Einwohner der Gemeinde Insel bei Stendal demonstrierten wochenlang gegen den Zuzug von zwei früheren Sexualstraftätern in ihr 720-Seelen-Dorf. Die Politik schaute weg, und es dauerte nicht lange, da kamen auch die Neonazis aus dem Umkreis. Am 30.September war deren Gruppe, die für Freitag eine weitere Aktion angekündigt hat, auf etwa 80 Personen angeschwollen. Ende vergangener Woche verkündete Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) schließlich den »freiwilligen Wegzug« der Männer.
»Wir sind nicht eure Therapie« stand auf Transparenten der Demonstranten. Organisiert hatte die Proteste Ortsbürgermeister Alexander von Bismarck. Den Medien teilte er mit, daß er damit den Dorfbewohnern ein Ventil für ihre Angst schaffen wollte. Als die Rechten auftauchten, begrüßte er sie als »Gäste«, berichtete die Mitteldeutsche Zeitung (MZ). Im September hatte es eine Anzeige gegen von Bismarck wegen Volksverhetzung und Nötigung gegeben. Die Staatsanwaltschaft hatte aber »aufgrund des fehlenden Anfangsverdachtes« keine Ermittlungen aufgenommen.
Stahlknecht bekundete nach dem Auftauchen der Rechten seine Sorge, daß die NPD, die in Dessau ursprünglich ihren Bundesparteitag abhalten wollte, die Altmarkgemeinde für ihre Zwecke mißbrauchen könnte. Er und Justizministerin Angelika Kolb (SPD) kritisierten den Bürgermeister scharf: Von Bismarck drehe an der »Eskalationsspirale« und gefährde einen »störungsfreien Integrationsprozeß der unter Aufsicht stehenden Betroffenen«. Im Verein »Miteinander« sah man das ähnlich. In einem offenen Brief an von Bismarck vom 4.Oktober warfen ihm dessen Mitglieder vor, »der Neonaziszene ein mediales Podium für ihre verfassungsfeindliche Agitation zum Umgang mit Straftätern gewährt zu haben«.
Von Bismarck hat die Demonstrationen nun eingestellt. Nach seinem Ultimatum an die Landesregierung, bis zum 15. Oktober eine behördliche Lösung vorzulegen, fand ein Gespräch zwischen Stahlknecht, dem Stendaler Superintendanten Michael Kleemann und den beiden Zugezogenen statt, berichtete die MZ am Wochenende. Im Ergebnis hätten die Männer schriftlich ihren Wegzug aus dem Ort erklärt.
Scharfe Kritik am Einknicken des Innenministers kam von der Linkspartei, den Grünen und einigen Sozialdemokraten auf der Landtagssitzung am 6. Oktober. Grünen-Chefin Claudia Dahlbert sagte, Stahlknecht habe sich in einer »One-Man-Show« zum »Agenten der Straße« gemacht. Die Linke erklärte, »das Grundrecht auf freie Wohnortwahl« sei mit Füßen getreten worden. »Ein Haufen Nazis darf sich nun gegenseitig auf die Schultern klopfen und einen vermeintlichen Erfolg feiern«, so die Abgeordnete Eva von Angern. Im Bemühen, den Haftentlassenen eine Chance zu geben, sei man gescheitert. Stahlknecht rechtfertigte sich gegenüber der Presse: »Selbst wenn der Wegzug der beiden Männer die schlechteste Lösung ist, mir wäre in dieser Situation keine bessere eingefallen.«
Die Neofaschisten haben ihre Demonstrationsanmeldung für Freitag aufrechterhalten. Eine Lösung für die Betroffenen ist bislang nicht gefunden. Das Justizministerium helfe jetzt bei der Wohnraumsuche, was sich allerdings schwierig gestalten könne, so die jüngsten Informationen des Ressorts gegenüber den Medien.
Quelle: www.jungewelt.de vom 12.10.11
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