Wolfgang Huste Polit- Blog

Stockendes Räderwerk. Nein der »Tea Party« zum Schuldenkompromiß paralysiert Washington. Das bislang Undenkbare, der Zahlungsausfall der USA, ist zur Möglichkeit geworden. Von Rainer Rupp

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Die globalen Börsen befinden sich auf Achterbahnfahrt. Insbesondere in den USA gerät die durch massive schuldenfinanzierte Ausgabe der Bundesregierung gestützte Wirtschaft ins Stottern. Selbst die stark manipulierten offiziellen Arbeitslosenzahlen steigen wieder. Auch die gerade einlaufenden Quartalsergebnisse der Konzerne bringen Enttäuschungen, besonders in der Bankenbranche. Deutlich sichtbar trüben sich die konjunkturellen Aussichten in der weltgrößten Volkswirtschaft weiter ein.

Das wurde zuletzt durch die US-Notenbank am Donnerstag bestätigt. In den veröffentlichten Zahlen des »Beige Book« (beiges Buch; hier der offizielle Konjunkturbericht) wird deutlich, daß die wirtschaftliche Dynamik zu Anfang des zweiten Halbjahres in vielen Regionen des Landes stark abgenommen hat. Zudem ist der VIX, der Volatilitätsindex der Chicago Board Options Exchange CBOE, der wichtigsten Derivatebörse der Welt, zuletzt deutlich gestiegen. Offenbar rechnen die Spekulanten damit, daß die Kreditwürdigkeit der USA tatsächlich herabgestuft wird. Das dürfte nämlich u.a. zu starken Einbrüchen auf den Finanzmärkten führen.

Der ursprünglich als reine politische Show empfundene US-Schuldenstreik zerrt immer stärker an den Nerven der Finanzjongleure. Kurz vor dem Stichtag 2. August war bis Freitag keine Lösung in Sicht. Von diesem Tag an ist die US-Regierung angeblich auch nicht mehr in der Lage , die fälligen Zinsen auf ihre Schatzbriefe (T-Bonds) zu bezahlen. Falls diese in den USA bisher noch nie dagewesene Situation eintritt, sind die Ratingagenturen gesetzlich verpflichtet, die Bonität des Landes auf Ramschniveau herabzusetzen. Welche Tricks auch immer das Finanzministerium noch auf Lager haben könnte, den Absturz zunächst zu vermeiden – das Zeitfenster für einen Kompromiß im ideologisch festgefahrenen Schuldenstreit wird immer kleiner.

Angesichts der für die US-Wirtschaft möglicherweise katastrophalen Folgen einer – wenn auch nur temporären und dazu technischen – Zahlungsunfähigkeit, hätten sich unter normalen Umständen die Vertreter von Demokraten und Republikanern (also der linke und der rechte Flügel der im Kongreß dominierenden US-Einheitspartei des Kapitals) längst auf einen Kompromiß geeinigt. Zu stark sind deren materielle Interessen mit denen der Konzerne verwoben. Den Unterschied machen die neuen Kongreßabgeordneten, die bei den Wahlen im vergangenen Jahr von der radikal-konservativen Graswurzelbewegung »Tea Party« nach Washington geschickt worden sind. Die nehmen das Mandat, in der Bundeshauptstadt mit der Verfilzung von Politik und Wall Street aufzuräumen, offenbar ernst und sorgen so dafür, daß die »normalen Zeiten« vorbei sind. Die Tea Party ist eine Bewegung innerhalb der Republikanischen Partei; und die meisten neuen Abgeordneten sind gegen den Willen des republikanischen Establishments in den Kongreß gewählt worden.

Dort im US-Parlament haben sich die Neulinge noch nicht »akklimatisiert«, sprich, sie haben sich anscheinend noch nicht kaufen lassen. Auch glauben sie weder den Beschwörungen ihrer älteren Kollegen noch denen der Vertreter der Wall-Street-Interessen, daß ihre Weigerung, die Schuldengrenze anzuheben, schlimmere Folgen für das Land haben würde als deren von Präsident Barack Obama für die nächsten eineinhalb Jahre geforderte Aufstockung von 14,3 auf 16,7 Billionen (16700 Milliarden) Dollar. Die Neuen bestehen auf einer radikalen Kürzung der staatlichen Ausgaben, insbesondere der im Sozialbereich. Die Demokraten, die diesen Kahlschlag unter der Regierungsverantwortung ihres Präsidenten zum Schaden ihrer Anhänger durchsetzen müßten, lehnen das strikt ab. Aber auch die etablierten Republikaner fürchten sich vor der Rache der Wähler, wenn z.B. das in der Bevölkerung sehr beliebte Medicare-Programm, also die kostenlose staatliche medizinische Versorgung im Alter, gestrichen würde.

Immer neue Kompromißvorschläge zum langfristig angestrebten Schuldenabbau, die von Demokraten und etablierten Republikanern diskutiert werden, wurden schon im Vorfeld von den »Neuen« abgelehnt. Diese Verweigerungshaltung wird den Tea-Party-Vertretern dadurch erleichtert, daß die Vorschläge viele buchhalterische Taschenspielertricks enthalten. Exemplarisch dafür ist das jüngste Kompromißangebot der Demokraten: Vollkommen ungewöhnlich sollen über die nächsten zehn Jahre eine Billion Dollar bei den – bisher bei allen sakrosankten – Ausgaben fürs Militär gestrichen werden. Der Posten stellt einen Teil der Ausgaben für die Kriege in Afghanistan und Irak dar. Begründet wurde die Streichung damit, daß man auch ohne konkrete Friedenspläne davon ausgehen könne, daß die US-geführten Kriege innerhalb des nächsten Jahrzehnts zu einem Ende kommen.

Die eingesessenen Republikaner werfen den Neuen nun Verantwortungslosigkeit vor. Dennoch hätten sie gemeinsam mit den Demokraten eine große Mehrheit im Kongreß. Allerdings scheuen sie davor zurück, mit den ­Obama-Leuten gemeinsame Sache gegen ihre Tea-Party-Kollegen zu machen. Es ist die Furcht, nächstes Jahr nicht wieder gewählt zu werden, die sie zurückhält. Alle zwei Jahre stehen 50 Prozent der Sitze im Repräsentantenhaus zur Wiederwahl an. Da die Tea Party innerhalb der Republikanischen Partei immer noch die bestimmende Bewegung ist, fürchten die Etablierten zu Recht um ihre Sitze samt Pfründen, wenn sie sich in dieser, zum ideologischen Lackmustest hochstilisierten Frage der staatlichen Ausgabenkürzungen gegen die Tea Party stellen. Das paralysiert.

»Dies ist ein entscheidender Augenblick in Amerikas Unfähigkeit zu handeln«, erklärte am Freitag der auf die US-Regierung spezialisierte Staatswissenschaftler Paul Light und fügte resigniert hinzu: »Noch nie, absolut nie, habe ich einen solchen Zusammenbruch gesehen.« Tatsächlich hat die Tea Party einen kräftigen Knüppel in das sonst so gut funktionierende Räderwerk von Politik und Wall Street geworfen. Und deshalb ist das bisher Undenkbare, eine Zahlungsunfähigkeit der US-Regierung, inzwischen zur konkreten Möglichkeit geworden.
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Quelle: www.jungewelt.de vom 30.07.11

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 30. Juli 2011 um 10:49 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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