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»Ich wurde vier Tage lang in der Türkei gefoltert« Horror-Erlebnis eines deutschen Staatsbürgers. Kaum Hilfe von der Botschaft in Ankara. Ein Gespräch mit Mehmet Desde. Interview: Gitta Düperthal

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Mehmet Desde ist Autor des im Loeper Verlag erschienenen Buchs »Folter und Haft in der Türkei – Ein Deutscher in den Mühlen der Willkürjustiz«

Am Mittwoch lesen Sie in Berlin aus ihrem kürzlich erschienenen Buch, das Ihre eigene Geschichte von Folter und Haft in der Türkei beschreibt. Alles hat im Juni 2002 begonnen, als Sie zur Beerdigung Ihres Vaters in die Türkei fuhren. Danach hat man Sie, einen deutschen Staatsbürger, gefoltert, unschuldig in Haft genommen und bis Oktober 2008 an der Ausreise gehindert. Wie ist es dazu gekommen?
Seit 1979 lebe und arbeite ich in Deutschland, ich bin kurdischer Abstammung. Als mein Vater in der Türkei beigesetzt wurde, war ich dort mit einem Freund im Auto unterwegs. Damals, im Juni 2002, wurde ich in einem Vorort von Izmir festgenommen. Man hat nichts gefunden, mich aber dennoch zum Verhör ins Polizeipräsidium in Izmir verschleppt und die Augen verbunden. Schließlich hat man mir mitgeteilt, eine Anzeige liege vor, man ermittle gegen mich polizeilich. Ohne mir meine Rechte vorzulesen, hat man mich in Untersuchungshaft genommen. Kontaktaufnahme zu meiner Familie oder einem Rechtsanwalt hat man mir verweigert. Meine Forderung, das deutsche Konsulat zu benachrichtigen, wurde zurückgewiesen. Die Terrorismus-Bekämpfungsbehörde verlangte von mir zuzugeben, daß ich Mitglied der Organisation »Bolschewistische Partei Nordkurdistan/Türkei« sei. Ich sollte Verantwortung für eine Reihe von Aktionen dieser Partei übernehmen – die ich noch nicht einmal kannte.

Was hat man Ihnen angetan?
Im Terrorismus-Bekämpfungsbüro wurde ich vier Tage lang gefoltert. In einem schlecht belüfteten Raum wurde ich starkem Licht ausgesetzt, man ließ mich hungern und nicht schlafen. Immer wieder hat man mich mit verbundenen Augen zum Verhör geführt, geschlagen, beschimpft, beleidigt und mit Hieben auf die Brust, den Rücken und den Kopf traktiert. Ich wurde splitternackt ausgezogen, mir wurden die Hoden gequetscht. Ich wurde gezwungen, mich zu bücken; man versuchte, mich zu vergewaltigen. Hier in diesem Büro gebe es keine Menschenrechte, sagte man mir. Man drohte, mich verschwinden zu lassen.

Nach sechs Monaten im Hochsicherheitsgefängnis mußte ich viereinhalb Jahre in der Türkei bleiben – und durfte nicht ausreisen. Vom April 2007 bis Oktober 2008 habe ich nach richterlichem Urteil weiterhin eine Haftstrafe absitzen müssen für eine Tat, die ich nicht begangen habe. Bei diesem unfairen Prozeß hat man Aussagen gegen mich geltend gemacht, die von Mitangeklagten unter Folter erpreßt wurden.

Die Bundesrepublik Deutschland hat Sie kaum unterstützt. Wie erklären Sie sich das?
Die Botschaft in Ankara hat sich mit meinem Fall kaum befaßt. Das macht mir deutlich, daß ich – obgleich deutscher Staatsbürger – ein Fremder in Deutschland geblieben bin. Ich erinnere mich hingegen an den Fall des Deutschen Marco Weiß aus Uelzen – die Medien überschlugen sich mit Schlagzeilen, Kanzlerin Angela Merkel forderte seine Freilassung, noch bevor die Rechtslage geklärt war. Für meine Freilassung hat sich aber kein Politiker eingesetzt.

Sie haben die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf Schadensersatz verklagt – mit welchem Ergebnis?
Mir wurden eine Entschädigung von 19000 Euro sowie 2000 Euro für Verfahrenskosten gewährt.

Sie sind kein Einzelfall – wie ist denn die politische Situation in der Türkei?
Ja, ich war nicht das einzige Folteropfer und werde nicht das letzte gewesen sein. Die Menschenrechtsstiftung in der Türkei sprach in ihrem Bericht 2008 von einer Million Menschen, die seit dem Putsch der Generäle im September 1980 gefoltert wurden. Die Stiftung hat seit 1990 mehr als 10000 Menschen wegen Folter behandelt – ich war einer davon. Weil die Türkei der Europäischen Union beitreten wollte, gab es zwar einige Verfassungsänderungen, in der Umsetzung aber immer wieder Rückschritte. Etwa 4000 Ermittlungen laufen gegen die Presse, rund 10000 politische Gefangene sitzen in türkischen Gefängnissen.

Lesung und Diskussion mit dem Autor Mehmet Desde und der Schauspielerin Renan Demirkan, Mittwoch, 22. Juni, 19.30 Uhr, Berlin, Haus der Demokratie und Menschenrechte, Robert-Havemann-Saal, Greifswalder Str. 4

Quelle: www.jungewelt.de vom 18.06.11

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 18. Juni 2011 um 10:51 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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