In seinem Buch »Ganz unten« berichtete der Schriftsteller Günter Wallraff schon 1985, daß die Atomkraftwerksbetreiber für Reparaturen an den Meilern gerne auf Leiharbeiter zurückgreifen. »Für die relativ gefährlichen Arbeiten heuern sie über Subunternehmer immer wieder kurzfristig neue Leute an, die dann oft in wenigen Stunden oder Tagen, manchmal sogar nur Sekunden die Jahreshöchstdosis an Strahlen … weghaben«, so Wallraff. »Ausländer, Türken vor allem, werden bevorzugt eingestellt. Ich nehme an, weil sie so mobil sind.«
Allzu viel geändert hat sich seither offenbar nicht. Wie die Süddeutsche Zeitung am Montag meldete, erledigen immer nochTausende Leiharbeiter viele Aufgaben vor allem bei der jährlichen Wartung der AKW. Das Blatt berief sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken.
Die Zahl der Leiharbeiter in Atomkraftwerken ergibt sich aus der Anzahl der sogenannten Strahlenpässe. In Deutschland haben fast 67000 Beschäftigte ein solches Dokument. Strahlenpässe sind für diejenigen Pflicht, die bei ihrer Arbeit radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind.
Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Jahr 2009 in den 17 deutschen Atomkraftwerken knapp 6000 eigene Mitarbeiter der AKW-Betreiber auf Strahlungsbelastung hin überwacht. Für Fremdpersonal, also Leiharbeiter, seien in demselben Jahr 24000 Strahlenpässe ausgestellt worden.
Dem Zeitungsbericht zufolge werden zahlreiche Leiharbeiter für gefährliche Arbeiten eingesetzt. Sie bekämen fast 90 Prozent der gesamten Strahlendosen ab, die Stammbeschäftigten nur etwas mehr als ein Zehntel. Die Bundesregierung beziffert die Jahresdosis für das Eigenpersonal auf insgesamt 1,7 Sievert, für externe Arbeiter sind es zusammengerechnet 12,8 Sievert.
Nach Angaben der Linken-Abgeordneten Jutta Krellmann ist der Anteil der Leiharbeiter in den AKW in den vergangenen 30 Jahren deutlich gestiegen. Die Fremdbeschäftigten würden deshalb wohl »die besonders strahlenexponierten Arbeiten in den AKW übernehmen« müssen. Weil Fremdpersonal in AKW auch als schlechter bezahlt gilt als die Stammbelegschaft, spricht Krellmann vom »Strahlenproletariat in deutschen Atomkraftwerken«.
Ihre Fraktionskollegin Dorothée Menzner befürchtet, daß etliche Leiharbeiter in mehreren Ländern für Arbeiten in AKW angeheuert werden. Sie hätten womöglich mehrere Strahlenpässe und könnten deutlich höheren Strahlenbelastungen ausgesetzt sein. Die Bundesregierung hat darauf aber keine Hinweise.
Für seine Recherchen zu »Ganz unten« interviewte Wallraff mehrere Leiharbeiter, die im – inzwischen stillgelegten – AKW Würgassen beschäftigt waren. Einer sagte: »Du legst das Dosimeter einfach weg, in den Spind zum Beispiel, merkt doch keiner. Da kümmert sich keiner drum. Solange ich hier gearbeitet habe, hat mich keiner danach gefragt. Wo nichts ist, kann auch nichts aufgezeichnet werden mit dem Ding«.
Quelle: www.jungewelt.de vom 07.06.11
« Jagd auf Kriegsgegner. Von Claudia Wangerin – Proteste in Marokko »
No comments yet.
Sorry, the comment form is closed at this time.