Immer mehr Medien definieren ihren Auftrag neu: Sie betreiben politische Beeinflussung statt Informationsvermittlung. Die Journalisten verlassen den Pfad der Berichterstattung und machen aus ihren (partei)politischen Präferenzen keinen Hehl. Aktuelle Beispiele aus der Schweiz und Deutschland.
Am 13. September kritisierte Bundesrätin Doris Leuthard die Medien: «… und man erlebt immer wieder, dass Sachverhalte falsch wiedergegeben werden. Nicht zuletzt schreiben Journalistinnen und Journalisten voneinander ab, gerade wegen der schnellen Online-Konkurrenz, die vertiefende Recherchen kaum mehr zulässt.»
Die Bundesrätin betreibt, was sie den Journalisten selbst vorwirft: Sie verkürzt. Die qualitative Verluderung vieler Medien mag zwar dem Kosten- oder Zeitdruck geschuldet sein, aber sie kommt manchen Medien durchaus gelegen. Längst machen sie aus der vermeintlichen Not (Kostendruck) eine Tugend und sehen ihr Kerngeschäft nicht mehr in der aufwändigen Vermittlung und Interpretation von Information, sondern in der oft billigen Demagogie und in der Emotionalisierung der Leser. Das bringt Aufmerksamkeit und Klickraten. Die Werbebranche wirds freuen, wie die Medienmacher auch.
Beispiel Weltwoche: In Ausgabe 38 veröffentlichte die Wochenzeitung auf Seite 39 ein Essay von Nikolaus Blome, stellvertretender Bild-Chefredaktor. Titel: «Warum ich die Schweiz hasse» (leider nur auszugsweise online). Auf drei Spalten breitet sich Blome aus. Erst mag man angesichts der inhaltlichen wie sprachlichen Provokationen an einen Scherz glauben. Schliesslich aber wird klar, was die Weltwoche mit so einem Beitrag will: den Leser angesichts der dargebotenen deutschen Arroganz das Grausen lehren, damit er im Oktober der rechten Partei seine Stimme gibt. Die Woche zuvor übrigens besorgte dieses Geschäft kein geringerer als der ehemalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber.
Beispiel Tages-Anzeiger und «Newsnetz»: Am 26. September publizierte Thomas Knellwolf einen Beitrag mit dem Titel «Reimanns Geheimauftritt bei den Islamophoben». In seinem Artikel versucht der Journalist den SVP-Politiker Lukas Reimann mit allen Tricks und Kniffen in die Ecke rechtsradikaler Islamgegner zu stellen. Gleichzeitig unterstellt er ihm, einen Auftritt bei den «Islamophoben» vor einem Jahr verheimlichen zu wollen. Welche Absicht der Tagesanzeiger mit diesem Bericht verfolgt: den Leser aufwiegeln, damit er im Oktober einer Partei links von der Mitte seine Stimme gibt.
Weltwoche und Tages-Anzeiger sind harmlose Demagogen. Wer wissen will, wie richtiger Kampagnenjournalismus funktioniert, muss nur nach Deutschland schauen. Dort zeigen neben «Bild» auch Medien wie «Der Spiegel», dass Journalisten ihre Kernkompetenzen neu definiert haben.
Beispiel «Spiegel Online» SPON: Der Internet-Ableger des Nachrichtenmagazins ist längst zur führenden News-Entertainment- und Kampagnen-Plattform verkommen. Seit Monaten schreiben die Hamburger gegen die auf Bundesebene mitregierende FDP an. Nachdem Westerwelle als Parteivorsitzender zu Fall gebracht wurde, betreiben die Spiegel-Leute hartnäckig auch dessen Sturz als Aussenminister. Damit die Kampagne nicht abreisst, luden sie gleich auch gegen den kaum ins Amt gewählten neuen FDP-Chef Philipp Rösler die Büchsen. Als dieser sich vor kurzem Denkverbote im Kontext mit der drohenden Griechenland-Insolvenz verbat, wurde er in etlichen SPON-Artikeln regelrecht geschlachtet, währenddessen Wirtschaftsexperten, die sich ähnlich oder gleichlautend wie Rösler äusserten, von SPON wohlwollend zu Super-Experten emporgeschrieben wurden.
«Dürfen Journalisten Politik machen?», lautete die Frage, die Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung», im Medienmagazin «Zapp» des NDR gestellt bekam. Eine klare Antwort blieb Prantl leider schuldig. Dafür zog der renommiert Journalist gegen seine Kollegen vom Leder und offenbarte, dass da und dort ein eigenartiges Demokratieverständnis herrscht: «Die Online-Dienste hacken über Tage in die gleiche Kerbe und hauen die Kerbe immer tiefer, auch aus Lust am Zuschlagen. Und vielleicht auch deswegen (..), weil das kritische Umgehen mit Personen sehr viel einfacher ist als die kritische Auseinandersetzung mit komplexen Sachthemen. Vielleicht ist es auch ein Stück weit Erholung von den Komplexitäten der Finanzkrise, der Euro-Krise, dass man mal wieder ein klassisches Thema hat, eine Personalie, eine Person, an der man sich mit Lust abarbeiten kann.»
Doch auch Prantl selbst ist nicht davor gefeit, im Trüben zu fischen und zu behaupten, statt zu belegen; etwa in seinem Artikel vom 19. September 2011 «Gelb vergilbt», wo er kundtut: «Immer mehr Bürger erwarten daher das Ende dieser Regierung wie ein Weihnachtsfest.» Woher Prantl das weiss, schreibt er nicht.
Man kann, wie Bundesrätin Leuthard dies tut, die «Verarmung der Medienlandschaft» beklagen. Der CVP-Politikerin hätte es indes gut zu Gesicht gestanden, die Dinge gleich beim Namen zu nennen: Nicht die verarmende Medienlandschaft ist das Problem, sondern die Tatsache, dass Journalisten heute mitunter selbst Politik betreiben und politische Prozesse aktiv mitgestalten. Ein Mandat dafür haben sie freilich keines.
Quelle: „Medienwoche“ vom 30.09.11
« Erste Bank dreht klammen Kommunen Geldhahn zu – „Die Banken beißen die Hand, die sie füttert“. Von Oskar Lafontaine »
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