisburg, den 4. Mai 2011
Vollständiger Wortlaut: www.steinbergrecherche.com/201105dierkesoffenerbrief.doc
« Nein zu tödlicher Ware. Von Claudia Wangerin – »Mindestens 75 hatten eine braune Vergangenheit« Auch in Hessens Landtagen wimmelte es von einstigen NSDAP-Mitgliedern. Unbelastet war nur die KPD. Gespräch mit Hans-Peter Klausch »
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