Thilo Sarrazin hat ein Buch geschrieben und darin die »Nutzlosigkeit« von »Arabern und Türken« angeblich faktenreich bewiesen. Damit verlieh er dem Empfinden vieler in diesem Land einen Ausdruck. Sarrazins Thesen erzeugten aber nicht nur Resonanz bei etlichen Deutschen. Er hat, gemeinsam mit anderen Rechten, bislang öffentlich tabuisierte Meinungen salonfähig gemacht.
Das ist nicht zum ersten Mal so in Deutschland. Der gesellschaftlich auferlegten Hemmung folgt die Enthemmung der Rassisten. Die nächsten Schritte sind Ausgrenzung und Verfolgung der Stigmatisierten. Darauf kann, eines Tages, dann wieder Reue und Wiedergutmachung folgen …
Rechtspopulisten und ihre Fürsprecher haben kein Interesse an einer Analyse der Gründe, die insbesondere die größten Minderheiten in diesem Land – Menschen mit türkischem, bzw. arabischem Migrationshintergrund – über Jahrzehnte hinweg in benachteiligte Positionen gedrängt haben. Warum auch? Über die Entstehung struktureller Benachteiligung nachzudenken, hieße eben auch, über die eigene, historisch gewachsene Herrenmenschenmentalität nachzudenken, die die als minderwertig Stigmatisierten kleinhalten soll. Das zu fordern hieße: diese Stimmungsmacher zu überfordern.
Wenn Menschen türkischer und arabischer Abstammung sich gegen unhaltbare Meinungen auflehnen, unterstellt Sarrazin ihnen ein »orientalisches Beleidigtsein« und schreibt auch damit nur den antimuslimischen Rassismus fort. Wenn die Argumente des Exfinanzsenators nicht bitterernst gemeint wären und ganz offensichtlich von vielen Deutschen Zustimmung erhielten, könnte man ihn als narzißtisch strukturierten Narren abtun, der sich zwanghaft öffentlich inszeniert. Sarrazin jedoch hat Gefolgschaft. Und das ist weit beunruhigender als die pseudowissenschaftliche Eugenik, die er in seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« vertritt. Sarrazin und sein Anhang befürworten ein Menschenbild, das die Nazis am konsequentesten umgesetzt haben: der Mensch als reiner Kosten-Nutzen-Faktor. Ein seelenloser Mensch.
Zu einer Revolte migrantischer Jugendlicher kam es in Deutschland bisher nicht. Auch in Zukunft soll es ihnen nicht besser gehen, aber auch rebellisch werden dürfen sie nicht. Deshalb erfinden und befeuern ein rassistischer Politiker und seine Gefolgschaft, viele davon aus der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht, Konflikte zwischen migrantischen Unterschichten und deutschen Mehrheitsangehörigen. Einfacher und effektiver läßt sich die Gesellschaft nicht spalten.
Soziale Konflikte werden, wieder einmal, brutal ethnisiert. Die politische und soziale Atmosphäre ist in Deutschland nachhaltig vergiftet. Das Vertrauen vieler Migranten in die Politiker dieses Landes – einschließlich jener aus der SPD, die sich nicht klar von Sarrazin distanziert –, ist zerstört. Das Mißtrauen vieler Migranten gegenüber einem immer stärker ausgrenzenden gesellschaftlichen Klima zeigt sich insbesondere an der großen Zahl vieler türkisch-stämmiger Auswanderer.
www.jungewelt.de vom 25.07.11
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