Wolfgang Huste Polit- Blog

Die Naziüberraschung. Massenmörder Rauff war BND-Agent. Von Arnold Schölzel

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Am 26. Oktober 2002 erschien in jW ein Auszug aus dem Buch des Hamburger Publizisten Otto Köhler über Spiegel-Gründer Rudolf Augstein. Köhler befaßte sich in dem Abschnitt mit der Spiegel-Affäre von 1962 und schilderte, daß ein Mann mit besonderer Qualifikation die Aktion gegen die Zeitschrift leitete: Der stellvertretende Chef der Sicherungsgruppe Bonn Theo Saevecke, vormals Reichssicherheitshauptamt. Er wurde 1998 als wohlbestallter Bundespensionär in Turin in Abwesenheit wegen Kriegsverbrechen zu lebenslänglicher Haft verurteilt, vor der ihn die Auslieferungsverweigerung der Bundesregierung schützte. Er starb im Jahr 2000.

Otto Köhler schrieb seinerzeit in jW: Saevecke sei von November 1942 bis 1943 in Tunis »dem SS-Obersturmbannführer Walter Rauff – ebenfalls Reichssicherheitshauptamt – unterstellt« gewesen: »Rauff, der 1945 mit Vatikanhilfe nach Südamerika floh – warum eigentlich? –, war dort für den Bundesnachrichtendienst tätig, wurde aber – wieso eigentlich? – jetzt, 1962, im Jahr der Spiegel-Affäre, abgeschaltet.«

Knapp neun Jahre nach dieser Notiz veröffentlicht nun der Spiegel die Story vom Nazimassenmörder Rauff, der BND-Agent war, mit der Behauptung, ein »belastbarer Beleg« habe bislang gefehlt. Das habe sich seit Ende vergangener Woche geändert, nachdem der BND ein gutes Dutzend Dokumente zu Rauff freigegeben habe. Spiegel-Autor Klaus Wiegrefe zitiert Bodo Hechelhammer, Leiter der Forschungs- und Arbeitsgruppe Geschichte des BND, mit den Worten, die Anwerbung von Rauff sei »politisch und moralisch in keiner Hinsicht vertretbar«. Es sei zu bedauern, daß der Dienst NS-Verbrecher wie Rauff beschäftigt habe.

Die FAZ kommentierte am Montag diese Art von selektiver Geschichtswahrnehmung als wohldosierte »politische Publikationspraxis«. Eine »unabhängige Historikerkommission« und eine BND-interne »Forschungs- und Arbeitsgruppe« erkundeten seit kurzem die Frühgeschichte des Dienstes und veröffentlichten »in taktischer Absprache mit einzelnen Medien« ausgewählte Kapitel, vor allem, wenn sie »den Eindruck einer kritischen Selbstbetrachtung durch den BND fördern«.

Es ließe sich auch sagen, daß die staatsoffizielle Geschichtsschreibung – hier im Spiegel – wie stets haarscharf die Wahrheit verfehlt: Eingeräumt wird nur, wofür mehrfach ein »belastbarer Beleg« vorliegt. Das ist ebenso bundesdeutsche »Normalität« wie der Furor im Umgang mit der »zweiten deutschen Diktatur«. Der wachse, so kürzlich Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, »im Quadrat des Zeitabstands zur DDR«. Beides gehört zusammen: Wo Naziverbrecher in bundesdeutschen Ämtern immer wieder als Überraschung gelten, muß der ostdeutsche Staat per se als Unrechtsregime verfolgt werden. Die bundesdeutsche Gründungsdoktrin »Lieber tot als rot« wird mit anderen Mitteln fortgesetzt.

Quelle: www.jungewelt.de vom 27.09.11

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 27. September 2011 um 13:50 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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