Mike Nagler ist aktiv im Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC
Der kommende Samstag ist der internationale Aktionstag gegen die Macht der Finanzwirtschaft – ausgerufen u. a. von der spanischen Bewegung »Democracia Real Ya!« und vom europäischen ATTAC-Netzwerk. Auch in Deutschland wird demonstriert, wo werden die Schwerpunkte liegen?
Unter dem Motto »Kein Ausverkauf der Demokratie« ruft ATTAC vor allem zum Protestmarsch zur Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main auf. Um 12 Uhr geht es am Brockhausbrunnen auf der Zeil los, um 14 Uhr finden vor der Bank eine Kundgebung sowie eine Volksversammlung nach spanischem Vorbild statt.
Insgesamt werden Proteste in mehr als 40 deutschen Städten stattfinden – weltweit in mehr als 300. ATTAC ist Teil dieser Bewegung, die sich weitgehend über das Internet organisiert. Ähnlich wie im Frühjahr in Spanien wird es Platzbesetzungen gegen die Kürzungs- und Privatisierungspolitik geben.
Vor allem junge Menschen wollen nicht länger hinnehmen, daß Privatbanken auf Kosten des Steuerzahlers gerettet werden sollen: Beispielsweise will man die griechische Regierung zwingen, ihre Bevölkerung auf Sparkurs zu bringen, um die Herrschaft der Finanzmärkte und der mit ihnen verbandelten korrupten Politiker zu sichern. Wir wollen uns in Deutschland den internationalen Protesten in New York, Madrid, Athen und London anschließen. Unsere CDU/FDP-Bundesregierung trägt Mitverantwortung dafür, daß Griechenland und anderen europäischen Ländern Kürzungsprogramme auferlegt werden.
Im Herbst 2010 hatte der Koordinierungskreis »AG Georg Büchner« eine Bankenblockade in Frankfurt/Main abgesagt, weil er eine zu geringe Beteiligung befürchtete. Wieso kommen Proteste in Deutschland eher schleppend in Gang?
Daran sind die Massenmedien nicht schuldlos. Sie verschleiern die wahren Gründe der Krise, die im System des Kasino-Kapitalismus stecken. Statt dessen polemisieren sie gegen die Griechen – vorneweg Bild: Faul seien sie, und sie lebten über ihre Verhältnisse. Das gipfelt dann in Erkenntnissen wie: Wir fleißigen Deutschen müssen jetzt für andere aufkommen, die Mist gebaut haben.
Viele junge Leute informieren sich aber über alternative Informationswege im Internet. Viele derjenigen, die bislang politisch nicht aktiv waren, nehmen mittlerweile wahr, daß die Regierenden mit der Finanzwirtschaft verfilzt sind. Sie verstehen, daß die Milliarden der Rettungspakete für Banken in den öffentlichen Kassen fehlen: Kein Geld für Schulsanierung, Bildung, Straßenbau oder öffentliche Schwimmbäder – für das private Bankensystem ist hingegen immer Geld da.
Demokratie-Defizite beklagen ist das eine – das andere sind konkrete Änderungen. Was fordern Sie?
Die Hauptforderung gilt der Mitbestimmung und Demokratie. Die Menschen nehmen immer stärker wahr, daß die Finanzmärkte global organisiert agieren und den Regierungen Regelungen vorschreiben. Das bringt uns zur Frage: Können wir uns dieses private Bankensystem überhaupt leisten? Wir sind der Meinung, daß es unter öffentliche Kontrolle gestellt werden muß.
Meinen Sie, daß diese Protestbewegung, die sich wie ein Lauffeuer über viele Hauptstädte ausgebreitet hat, ähnliche Ausmaße wie die Bewegung von 1968 im vergangenen Jahrhundert annehmen könnte?
Die damalige Bewegung – es war ja auch eine Antikriegsbewegung! – hat einiges bewirkt, aber viele ihrer Träume sind bis heute nicht eingelöst. Deutschland ist sogar drittgrößter Rüstungsexporteur geworden und an verfassungs- und völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligt.
In der jetzigen Bewegung stehen die Eigentumsfrage und die Forderung nach demokratischer Mitbestimmung im Mittelpunkt. Die Bundesregierung ändert ja sogar die Verfassung ihrem neoliberalen Leitbild entsprechend, um die »Schuldenbremse« hineinzuschreiben. Sie repräsentiert uns nicht, sondern höhlt die Demokratie von oben aus. Deshalb gehen wir am Samstag auf die Straße.
www.ATTAC.de/europaweiter-aktionstag
Quelle: www.jungewelt.de vom 11.10.11
« Blutbad in Kairo. Von Karin Leukefeld – Innenminister kapituliert auch vor Neonazis. Sachsen-Anhalt: Einwohner und Rechte vertreiben zwei zugezogene Exhäftlinge aus Insel bei Stendal. Von Susan Bonath »
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