Wolfgang Huste Polit- Blog

»Damit wird der Willkür Tür und Tor geöffnet«. Arbeitslosengeld II: Kommunen können unrealistisch niedrige Pauschalen für Unterkunft und Heizung festlegen. Ein Gespräch mit Angelika Klahr

Tags:

Interview: Ralf Wurzbacher
Angelika Klahr ist Referentin der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) in Berlin

Vertreter von Arbeitsloseninitiativen und Sozialberatungsstellen aus dem gesamten Bundesgebiet haben einen »dringenden Appell« an die Regierungschefs der Länder gerichtet, sich nicht zum Wegbereiter weiterer Kürzungen bei den Leistungen für Wohnkosten von Arbeitslosengeld-II-Beziehern zu machen. Was genau bereitet Ihnen Sorgen?
Mit der Neufestsetzung der Hartz-IV-Regelsätze hat die Bundesregierung auch die Regelungen zur Wohnkostenübernahme geändert. Danach können die Bundesländer die Kreise und kreisfreien Städte per Gesetz ermächtigen oder verpflichten, durch kommunale Satzungen die Angemessenheitsgrenzen für die Wohnkosten neu zu bestimmen. Das kann im schlimmsten Fall so weit gehen, daß die Bedarfe für Unterkunft und Heizung durch eine Pauschale abgegolten werden, die die realen Kosten gar nicht deckt.

Dieses Problem gibt es aber doch heute schon?
Es stimmt zwar, daß die Kosten bisher auch unterschiedlich ermittelt und bestimmt wurden. Aber die Kommunen waren dabei an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebunden. Maßgeblich für die Wohnflächen waren beispielsweise die Förderrichtlinien eines Landes zum sozialen Wohnungsbau. Oder es gab die Vorgabe, daß Heizkosten ohne nähere Prüfung bis zu bestimmten Grenzwerten aus den allgemeinen Heizspiegeln zu akzeptieren sind. Diese Standards sind jetzt hinfällig, weil der Gesetzgeber bestimmt hat, daß die Kosten als angemessen zu gelten haben, die per Satzung festgelegt werden.

Aber auch dagegen läßt sich doch juristisch vorgehen, oder?
Ja, allerdings müßte dann die Gültigkeit der Satzung im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens vor dem Landesverfassungsgericht geprüft werden. Dadurch ist die Hürde, sich als Betroffener zur Wehr zu setzen, ungleich höher. Bisher reichte es, vor einem Sozialgericht zu klagen. Außerdem ist im Gesetz nicht geregelt, was passiert, wenn eine Satzung als verfassungswidrig eingestuft wird.

Womit rechnen Sie, wenn die Kommunen die Bedarfssätze festlegen dürfen?
Faktisch bekommt der Sparzwang der Kommunen einen gesetzlichen Rückhalt. Damit wird der Willkür Tür und Tor geöffnet – mit der Folge, daß die Leistungen mit Sicherheit unter das bisherige Niveau gedrückt werden. Damit setzt der Gesetzgeber eine Dynamik zur systematischen Verfehlung der Bedarfsdeckung in Gang.

Mit welchen Konsequenzen für den einzelnen?

Die Betroffenen werden entweder zum Wohnungswechsel genötigt, oder aber sie sind gezwungen, die Differenz zwischen der bewilligten Leistung und den tatsächlichen Kosten selbst zu begleichen. Der Fehlbetrag schmälert dann aber den ohnehin kärglichen Hartz-IV-Regelsatz noch einmal zusätzlich. Das geschieht zwar heute schon oft genug, könnte dann aber zum Massenphänomen werden.

Insbesondere im Fall der Pauschalierung?
Richtig, denn selbst bei den Heizkosten sollen Pauschalen möglich sein. Deren Höhe hängt aber doch von einer Vielzahl von Faktoren ab, auf die ein Mieter keinen Einfluß hat. Bisher konnten Angemessenheitsgrenzen im Einzelfall auch überschritten werden, wenn die Fenster nicht dicht oder die Außenwände schlecht isoliert waren. Demnächst könnte deshalb die Alternative lauten: draufzahlen oder frieren.

Oder die Wohnung zu wechseln…
Das setzt aber voraus, daß genügend günstiger Wohnraum vorhanden ist. In Berlin beispielsweise ist der immer seltener zu haben. Außerdem wurde überall in Deutschland der soziale Wohnungsbau massiv zurückgefahren. Statt dessen geht der Trend dahin, daß sich gerade in Großstädten wie Berlin prekäre Wohn- und Lebensverhältnisse räumlich immer stärker konzentrieren. Stichwort Ghettobildung. Wir sehen die Gefahr, daß das neue Gesetz diese Entwicklung weiter forcieren wird.

Gibt es Bundesländer, die schon gemäß der neuen Gesetzeslage vorgehen?
Bisher ist uns das nur von Hessen bekannt, was aber kein Grund zur Entwarnung ist. Deshalb haben wir ja auch den Appell gestartet, von dem Vorhaben abzulassen. Denn bedarfsdeckende Leistungen für Wohnkosten sind genauso wichtig wie bedarfsdeckende Regelsätze. Leider ist das in der Öffentlichkeit noch nicht so richtig angekommen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 04.08.11

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 04. August 2011 um 14:58 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

«  –  »

Keine Kommentare

No comments yet.

Sorry, the comment form is closed at this time.

Kategorien

über mich

antifaschismus

Linke Links

NGO Links

Ökologie

Print Links

Archive

Sonstiges

Meta

 

© Huste – Powered by WordPress – Design: Vlad (aka Perun)